Eine Rose durch Verrat herausgerissen

Der Tod von Rosa Luxemburg steht für die rückweglose Wende der weltweiten Sozialdemokratie hin zum Verrat. Es war nicht nur ein Verbrechen, das in vollem Bewusstsein seiner historischen Tragweite begangen wurde, sondern es wurde auch zugunsten der Hegemonie der nach der Niederlage im Ersten Weltkriegs miteinander verbündeten bürgerlichen Arbeiterklasse und des großen Kapitals organisiert, um eine neue rechte Ordnung zu erreichen, den rigiden Staat des Nationalsozialismus (Nazi), der zur Auflösung Europas als Mittelpunkt der Welt führen würde.

An einem kalten Morgen des 15. Januar 1919 schrieb die Rote Rosa ihre letzten Zeilen zum Problem der Revolution auf dem Kontinent und, auch wenn Pessimismus durchschien, so sprachen sie doch von der Hoffnung, dass die Massen eines Tages aus der nationalistischen Lethargie und der Rachsucht erwachen würden, die sich über dem damals gedemütigten Deutschland auftürmten, und die Revolution ihre wahre Kraft zeigen und sagen würde: „Ich war, bin und werde sein“.

POLEN

Die Tatsache, dass Rosa Luxemburg in einem Land geboren wurde, das von Russen, Deutschen und Österreichern besetzt war, ließ sie die nationale Frage mit Misstrauen betrachten. Das „Revolutionärste“, das sie von vielen der Aufständischen gegen die ausländische Macht hörte, basierte auf der Wiederherstellung des feudalen polnischen Staates des 15. und 16. Jahrhunderts, der im damaligen Europa eine der reinsten Reminiszenzen der Leibeigenschaft des Großgrundbesitzes darstelle. Jenes politische Gebilde, das für die Ideen der Französischen Revolution undurchlässig war, wurde von drei modernen und autoritären Staaten verschlungen, die den Keim des entstehenden Kapitals enthielten.

Für Rosa bedeutete damals die nationale Frage einen Rückschritt und ihre Einschätzungen gründeten auf der Notwendigkeit, die konspirative sozialistische – und Arbeiterbewegung zu internationalisieren, um auf diese Weise schnell die Emanzipation der unterdrückten Klassen zu erreichen. Als sie dann in Deutschland lebte, einem Land, das seine Stärke aus der von Bismarck errichteten Einheit schöpfte, kam sie zu der Überzeugung, dass die Nationalismen nur Rückschritte auf dem Weg zu einer Revolution bewirken würden, die, angesichts des Stands der Dinge am Ende des 19. Jahrhunderts, unmittelbar bevorzustehen schien.

Tatsächlich wurde in Deutschland die Sozialdemokratische Partei zur stärksten und zahlenmäßig größten Linken weltweit, was bei allen Revolutionären Erwartungen erzeugte. Der Zuwachs besagter Kraft im Parlament führte zum Abgang der ultrakonservativen und Monarchie freundlichen Elementen im öffentlichen Raum, begünstigte aber auch das Abschließen von Verträgen zwischen jener Linken und der zentralen Staatsmacht. Es war das Prinzip des historischen Verrats der Sozialdemokratie am marxistischen Sozialismus.

Rosa, die sich nie als Polin und noch weniger als Deutsche fühlte, ermutigte diese mächtige Linke, sich in den Osten auszudehnen und die Länder unter der Ägide der alten feudalen Reiche wie dem russischen zu erfassen, und sah in der Massenbewegung von 1905 gegen den Zar den Anfang vom Ende der gekrönten Häupter und der übrigen europäischen Cäsaren. Der Pragmatismus der Führer und Ideologen der Sozialdemokratie wie Karl Kautsky kollidierten mit der Theorie von Luxemburg, was den Sozialismus als eine Kultur angeht, deren Idee über dem Nationalismus hinausgeht.

Für Kautsky war der Kampf gegen das Kapital „ein Verschleiß“, denn die Streiks hätten nur den Zweck, vorübergehend die Macht zu erschüttern, aber niemals ihren Sturz hervorzurufen, und die junge sozialistische Bewegung „wüsste nicht, was mit dem Vakuum an Autorität anzustellen sei“. Aber sie sah darin, was es war: Eine nie dagewesene Konzession an die konservative Macht seitens der Parteispitze, die damit begann, ihre Basis aufzugeben, während sie gleichzeitig Marx’ 11.These über Feuerbach revidierte (die Welt verändern). Die historischen Fakten haben die Verstandesschärfe der polnischen Revolutionärin bewiesen, die sich dem Reformismus Kautskys in zündenden und gefährlichen Polemiken entgegenstellte.

