Die verschiedenen imperialistischen Interessen im Ukraine-Russland-Krieg

Kommentar von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)

Die Ukraine-Berichterstattung der bürgerliche Presse in den Ländern der EU und der NATO wird von historisch weitgehend ungebildeten und in der aktuellen Weltpolitik sachunkundigen Leuten dominiert. Ja, oft verdienen sie nicht einmal die Bezeichnung „Journalist“, weil sie nichts anderes tun, als die Propaganda der USA und anderer west-imperialistischer Staaten als Artikel oder Fernseh- bzw. Radiobeitrag wiederzugeben. Sich die Interessen der einzelnen weltpolitischen Akteure anzusehen, gehört nicht zu ihren Aufgaben, schon gar nicht sie zu analysieren. Einige wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.

Wir wollen uns hier kurz die Motivation einiger globaler Player ansehen:

Die militärisch und auch derzeit noch ökonomisch stärkste imperialistische Kraft ist die USA. Ihr Interesse an der militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine ist vielfältig. Russland soll in einen möglichst lang andauernden Krieg verwickelt und somit ökonomisch und militärisch geschwächt werden. Der ständige Waffennachschub für Kiew hält den Krieg am Laufen und fördert die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes, der großen Einfluss auf die Politik der US-Regierung hat. Gleichzeitig schickt man die europäischen Verbündeten in EU und NATO in eine kopflose Embargopolitik hinein, die diesen Ländern selbst großen Schaden zufügt, und nicht nur Russland. Was auch nicht unwichtig ist: Die stockreaktionären und russophoben Nachbarstaaten Russlands, namentlich Polen und die drei baltischen Staaten, werden aufgewertet. Ebenso Tschechien, die Slowakei und Slowenien, während die imperialistischen Partner und gleichzeitig Konkurrenzmächte Frankreich und Deutschland in ihrer europäischen Vorherrschaft etwas relativiert werden, wenngleich ganz besonders die Grünen und die FDP in der deutschen Bundesregierung alles dazu tun, bei den Hetzern gegen Russland, den Kriegshetzern und Waffenlieferanten in der ersten Reihe zu stehen.

Die Ukraine ist de facto eine Kolonie des Westens, und man hat sie in diesen Krieg hineingehetzt, mit verheerenden Folgen. Geschickt nutzten die USA die antirussischen und geschichtsrevisionistischen Stimmungen in der Ukraine. Da stören sie sich auch nicht an der Ehrung von Massenmördern an Juden, Russen, Sinti und Roma, Sozialisten und Kommunisten wie den Faschisten Stepan Bandera. Sie nehmen es hin, dass der ukrainische Präsident selbst mit Asow-Neonazis seine Grußbotschaft an das griechische Parlament verkündet und auch, dass er vor der israelischen Knesset den Krieg gegen die Ukraine mit dem Holocaust vergleicht. Es ist letztlich egal, was Selenskyj sagt, und welche Panik- und Chaos-Politik und Diplomatie er betreibt. Hauptsache, der Krieg wird am Laufen gehalten.

Die USA selbst leiden nicht so sehr an den Sanktionen wie die Europäer. Ihre Wirtschaft geht zwar auch gerade in eine große Krise mit hoher Inflation und Arbeitslosigkeit hinein, aber das hat vor allem hausgemachte Gründe. Die EU dagegen möchte gerne eine eigenständige europäisch-imperialistische Macht sein, was ihr aber höchstens ansatzweise gelingt. Zu widersprüchlich sind die Interessen der Mitgliedsstaaten, vor allem von Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien; und zu vernagelt sind die rechtsklerikalen Kräfte, als dass mit ihnen eine stringente EU-Politik zu machen wäre.

