»Wir werden uns konsequent gegen jegliche sozialen und arbeitsrechtlichen Verschlechterungen wehren!«
Übernommen von Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek:
Im Vorfeld des 1. Mai unterhielt sich die »Zeitung« mit OGBL-Präsidentin Nora Back über Fragen, die für die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften von großer Bedeutung sind und gegenwärtig zu einem Kräftemessen zwischen dem Patronat und der Regierung einerseits und den Vertretern der Schaffenden andererseits führen. Dazu zählt unter anderem die Frage der Kollektivverträge, die dazu führte, dass es zur Gründung einer Gewerkschaftsfront zwischen OGBL und LCGB kam, zu deren Zielen zählt, Verschlechterungen des Kollektivvertragsgesetzes und der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Schaffenden sowie eine Einschränkung der gewerkschaftlichen Rechte zu verhindern.
Tag der Solidarität und des Widerstands
Nora Back: Der 1. Mai ist für uns ein Tag der Solidarität und des Widerstands, es ist der Tag, an dem wir auch an die Schaffenden erinnern, die vor uns gegen Ausbeutung, Armut und Ungerechtigkeit aufstanden.
Der 1. Mai ist von großer historischer Bedeutung für die Gewerkschaftsbewegung, aber er hat nichts an Aktualität eingebüßt. Gerade heute, da die Patronatsvereinigung UEL immer hemmungsloser bestehende soziale Errungenschaften attackiert und die CSV/DP-Regierung bereit scheint, im Interesse des Patronats arbeitsrechtliche Verschlechterungen durchzupeitschen und die Rechte der Gewerkschaften einzuschränken. Es muss festgestellt werden, dass der geschaffene Reichtum noch immer und mehr denn je von unten nach oben verteilt wird, während die Ungleichheiten wachsen.
Wir befinden uns gerade in einer Situation, in der Patronat und Regierung nicht länger diskutieren und verhandeln, sondern gegen die Interessen der Schaffenden und Gewerkschaften deutliche Verschlechterungen durchboxen wollen.
Wer sollte das verhindern, wenn nicht wir selbst? Ein bedeutender Schritt in diese Richtung war die Schaffung der Gewerkschaftsfront zwischen OGBL und LCGB. Genau davor haben unsere Gegner von Patronat und Politik Angst, denn wenn wir uns nicht spalten lassen, ist die Wahrscheinlich weitaus größer, dass es uns gelingen wird, jegliche sozialen und arbeitsrechtlichen sozialen Grausamkeiten zu verhindern und im Interesse der schaffenden Menschen und der Rentner und ihrer Familien Verbesserungen durchzusetzen.
Daher ist es wichtig, dass die nationale Demonstration, zu welcher die Gewerkschaftsfront für den 28. Juni dieses Jahres aufruft, ein Erfolg wird. Wir waren und sind nach wie vor für den Dialog, aber wenn die Regierung nicht am Verhandlungstisch Platz nehmen wird, werden wir unsere Forderungen auf die Straße tragen.
Zeitung: Was gab denn eigentlich den Ausschlag für die Schaffung einer Gewerkschaftsfront und damit einer Organisationsform, die weit über bisherige Formen der Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften, die in vielen Wirtschaftsbereichen eher Konkurrenten sind, hinausgeht?
»Regierung und Patronat wollen uns loswerden«
Nora Back: Es gibt viele soziale und arbeitsrechtliche Fragen, in denen OGBL und LCGB übereinstimmen, aber den Ausschlag für das Zustandekommen der Gewerkschaftsfront gab ohne Zweifel der Frontalangriff auf das Kollektivvertragsrecht.
Regierung und Patronat wollen uns loswerden, wollen die gesetzlichen Bestimmungen über die Kollektivverträge verwässern und das gewerkschaftliche Exklusivrecht, Kollektivverträge zu verhandeln und zu unterschreiben, beschneiden, was es viel leichter machen würde, in den Betrieben den Beschäftigten bei den Löhnen, den Arbeitsbedingungen, den Arbeitszeiten, dem Urlaub und dem Mitspracherecht schlechtere Bedingungen zu diktieren.
Die Regierung hat zwar behauptet, sie wolle mehr Kollektivverträge, kündigte aber parallel dazu Verschlechterungen im Kollektivvertragsgesetz an. Das kann nicht funktionieren.
In diesem Zusammenhang will ich einmal mehr darauf hinweisen, dass der OGBL keineswegs gegen eine Modernisierung des Kollektivvertragsgesetzes ist, sondern seit langem auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, in deutlich mehr Betrieben Kollektivverträge abzuschließen, auch auf sektorieller Ebene, denn heute hat einer von zwei Lohnabhängigen keinen Kollektivvertrag. Und wenn das Patronat blockiert, sollten die politischen Entscheidungsträger unter anderem beschließen, finanzielle Hilfen des Staates an die Betriebe und die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an das Vorhandensein von Kollektivverträgen zu koppeln. Aber will die Regierung das?