DIE SOZIALDEMOKRATISCHE STIMME ZUGUNSTEN DES REICHS

Viele von denen, die sich über die unpopuläre Kürzungspolitik mitten im 21. Jahrhundert wundern, die von der europäischen nicht marxistischen Linken angewandt wird, vergessen, dass besagter Verrat schon vor langer Zeit begonnen hat. Oder vielleicht liegt es ja auch gar nicht an mangelndem Erinnerungsvermögen, sondern an absichtlichem Vergessen, um den Zynismus nicht zuzugeben, mit dem seit damals die revolutionäre Frage seitens der Elemente gehandhabt wurde, die sich den Interessen des Kapitals verkauft haben.

Marx warnte, dass die ursprüngliche Akkumulation, die das Produkt der Plünderung der Dritten Welt war, den europäischen Arbeitern (einem Teil von ihnen) die Möglichkeit bot, sich zu verbürgerlichen, damit Interessen zu verteidigen, die weit entfernt von jeglicher Emanzipation lägen und nur hin zu einer nationalistischen, lokalen und egoistischen Verbesserung ihrer Lebensbedingungen führen würden. Der europäische Arbeiter wird so nicht nur einen konservativen Pseudosozialismus unterstützen sondern auch einen rigiden Faschismus, der einen Lebensstandard der Mittelklasse ermöglicht, wie wir dies aktuell in Europa erleben.  

Dies ist genau die Erklärung der deutschen Sozialdemokratie, nach deren Beispiel während des Kalten Krieges (1945-1991) auf dem Kontinent dasselbe Modell als ein Joker gegenüber dem marxistischen Sozialismus im Osten Europas errichtet wurde.

Die Sozialdemokratie sollte uns nicht überraschen, denn seit Beginn des Ersten Weltkriegs stimmte sie im deutschen Parlament dem Etat für eine Armee zu, dieselbe, die sich dann aufmachte, um Arbeiter und Bauern der anderen rivalisierenden imperialistischen Länder Europas zu töten. Diese Abstimmung ließ Rosa Luxemburg auf Distanz gehen und sie den Spartakusbund gründen, die Keimzelle der Deutschen Kommunistischen Partei (KPD), der sowohl von den Sozialdemokraten, wie den Ultranationalisten und den Monarchisten gehasst wurde.

Das deutsche Scheitern in den Schützengräben, das die Unmöglichkeit des Projekts des „Zusammenfließens“ unter Beweis stellte, brachte das Land an den Rand eines totalen Bürgerkriegs, wobei die revolutionären Kräfte bereit waren, die Macht zu übernehmen, aber die Jahre der sozialdemokratischer Regierungen und konservative Gewerkschaften, die mit der Macht paktierten, verhinderten die notwendige Einheit.

Auf einem an jenen vom Hunger geprägten Dezembermorgen 1918 in vielen Ecken Berlins angebrachten Plakat hieß es: „Wer Brot möchte, der soll den Kopf von Rosa Luxemburg bringen“. Die schwarze Geschichte des Nazismus begann damit, die revolutionären Sozialisten für die nationale Katastrophe verantwortlich zu machen, so wie es dann mit den Juden getan wurde. Das Schlimmste war, dass der Auftrag, dieses Plakat anzubringen, vom Präsidenten der Republik und Führer der Sozialdemokratischen Partei, einem ehemaligen Parteigenossen von Rosa, kam.

Wenige Tage später, ging eine Gruppe des Freikorps (Vorläufer der Nazi Sturmtruppen der SS) auf eine Frau von 47 Jahren zu, die da allein stand, spaltete ihr den Schädel mit Gewehrkolben und warf dann ihren blutüberströmten Körper in einen Berliner Kanal. Ein Genosse der Spartakisten sandte Lenin, dem Führer der Bolschewiken in Russland, eine Karte, in der er schrieb, dass sie „ihr Revolutionärsein bis aufs Äußerste lebte“.

Die Rose wurde herausgerissen, aber nicht die Hoffnung und noch weniger die Geschichte.

Quelle:

Granma Internacional