Blick in die Arbeitswelt

Ob dem Nachtwächter, der vor Tagen von seinem Vorgesetzten erfuhr, dass die übliche Jahresendprämie dieses Jahr spürbar gekürzt werde, oder dem jungen Handwerker, der in einem Zulieferbetrieb beschäftigt ist und genau wie mehrere seiner Kollegen im Januar kurzarbeiten muss, und damit zum wiederholten Male seit dem Beginn der kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftskrise deutliche Lohneinbußen in Kauf nehmen muss, beiden wurde die Weihnachtsstimmung verdorben.

Besser ist seit Tagen auch die Stimmung der allein erziehenden Verkäuferin nicht, der völlig unerwartet mitgeteilt wurde, dass deren zum Jahresanfang auslaufender Zeitvertrag entgegen aller Versprechen nicht verlängert wird. Und was glauben Sie, wie sich seit Tagen der LKW-Fahrer fühlt, der zum Jahresende mit seiner Familie in Urlaub fahren wollte, dessen Urlaub vor Tagen jedoch wegen »Not am Mann« kurzfristig gestrichen wurde?

Auch der Stahlarbeiter, dem ohne weitere Erklärungen mitgeteilt wurde, dass er im Januar in einen anderen Betrieb versetzt werde, hätte sich fröhlichere Feiertage gewünscht. Zumal er in wenigen Monaten in den Ruhestand treten wird und es vorgezogen hätte, die ihm verbleibende Zeit in gewohntem Umfeld arbeiten zu können.
Feierlaune dürfte auch keine unter den Angestellten einer ausländischen Bank herrschen, in welcher seit geraumer Zeit Gerüchte zirkulieren, dass in den kommenden Monaten ein Stellenabbau bevorstehen wird, keiner jedoch so richtig im Bilde ist, in welchen Abteilungen der Rotstift wüten, und wen es treffen wird.

Das sind einige Beispiele von vielen, die belegen, dass in der Arbeitswelt vieles im Argen liegt, das an der Regierung vorbeizugehen scheint. Dem Land würde es so gut gehen, wie schon lange nicht mehr, war nämlich beim Vorstellen des Koalitionsabkommens von Premier Bettel zu hören. Damit kann er jedoch auf keinen Fall die Situation in den Betrieben gemeint haben. Wer solches verkündet, verkennt die reelle Situation, verschweigt, dass sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren vielerorts verschlechtert haben.

Während des Wahlkampfs war den sogenannten staatstragenden Parteien die Situation in den Betrieben allerdings keine Silbe wert – sie befassten sich weder mit der den Schaffenden in einem immer größeren Maße aufgezwungenen Flexibilisierung, noch mit der zunehmenden Deregulierung der Arbeitszeitorganisation, die den Erwerbstätigen immer mehr zu schaffen macht. Kein Wort auch über das immer häufigere Überschreiten der gesetzlichen Arbeitszeiten, über stagnierende Löhne oder vorenthaltende Zuschüsse.

Analysiert man Wahlkampf und Koalitionsabkommen, so könnte man meinen, Arbeitsbedingungen und Wohlergehen der arbeitenden Menschen seien den Regierenden schnuppe. Sollte das nicht der Fall sein, wären die zuständigen Minister gut beraten, endlich mal einen Blick hinter die Betriebsfassaden zu wagen und öfters ein offenes Ohr für die Sorgen und Belangen der Schaffenden zu haben, statt sich vordergründig Gedanken über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen – in Wirklichkeit sind deren Profite gemeint – zu machen.

gilbert simonelli

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek