13. Dezember 2024

Zurück an die Verhandlungstische!

Rede von Rolf Becker auf dem Ostermarsch in Kassel

Liebe Freundinnen und Freunde,

Dank für Euer Kommen trotz aller vorausgegangenen Diffamierungen unseres Anliegens – Dank, dass ich hier heute zu Euch sprechen darf.

Seit mir bewusst wurde, was ich als Kind während des 2. Weltkriegs erlebt und erfahren habe, war mein Anliegen und bleibt es, dazu beizutragen, dass sich Vergleichbares nicht noch einmal ereignen kann (ich war 10 Jahre alt, als mit der Kriegsniederlage Deutschlands die faschistische Herrschaft der Nationalsozialisten endete).

Ich bin wie viele meiner Generation mit diesem Anliegen gescheitert. Wir haben die Wiederbewaffnung Westdeutschlands nicht verhindern können, aber jedenfalls Ende der 1959er Jahre Dank der Ostermarsch-Bewegung die atomare Aufrüstung Westdeutschlands. Nicht aber die Notstandsgesetze, nicht das Niederschlagen der Schüler- und Studentenbewegung nach 1968, nicht die gegen die Sowjetunion gerichtete Nachrüstung 1983 durch das Aufstellen der mit Atomsprengköpfen bestückten Pershing-2- Raketen, nicht die Kriegsbeteiligung des 1990 wiedervereinigten Deutschlands am NATO-Überfall auf Jugoslawien am 24. März 1999, dem ersten Angriffskrieg Deutschlands seit 1938. Auch die damalige Zustimmung unserer Gewerkschaftsführung zum völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Krieg konnten wir nicht verhindern –

das „Ja“ zum Bombardement der Nato durch den damaligen DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte ist bis heute nicht aufgearbeitet.

„Auf Macht wird es wieder hinauslaufen, und mir graut vordeutscher Macht“ warnte bereits 1947 Thomas Mann. Konkreter noch Bertolt Brecht 1954:

„Die Kapitalisten wollen keinen Krieg
Sie müssen ihn wollen.

Die deutschen Kapitalisten haben zwei Möglichkeiten in einem Krieg:

  1. Sie verraten Deutschland und liefern es an die USA aus.
  2. Sie betrügen die USA und setzen sich an die Spitze.“

Die Antwort auf die von Brecht genannte Alternative steht noch aus.

Mit dem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angeordneten Angriff am 24. Februar eskalierte der seit 2014 schwelende Konflikt zwischen Russland und Staaten der NATO unter Führung der USA zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die nicht auszuschließende Ausweitung des noch lokal begrenzten Krieges zur militärischen Auseinandersetzung mit der NATO verlangt uns Antworten ab, zu denen ich versuchen will beizutragen.

Vorurteile und moralische Empörung – so nachvollziehbar sie auch sein mögen – bringen uns dem Verständnis der Ursachen auch dieses Krieges nicht näher.

Unsere Frage kann nur lauten:

was hat dazu geführt, dass die widersprüchlichen politischen Interessen zwischen Ukraine und NATO-Staaten einerseits und andererseits Russland nicht mehr auf diplomatischem Weg durch Verhandlungen zu lösen waren, sondern zum Krieg führten – mit den sich von Tag zu Tag steigenden Zahlen der Opfer vor allem unter der Zivilbevölkerung, nicht nur der ukrainischen, auch der russischen innerhalb der Ukraine – mit den anwachsenden Flüchtlingsströmen, deren Leid trotz vielfacher solidarischer Hilfe kaum gemindert werden kann – mit der Schwächung der Volkswirtschaften auch von Ländern, die wie die Bundesrepublik bislang nur durch wirtschaftliche Sanktionen am Krieg beteiligt sind?

Anliegen der Putin-Regierung, seit mehr als 20 Jahren stets erneut von ihm geäußert: Stopp der NATO-Ost-Erweiterung, keine Stationierung von Militär und Waffen sowie permanente Truppenmanöver an den russischen Grenzen – sondern Sicherheitsgarantien für das eigene Territorium, auch im Interesse der angestrebten Weiterentwicklung von Handelsbeziehungen mit Westeuropa und der Erweiterung seines Einflussbereiches.

Stattdessen wurde die Ukraine von den USA zum antirussischen Frontstaat aufgerüstet – ohne formal zum NATO-Mitglied zu werden. Als unter Missachtung der Waffenstillstands-Vereinbarungen von Minsk seitens der Selensky-Regierung Truppen im Donbass-Gebiet zusammengezogen wurden, und laut OSZE etwa

100.000 Zivilisten nach Russland evakuiert werden mussten, war der Verhandlungsweg für Putin offenbar verbaut.

Anliegen der NATO unter Vorgaben der US-Militärführung: Weiterführung der mit dem Jugoslawien-Krieg 1999 begonnenen Einkreisung Russlands, um die von der russischen Regierung angestrebte Ausweitung der Handelsbeziehungen mit Westeuropa und der Bundesrepublik zu verhindern. Das Mittel dazu erwies sich als wirksam: die Erweiterung der Nato und die mit Milliardenbeträgen finanzierte Hochrüstung der Ukraine hatten den Krieg zur Folge – ein Krieg im Interesse aber ohne militärische Beteiligung der USA und eines NATO-Staates. Das Opfer: die Bevölkerung der Ukraine.

Fazit meinerseits bis hier:

Die wirklichen Gegner Russlands sind die USA und die NATO, auch wenn der Krieg Russlands gegen die Ukraine geführt wird.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine strategisch erzwungene Verteidigungsmaßnahme zum Vorteil der USA.

Es stehen sich also zwei völlig unterschiedlich strukturierte imperialistische Staaten gegenüber. Die ökonomische Schwäche Russlands im Verhältnis zu den USA und seinen Verbündeten, auch seine Unterlegenheit im konventionellen Bereich seines Militärs wird ausgeglichen durch sein atomares Potential, dessen von Putin angedrohter Einsatz vorläufig noch dazu beiträgt die Ausweitung der lokalen Auseinandersetzung zum Dritten Weltkrieg zu verhindern. Hinzu kommt die vorerst nicht zu beantwortende Frage: wie wird sich China im Falle einer Ausweitung des derzeitigen Konfliktes verhalten. Ein nicht auszuschließendes militärisches Zusammengehen Russlands und Chinas hätte nicht absehbare Folgen für die USA.

  1. Dessen ungeachtet wird in den Staaten der NATO, vor allem hier in der Bundesrepublik die Militarisierung in bislang noch nicht dagewesenem Umfang forciert – keineswegs nur von Frau Baerbock und Herrn Habeck. Dazu mit Christa Wolf, die in ihrem Buch »Kassandra« schrieb: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gibt, müsste man sie weitersagen. In Ton, in Stein eingraben, überliefern. Was stünde da. Da stünde, unter anderen Sätzen: Lasst euch nicht von den Eigenen täuschen.«

Die von Kanzler Scholz freigegebenen 100 Milliarden für die Hochrüstung der Bundeswehr, die sich längst von einer Verteidigungs- zu einer Angriffsarmee entwickelt hat, schaffen nicht mehr Sicherheit, sondern vergrößern die Gefahr, dass Deutschland zum Kriegsschauplatz wird. Bertolt Brecht, 1951, angesichts der beginnenden Remilitarisierung der BRD: „Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben“, und, an die deutsch-russische Geschichte erinnernd, in seinem Offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller: „Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“

  1. Dass die jetzt bewilligte ungeheure Summe in allen sozialen Bereichen fehlen wird und von der Bevölkerung aufgebracht werden muss, wird auch bei vielen unserer Gegner zum Nachdenken im Sinne unseres Anliegens führen: Widerstand gegen die geplanten Einschnitte, Verteidigung der ohnehin schon abgesenkten Standards! Nein zu Rüstung und Abbau sozialer Standards, Nein vor allem auch im Namen unserer Kinder, die um Bildung, Ausbildung, Arbeit und Perspektiven fürs Leben betrogen werden. Konsequenz kann nur sein uns enger zusammenzuschließen, vor allem in der täglichen Kleinarbeit. Gegen Sozialabbau, für Frieden und Völkerverständigung: Kampf um Frieden ist Kampf gegen den Kapitalismus.
  2. Der bisherige Kriegsverlauf zeigt, dass sich die Medien hierzulande fast einhellig an den politischen Vorgaben der Bundesregierung orientieren – und die wiederum an Vorgaben aus Washington, wo CIA-Direktor Bill Burns am 10. März vor dem US-Senat erklärte: “Russland verliert den Informationskrieg um die Ukraine.”

Die Zahl der Zweifelnden an den angeblich unstrittigen Informationen von Sendeanstalten und Presse nimmt zu, ein gutes Zeichen, verbunden mit der Aufgabe für uns, soweit irgend möglich jeder Verfälschung von Sachverhalten und jeglicher Propaganda entgegenzutreten und entsprechend der Aufforderung von Rosa Luxemburg „Sagen, was ist!“

Die schweizer Zeitschrift „Zeitgeschehen im Fokus“ sah sich wegen der Ereignisse in Buschta, dem Vorort von Kiew, die als Massaker weltweit Russland angelastet wurden, zu folgender Erklärung veranlasst: „Aufgrund der in den meisten Medien anhaltenden einseitigen Berichterstattung, die ausschließlich aus der Sicht der Ukraine kommt, hat sich die Redaktion dazu entschlossen, aktuelle Ereignisse, Hintergründe und weitere Zusammenhänge zum Ukraine-Konflikt zu beleuchten und zu analysieren.“ Dieser Erklärung folgt ein Interview mit dem schweizer Nachrichtenoffizier Jacques Baud, der zu dem angeblichen Massaker einleitend äußert: „Laut westlichen Medienberichten war die russische Armee seit ungefähr drei Wochen im Gebiet von Butscha, hat aber die Stadt nicht vollständig besetzt. Hier stellt sich mir die erste Frage: Die russische Armee lebt drei Wochen ruhig in dieser Stadt und am letzten Tag entscheidet sie, diese Menschen zu erschießen. Warum sollte sie das tun? Das leuchtet mir nicht ein.“ Und weiter, auf Nachfrage:

Am 30. März hat der letzte russische Soldat Butscha verlassen. Am 31. März, am Tag darauf, veröffentlicht der Bürgermeister von Butscha ein Video und sagt unter starkem Lachen, dass die Lage entspannt sei, die Russen seien weg. Er erwähnt keine Toten, kein Massaker, nichts davon. Zwischen dem 1. und 2. April sind laut der Nachrichten-Agentur Reuters ukrainische Verbände in der Stadt eingetroffen. Darunter waren Mitglieder der ASOW-Brigade, die Jagd auf Kollaborateure und Saboteure gemacht haben. Am 2. April, macht ein ukrainischer Blogger ein Video in der Stadt, aber er erwähnt kein Massaker. Erst am 3. April erscheinen plötzlich alle diese Leichen auf der Straße. Wenn man sich diese Videos gut anschaut, und ich habe das getan, dann sieht man, dass diese toten Menschen meistens ein weißes Band um den Arm gebunden haben. Diese weißen Binden wurden von den Russen empfohlen, um zu zeigen, dass man neutral ist und nichts gegen die russische Armee hat. Viele, die erschossen wurden, trugen diese weiße Armbinde. Was wirklich passiert ist, weiß man nicht, aber sehr wahrscheinlich wurden diese Menschen nicht von russischen Soldaten getötet. Die Ukrainer wissen, dass jedes Verbrechen Russland angelastet wird. Das ist extrem gefährlich. Ich muss betonen, ich weiß nicht, was dort genau geschehen ist, aber diese Indizien genügen mir, um in der Beurteilung der beiden Seiten vorsichtig zu sein.

Aus dem bisher Vorgetragenem ergeben sich Unwägbarkeiten, die nicht nur uns, sondern einen Großteil der Menschheit betreffen: ein Krieg zwischen Russland und NATO würde, wie seit einiger Zeit auch von Politikern und in den Medien reflektiert wird, Europa zum Kriegsschauplatz machen. Der nach China ökonomisch größte Konkurrent der USA wäre damit ausgeschaltet: eine Möglichkeit, die wir in unsere Überlegungen einbeziehen sollten.

„Die Achse der Welt ist verschoben. Werden wir sie einrenken?“ Diese Frage stellt sich für uns heute so dringend wie 1935 für Bertolt Brecht angesichts des drohenden Kriegsbeginns, der 1938 zum 2. Weltkrieg führte. Den dritten, das menschliche Weiterleben gefährdenden gilt es zu verhindern.

Mit Rosa Luxemburg: „Wir als Proletarier haben uns gegen den Krieg zu wenden, gleichwohl ob Angriffs- oder Verteidigungskrieg. Wir erkennen in ihm eine Folge des Imperialismus, und wie den Imperialismus als Ganzes, so bekämpfen wir auch jede seiner Teilerscheinungen.“

Im Sinne des Aufrufs zur unseren heutigen Treffen:

Einstellung aller Kampfhandlungen. Zurück an die Verhandlungstische. Wir wissen:

„Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein‘ Gewalt.
Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“

Quelle: Friedenskooperative

Quelle: Unsere Zeit

Friedensbewegung