Infektionen, Druck und Auslese

In der vergangenen Woche meldete „tagesschau.de“, dass mehr Schülerinnen und Schüler mit dem Coronavirus infiziert seien als bisher angenommen; die Kultusministerien rechneten die Zahlen klein. Das Online-Magazin „news4teachers“ meldete auf Grundlage neuer Zahlen aus dem Saarland: „Zahl der Corona-Infektionen an Schulen explodiert“. Die Lehrer-Gewerkschaft GEW fordert gebetsmühlenartig, die Schulen in der Pandemie nicht mit dem Infektionsschutz alleine zu lassen. Doch um die Pandemie einzudämmen fehlt das Personal und die Klassen sind zu groß.

Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) kritisiert in einer Stellungnahme, dass Schulen oder einzelne Lehrerinnen und Lehrer gezwungen seien, selbst über Hygienemaßnahmen und ihre Umsetzung zu entscheiden. Jonas S. arbeitet in der AG Schulpolitik der SDAJ und steht in Rheinland-Pfalz kurz vor dem Abitur. Er berichtet, dass schon das Maskentragen an seiner Schule anders gehandhabt wird als an anderen Schulen im Kreis. „Es gibt kein einheitliches und verbindliches Agieren“, kritisiert auch die GEW-Vorsitzende, Marlis Tepe. Das führe an den Schulen zu Verunsicherung und uneinheitlichen Lösungen.

Eine Lehrerin an einer Hauptschule im Ruhrgebiet erzählt im Gespräch mit UZ, dass Abstands- und Maskenregeln an ihrer Schule kaum umsetzbar seien. In Einzelfällen seien Schüler sogar nach Hause geschickt worden, weil sie keine Maske dabei hatten. Ihre Schule habe daraufhin einige Masken beschafft, um Schülern zu helfen. Die örtliche Stadtverwaltung unterband jedoch Versuche, die Schüler verstärkt mit Masken auszustatten. In einem Schreiben, das UZ vorliegt, fordert sie die Schulen auf, darauf hinzuwirken, „dass die Ausgabe einer Maske nicht zum Regelfall wird“. Der Mund-Nasen-Schutz sei „privat zu beschaffen und bereitzustellen“.

Auch die Quarantäne werde nicht einheitlich gehandhabt: Nachdem eine Schülerin positiv auf das Corona-Virus getestet wurde, seien nur ihre Sitznachbarn aus der Tischreihe und an den Tischen vor und hinter ihr in Quarantäne geschickt worden. Das Robert-Koch-Institut wertet jedoch die ganze Schulklasse als „Kontaktpersonen der Kategorie I“ und empfiehlt, ganze Klassen nach Hause zu schicken.

Die Hygienemaßnahmen zwingen dazu, zu reinem Frontalunterricht zurückzukehren. „Die Tische sind nummeriert, die Namen draufgeklebt – kein Stationenlernen, keine Gruppenarbeit. Die Konzen-tration der Kids ist da schnell weg“, berichtet die Lehrerin. Eigentlich sollten an ihrer Schule viele Klassen von zwei Lehrkräften im „Teamteaching“ unterrichtet werden – zur Zeit wird die zweite Lehrkraft überwiegend eingesetzt, um Infektions- und Quarantänefälle zu vertreten.

Eine neue Schulschließung würde diese Probleme verschärfen. „Studierende haben schon genug Schwierigkeiten mit einem Online-Semester – wie sollen Hauptschüler das gut hinkriegen?“, fragt die Lehrerin. Ihre Schülerinnen und Schüler haben nicht alle die nötigen Geräte und einen geeigneten Arbeitsraum zu Hause. „Als Lehrer müsste ich im Online-Unterricht jeden einzelnen betreuen – aber das geht nicht, weil der Arbeitsaufwand zu groß wäre.“

Dass Lehrkräfte fehlen und die Klassen zu groß sind, um Abstandsregeln einzuhalten, stellen inzwischen auch die Mainstream-Medien regelmäßig fest. Die Kultusministerien haben seit dem Frühjahr wenig unternommen, um daran etwas zu ändern. Die GEW weist darauf hin, dass die intensive Arbeit mit der Schul-Cloud, die die Bundesregierung finanziert, auch zusätzliches Personal für Schulung, Administration und Support erfordern würde. Ilka Hoffmann, GEW-Vorstandsmitglied, schlägt vor, Studierende auf Honorarbasis anzustellen, um unter Anleitung von Lehrkräften kleine Gruppen von Schülerinnen und Schülern zu betreuen – das sei sowohl pädagogisch als auch zum Infektionsschutz sinnvoll. Die SDAJ stellt fest: „Die Milliarden Euro, die für Unternehmungsrettungen ausgegeben werden, fehlen für mehr Lehrpersonal oder die Renovierung der Schulgebäude und hygienegerechte Schultoiletten.“

Quelle: UZ – Unsere Zeit