Zeitung: Inzwischen scheint die Regierung etwas zurückzurudern, zumindest tut sie so, als liege es ihr fern, die Rechte der Gewerkschaften im Bereich der Kollektivverträge zu beschneiden, um gleichzeitig im Bereich der Arbeitszeiten, die bekanntlich in Kollektivverträgen eine wichtige Rolle spielen, über neue gesetzliche Bestimmungen die Arbeitsbedingungen von Zehntausenden Lohnabhängigen zu verschlechtern.
Nora Back: Wir haben gute Gründe, in dieser Hinsicht mißtrauisch zu bleiben, solange die Regierung die Unantastbarkeit der gewerkschaftlichen Rechte im Bereich der Kollektivverträge nicht am Verhandlungstisch unmissverständlich zum Ausdruck bringt und uns keine Garantie dafür gibt, dass nichts anderes in einem neuen Kollektivvertragsgesetzt stehen wird.
Als Gewerkschaft können wir aber auch nicht damit einverstanden sein, sollte vorgesehen sein, bisherige Bereiche aus dem Kollektivvertragsgesetz herauszunehmen, etwa die Arbeitszeiten, um hinter dem Rücken der Gewerkschaften Jahresreferenzperioden zu verlängern, Pausen innerhalb einer Schicht oder zwischen zwei Schichten zu kürzen, die Wochenarbeitszeit zu verlängern. In dieser Hinsicht scheint die Regierung dem Wunschkatalog der Patronatsvereinigungen aber weitgehend entgegenkommen zu wollen.
Kampfansage der Regierung an die Beschäftigten
im Einzelhandel
Das wurde deutlich, als CSV-Arbeitsminister Mischo im Oktober 2024 einen Gesetzesentwurf über die Ausweitung der Sonntagsarbeit auf 8 Stunden im Einzelhandel und im Lebensmittelhandwerk in der Abgeordnetenkammer deponierte und DP-Wirtschaftsminister Delles einen Gesetzesentwurf über die vollständige Liberalisierung der Öffnungszeiten im Handel nachschob. Das war eine Kampfansage an mehr als 50.000 Beschäftigte, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen sich deutlich verschlechtern würden, unter ihnen besonders viele Frauen und Alleinerzieherinnen.
Als Gewerkschaft treten wir selbstverständlich nach wie vor für Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich ein, aber unter den gegebenen Umständen werden wir all unsere Energie darauf verwenden, um die Beschäftigten aus dem Einzelhandel und dem Lebensmittelhandwerk zu mobilisieren, und die geplanten einschneidenden Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen von zehntausenden Männern und Frauen zu verhindern.
Zeitung: Die Kritik der Gewerkschaftsfront an der Regierungspolitik beschränkt sich allerdings nicht auf die Frage der Kollektivverträge und der Arbeitszeiten …
Nora Back: Das stimmt absolut, und die Rede zum 1. Mai wird mir Gelegenheit geben, die Herausforderungen zu benennen, vor die wir uns gestellt sehen. Dazu zählt, dass die Regierung die einseitige Entscheidung traf, den Energiepreisdeckel abzuschaffen, was viele Familien stark belastet, dazu zählt auch, dass keine ernsthaften Bestrebungen zu erkennen sind, um die Wohnungskrise zu lösen, und es immer wieder Bestrebungen gibt, im öffentlichen Dienst Privatisierungen vorzunehmen, was nicht im Interesse der Beschäftigten und der Bevölkerung ist.
Wehren werden wir uns aber auch gegen eine autoritäre Wende in gesellschaftlichen Fragen, etwa was eine immer repressivere Migrationspolitik und eine Infragestellung des Demonstrationsrechts angeht. Und wir werden immer wieder jede Form von Rechtsextremismus anprangern.
»Wir lehnen jeden Rentenklau entschieden ab!«
Als Gewerkschaft wollen wir im Gegenteil, dass die Grundrechte und -freiheiten in der Gesellschaft, aber auch in den Betrieben gestärkt werden. Und selbstverständlich werden wir uns für einen höheren Mindestlohn einsetzen und den Index sowie und die Leistungen unseres Renten- und Gesundheitssystems verteidigen, die zunehmend unter Beschuss des Patronats und der Regierung kommen.
In diesem Zusammenhang möchte ich unterstreichen, dass wird als OGBL und zusammen mit dem LCGB in der Gewerkschaftsfront jeden Rentenklau entschieden ablehnen und nur Maßnahmen zustimmen werden, die unser öffentliches Rentensystem stärken werden. Aber die Scheindiskussion, die gegenwärtig geführt wird, führt zu nichts und die Ministerin sagt kein Wort. Es ist daher höchste Zeit, dass die Regierung die Katze aus dem Sack lässt und dem Land klaren Wein über ihre Absichten einschenkt, statt alle an der Nase herumzuführen.
Das Interview führte
Ali Ruckert
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek