12. Oktober? Nichts zu feiern

Lateinamerika begeht den 12. Oktober inzwischen als »Tag des indigenen Widerstandes«12. Oktober 1492. Das erste von Dutzenden riesigen Schiffen kommt mit Christoph Kolumbus als Kapitän auf dem Kontinent an, der später Amerika genannt werden wird. Seither heißt es, dass »Amerika endeckt« worden sei. Mehr noch: In Spanien ist die Mehrheit bis heute stolz darauf, und man erinnert sich an dieses Ereignis, als ob es ein positiver Verdienst gewesen wäre. Doch natürlich war der Kontinent schon vorhanden, auf ihm lebten Millionen Einwohner. Nach der Ankunft der ersten Europäer begann die größte Kolonialisierung, die diese Welt jemals erlebt hat.

Dank dessen wurde Spanien mit seinen Kolonien in Mittel- und Südamerika zum wichtigsten Imperium der Welt, zum »Reich, in dem die Sonne nie untergeht«. Während des Franco-Regimes, dieser fast 40 Jahre dauernden Diktatur (1939-1976), wurde angeordnet, dass Spanien und seine ehemaligen Kolonien alljährlich am 12. Oktober den »Tag der Rasse« feiern sollte. Der Nationalfeiertag blieb auch mit dem Übergang zur Demokratie ab 1977 bestehen, nur der Name wurde auf »Tag der Hispanität« geändert.

Doch was gibt es zu feiern? Die Kolonialherren waren verantwortlich für blutigen und massiven Völkermord. Alle indigenen Völker wurden versklavt oder ausgerottet. Millionen Menschen wurden von ihrer Ressourcen und ihres Besitzes, ihres Reichtums, ihrer Kultur und ihres Lebens beraubt. Missionare zwangen ihnen die europäische Religion auf, die Benutzung europäischer Sprachen und Gesetze wurde erzwungen. Europäische Krankheiten wurden verbreitet. Die Eingeborenen verloren ihre Freiheit, ihre Geschichte, hunderte Sprachen und ihrer ursprüngliche Identität. Ist das ein Grund zum Feiern?

Stolz auf ihre Nation und ihre Geschichte sind vor allem in den letzten Tagen auch die spanischen Unionisten. Sie wollen ihre imperialistischen Ideen nun auch in Katalonien durchsetzen und die Unterwerfung der Katalanen erzwingen. In Barcelona und in Valencia schützte die spanische Polizei ultrarechte Banden. In Spanien darf man auch heute noch »Heil Hitler« und »Viva Franco« grölen, auch vor Polizisten. Am Montag drohte sogar der Sprecher der Regierungspartei PP, Pablo Casado, dem katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont mit dem Tod. Er müsse aufpassen, dass es ihm nicht so ergehe wie seinem Amtsvorgänger Lluís Companys. Dieser wurde 1940 im besetzten Frankreich von der Gestapo verhaftet, an die Franco-Faschisten ausgeliefert, gefoltert und von spanischen Soldaten erschossen. Bis heute hat niemand – auch keine »democratische« spanische Regierung – dafür um Vergebung gebeten.

Gerade am 12. Oktober kann man deshalb noch besser verstehen, warum viele Menschen in Katalonien die Unabhängigkeit von Spanien wollen und brauchen.