Die EU-Mär vom Freihandel

Angesichts des von Donald Trump vom Zaun gebrochenen Handelskrieges der USA mit der EU, vor allem aber mit China, wird in EU-Europa so getan, als sei man ein glühender Verfechter des weltweiten »Freihandels«. Doch ihren großen Rivalen China belegt die EU schon seit vielen Jahren mit immer neuen Einfuhrzöllen.

So beschloß die EU-Kommission im Februar 2017 Aufschläge in Höhe von 65 bis 73 Prozent auf den Import von schweren Stahlplatten aus der Volksrepublik. Zwei Monate später folgten Aufschläge von bis zu 35,9 Prozent auf diverse warmgewalzte Eisen- und Stahlprodukte. Im Januar 2018 kamen satte Zölle auf chinesische Produkte aus Gußeisen hinzu, im April 2018 wurden Zölle in Höhe von 60,4 Prozent auf Stahlseile und Stahlkabel aus China, die bereits seit zwei Jahrzehnten erhoben werden, verlängert.

Das sind nur einige Beispiele. Betroffen sind auch andere Branchen. Im Sommer 2018 beschloß die EU Zölle auf chinesische Fahrräder mit elektrischem Hilfsmotor, es folgten chinesische Lkw-Reifen. Auf alle möglichen anderen chinesischen Waren – von Fahrrädern über Mandarinen bis hin zu Bügelbrettern – wurden schon längst Grenzabgaben erhoben.

Die Beispiele zeigen: Die EU ist sich völlig im klaren darüber, welche Folgen Freihandel hat, wenn man nicht am längeren Hebel sitzt, und sie zieht auch die entsprechenden Konsequenzen.

Die EU weitet ihre Abschottungsmaßnahmen gegen China inzwischen weiter aus. So sehen die zehn »Handlungsvorschläge« gegenüber der Volksrepublik, die die EU-Kommission im März veröffentlicht hat, unter anderem vor, die Regeln bei öffentlichen Ausschreibungen in EU-Europa weiter zu verschärfen. Offiziell heißt es, das sei nötig, um die Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards sicherzustellen.

Tatsächlich geht es darum, chinesischen Unternehmen den Zugang zu Aufträgen in der EU zu erschweren, weil sie sich zunehmend zu einem mächtigen Konkurrenten für EU-europäische Konzerne entwickeln.

Der zuletzt noch gesteigerte Protektionismus der EU gegenüber China trifft vor allem potentielle Investitionen. Anfang März hat der sogenannte Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, neue Regeln für ausländische Direktinvestitionen festgelegt. Demnach sollen auswärtige Unternehmen in der EU möglichst von »strategisch wichtigen Vorhaben« ferngehalten werden.
Zwar wird im jeweiligen Einzelfall die Entscheidungsgewalt letztlich beim betreffenden Mitgliedstaat verbleiben. Doch wird ein »Kooperationsmechanismus« geschaffen, der es der EU-Kommission ermöglicht, offiziell Stellung zu beziehen, wenn sie zur Auffassung gelangt, konkrete auswärtige Investitionen seien aus irgendeinem Grund nicht im Interesse EU-Europas.

Die betroffenen Mitgliedstaaten sind verpflichtet, etwaige Brüsseler »Bedenken« zur Kenntnis zu nehmen. Der politische Druck, der mit derlei »Bedenken« und »Kenntnisnahmen« in der politischen Praxis der EU vor allem in kleineren Mitgliedstaaten verbunden ist, wird in den neuen Regeln natürlich nicht erwähnt. In der VR China ist die Botschaft längst angekommen: Die chinesischen Investitionen in der EU gingen schon im vergangenen Jahr spürbar zurück.

Die Haltung zum Freihandel aber wurde schon immer von den jeweiligen ökonomischen Interessen und nicht von hehren Prinzipien bestimmt.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek