Der Jahreswechsel und das Bedürfnis nach einem guten Leben

Schon wieder stehen wir an der Schwelle eines neuen Jahres – ein Moment, der sich dazu eignet, sowohl zurückzublicken als auch vorauszuschauen, was natürlich den engen Kader eines Leitartikels sprengt.

Kurz gefasst ist dennoch zu sagen, dass die Welt im Jahr des 200. Geburtstags von Karl Marx nicht gerechter wurde, dass Kriege nicht weniger wurden und Ausbeutung nicht geringer.

Die Krise des Kapitalismus nahm vielerorts schärfere Formen an, die innerkapitalistischen Widersprüche wurden größer, die Konkurrenz zwischen Kapitalgruppen wurde härter, und die Provokationen der imperialistischen Hauptmacht, der USA, gegen China haben inzwischen die Form eines Handelskriegs angenommen.

Auch die Europäische Union, ein Überbau, der dazu dient, die Interessen der Banken und Konzerne aus einem Teil des europäischen Kontinents durchzusetzen, gerät – nicht nur durch den Brexit – zunehmend aus den Fugen. Bestimmte politische und wirtschaftliche Eliten liebäugeln inzwischen wieder mit einer härteren Gangart und bedienen sich ideologischer Peitschen, die vom Misthaufen des Faschismus stammen. Parallel dazu nehmen unerhörter Reichtum und bittere Armut immer krassere Formen an.

Doch es gibt Widerstand gegen Ausbeutung und soziale Unterdrückung, auch wenn diese Entwicklung in ihrer Ausrichtung und ihrem Ausmaß sehr widersprüchlich ist. Nehmen wir zum Beispiel Frankreich, wo es dem Finanzkapital zwar gelang, seinen Interessenvertreter auf den Präsidentenstuhl zu setzen, es dann aber durch den sozialen Aufstand der »Gilets jaunes« zu Erschütterungen kam, die dem tiefen Bedürfnis der Schaffenden nach sozialer Gerechtigkeit und einem guten Leben entsprechen und vielleicht nur Vorbeben für größere gesellschaftliche Umwälzungen sind. Und das trifft nicht nur auf Frankreich zu.

Für Luxemburg gilt, dass die Regierenden noch mehr Spielraum haben als das in anderen Ländern der Fall ist und sie es sich daher noch immer leisten können, zu weniger rabiaten Maßnahmen und Methoden zu greifen, um die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern und aufrechtzuerhalten.

Aber der Spielraum wird kleiner, auch durch die zunehmende Abhängigkeit von Entscheidungen auf ­EU-Ebene und die internationalen Auswirkungen der Krise des Kapitalismus und seiner neoliberalen Spielart. Denn auch hierzulande bröckelt die Fassade, die Armut nimmt zu, die wirtschaftlichen Probleme eines Teils der Bevölkerung werden größer, und es gibt Anzeichen dafür, dass ein Teil der Gewerkschaftsbewegung in der Sozialpartnerschaft längst nicht mehr das Allheilmittel für die Lösung der wichtigsten Probleme der Schaffenden sieht.

Bis die Lohnabhängigen erkennen werden, dass sie nicht nur zahlenmäßig stark sind, sondern auch eine gesellschaftliche Kraft, die über alle Widerstände hinweg soziale Gerechtigkeit und eine Welt ohne Ausbeutung schaffen kann, wenn die Schaffenden an einem Strang ziehen und mit dem Kapitalismus brechen, wird wohl noch dauern.
Daran zu arbeiten, erfordert Einsatz und revolutionäre Geduld, besonders in Zeiten wie diesen. Aber wer will, dass Schritte in dieser Richtung erfolgen, dass die Gewerkschaft kämpferischer wird, die Kommunistische Partei stärker und die »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« eine größere Verbreitung findet, der muss persönliche Verantwortung übernehmen.

In diesem Sinne: Alles Gute für 2019.

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek