Flucht ins Autoritäre

Die Studie „Flucht ins Autoritäre“ des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig bestätigt eine Zunahme der Ausländerfeindlichkeit und der Abwertung von Muslimen. Die Studie unter der Leitung von Oliver Decker und Elmar Brähmer basiert auf Umfragen unter 2.419 repräsentativen Interviewpartnern mit deutscher Staatsbürgerschaft. Sie ist die Fortsetzung der sogenannten Leipziger Mitte-Studien und firmiert jetzt als „Leipziger Autoritarismus-Studie 2018“. Eine Stärke der Studie ist ihre Entwicklungsdynamik durch Vergleiche zwischen den Untersuchungen von 2002 bis 2018.

Die Studie entfernt sich vom Mitte-Begriff der Vergangenheit und legt ihren Schwerpunkt diesmal auf die autoritäre Dynamik in der Gesellschaft. Sie wendet sich nun der Analyse des Phänomens Autorität zu. Die Entlassung der Menschen aus den sozialen Sicherungssystemen und ihre Flexibilisierung zum unternehmerischen Selbst liefere die Menschen dem Markt aus, stärke die Sorge um ihren sozialen Status und mache sie für autoritäre Verführungen empfänglich.  Diese These, lasse aber zweierlei aus dem Blick: die historische Tiefe der Komplizenschaft, die die Menschen mit der Herrschaft eingehen und unter deren Druck sie gleichzeitig leiden und die autoritäre Dynamik der Gesellschaft, die das Einverständnis vieler Bürger habe. Diese Dynamik bringe rechtsextreme Einstellungen hervor, so die These der Studie. Abwertungsbereitschaft und autoritäre Aggressionen seien in der deutschen Bevölkerung stark verbreitet.  Eine Drittel der Bevölkerung erfülle sich ein bestehendes Kontrollverlangen mit Verschwörungstheorien, 25 bis 40 Prozent fehle das Verständnis für die Interessen anderer, wobei der Wunsch nach autoritärer Führung im Osten besonders hoch sei. Der AfD sei es gelungen, das schon lange vorhandene Potential mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild für sich zu nutzen.

Die Studie widmet sich zentral der Zunahme ausländerfeindlicher Positionen in der Gesellschaft. 24,1 Prozent der Bevölkerung zeigten demnach aktuelle ausländerfeindliche Einstellungen, 2014 nur 20,4 Prozent. Im Osten steigt dieser Wert von 22,7 Prozent in 2014 auf 30,9 Prozent in 2018 deutlich stärker an. Diese Werte werden methodisch gleichbleibend in der Leipziger Studie an den Behauptungen festgemacht, dass Ausländer den Sozialstaat ausnutzten, bei knapper werdenden Arbeitsplätzen zurückgeschickt werden sollten und die Bundesrepublik gefährlich überfremdet sei. Die Überfremdungsthese teilen mittlerweile manifest 44,6 Prozent der ostdeutschen Befragten und 33,6 der westdeutschen.

Einen weiteren Schwerpunkt der Studie bildet die Abbildung von Muslimfeindlichkeit in der Gesellschaft. Der Aussage, dass Muslimen die Zuwanderung untersagt werden sollte, stimmten im Westen mit 35,5 Prozent in 2014 und 42,2 Prozent in 2018 zu. Im Osten lag dieser Wert in 2018 bei 50,7 Prozent, war aber gegenüber 2014 mit 53,8 Prozent wieder leicht gesunken. Noch höher liegen die Vorurteilswerte bezüglich der These, dass sich Deutsche durch anwesende Muslime wie Fremde im eigenen Land fühlten. Der gesamtdeutsche Wert ist hierbei von 43 Prozent in 2014 auf 55,8 Prozent in 2018 gestiegen. Dies ist auch deshalb verwunderlich, weil die Einwanderung nach 2015 drastisch zurückgegangen sei, aber die Zuwanderung vom Muslima und Muslimen unvermindert als gesellschaftliche Veränderung wahrgenommen werde, so die Autoren.

Die Leipziger Studie untersucht die hohe Prävalenz von Antisemitismus in Deutschland. Etwa 10 Prozent der Bevölkerung stimmten antisemitischen Aussagen voll zu, bis zu 50 Prozent bei Umweg-Kommunikation. Bei teilweiser Zustimmung zu antisemitischen Aussagen liegen antisemitische Vorurteile deutlich höher: 25 Prozent im Westen und 40 Prozent im Osten. Unter Berücksichtigung der Umweg-Kommunikation liegen latente antisemitische Vorurteile in Ost und West mit bis zu 80 Prozent deutlich höher. Hieran wird deutlich, dass antisemitische Stereotype in versteckter Anwendung in großen Teilen der Bevölkerung latent abrufbereit sind.

Die Leipziger Studie widmet sich seit 2002 weiteren Indikatoren rechtsextremer Einstellungen.  Die Anfälligkeit gegenüber sozialdarwinistischen Vorurteilen hats sich deutschlandweit von 2002 bis 2018 auf 3,2 Prozent fast halbiert. Im Osten schwankt diese Anfälligkeit und liegt mit 4,6 Prozent höher. Bundesweit sinkt die Anfälligkeit für die Verharmlosung der NS-Diktatur seit 2002 kontinuierlich, ist im Osten aber mit 8,5 Prozent gegenüber dem Westen mit 5,4 Prozent deutlich stärker ausgeprägt. Chauvinistische Positionen bewegen sich seit 16 Jahren schwankend auf einem aktuellen Niveau von 19 Prozent der Bevölkerung. All diese Einstellungspotentiale sind durch geschickte rechtspopulistische Angebote politikwirksam abtrufbar.

Die Autoren der Studie resümieren, dass die bundesdeutsche Gesellschaft von rechtsextremen Positionen durchzogen sei. Ein großer Teil der Gesellschaft bekenne sich nicht eindeutig zur gleichberechtigten Stellung aller Menschen in der Gesellschaft. Gegenüber Gruppen, die als fremd wahrgenommen werden, beständen in Ost und West ausgeprägte Ressentiments. An diesen Punkten müssen Bildung, Medien und Politik zielgerichtet anknüpfen, um Vorurteile wirksam abzubauen.

Quelle:

VVN-BdA Landesvereinigung Mecklenburg-Vorpommern