Frankreich und Deutschland verschaffen zwar ihren Waffenproduzenten ebenfalls volle Auftragsbücher, indem sie an die Ukraine liefern, was geht, aber ihre Kosten sind ungleich höher als die der USA. Die Embargopolitik trifft ihre großen Konzerne direkt, Exporte fallen weg, Billigimporte aus Russland und der Ukraine sind ins Stocken geraten. Hohe Inflation und Arbeitslosigkeit, ein Anwachsen der Staatsschulden durch die Waffenlieferungen und die Erhöhung der eigenen Rüstungsausgaben werden zu weiteren unsozialen Maßnahmen gegen die Werktätigen und unteren Volksschichten führen, zu Verschlechterungen in der staatlichen Gesundheitsversorgung, zum Abbau sozialer Dienste. Dort, wo die europäischen Konzerne bereits etabliert in der Eroberung neuer Märkte waren, nämlich in Russland und der Ukraine, woher sie billige Rohstoffe und Halbfertigprodukte bezogen, sind sie jetzt weg vom Fenster. Das alles trifft auch auf den österreichischen Minimundus-Imperialismus zu, denn auch hierzulande gab und gibt es potente Geschäftsinteressen in beiden kriegführenden Ländern.

China als die aufsteigende imperialistische Macht hat sich durch Kreditvergaben, Infrastrukturprojekte und Direktinvestitionen vor dem Krieg sowohl in Russland als auch in der Ukraine engagiert. Russland ist zudem ein wichtiger Lieferant von Öl, Gas, Bodenschätzen und Rüstungsgütern. Entsprechend zurückhaltend ist die Rolle Chinas. Die Staatsführung hält sich weitgehend aus dem Ukraine-Krieg heraus. Sie verurteilt nur den Krieg an sich. Der lächerliche Versuch der USA, China unter Druck zu setzen, damit es sich den westlichen Sanktionen gegen Russland anschließt, wurde in Peking weitgehend ignoriert. China hält aber immer wieder fest, dass es die EU und die NATO für die treibenden Kräfte hält, die auf diesen Krieg hingearbeitet haben und ihn am Leben erhalten. Chinesische Konzerne wie Huawei ziehen sich vom russischen Markt zurück, weil sie um ihre Geschäfte in den USA und Europa fürchten. Gleichzeitig bekräftigt das offizielle China seine guten Beziehungen zu Moskau und hält die Handelswege offen. Geschäfte werden in den beiden Landeswährungen abgewickelt, was den Dollar weiter schwächt.

Ähnlich verhält es sich mit Indien. Russland ist ein wichtiger Handelspartner, sowohl was den Export als auch den Import angeht. Die indischen Regierungen statten ihr Heer seit langem, bis in die Sowjetunion zurückreichenden Zeiten, mit russischen Waffensystemen aus, so werden aktuell mehrere Exemplare des russischen Flugabwehrsystems S‑400 geliefert. Aber auch die Ukraine gilt als wichtiger Handelspartner. Indien ließ sich trotz massivem Druck aus den USA bislang ebenfalls nicht auf die Seite des Westens und damit der Sanktionen ziehen. Dasselbe gilt für die regionalen imperialistischen Mächte Türkei und Pakistan.

Durch die gemeinsame Struktur der wirtschaftlichen Kooperation BRICS sind China, Indien, Brasilien und Südafrika lose mit Russland verbunden. Keines dieser Länder hat sich bisher an den Sanktionen gegen Russland beteiligt, so wie der überwiegende Teil der Staaten weltweit.

Damit zu Russland. Die historische Erzählung, derer sich Putin bedient ist keine, die in der Traditionslinie der Bolschewiki und der Sowjetunion steht, ganz im Gegenteil, er ist strikter Antikommunist. Um vor allem die ältere Generation in ihrer Verbundenheit zur und Trauer um die Sowjetunion an sich zu binden, bedient er sich verschiedener Signale, die an die UdSSR scheinbar anknüpfen. So trägt die russische Armee nach wie vor den Roten Stern der Roten Armee auf den Mützen, so wurde die Melodie der Hymne der Sowjetunion mit einem reaktionären, religiös und und nationalistisch verbrämten Text als Hymne Russlands wiedereingeführt, und er gibt sich als Staatsmann eines großen Reiches. Das trifft zwar auf die Größe des Landes und seine militärische Stärke als Atommacht zu, nicht jedoch auf seine wirtschaftliche Prosperität. Da ist Russland gegenüber seiner Zeit als Sozialistische Sowjetrepublik sogar zurückgefallen; die Lebenserwartung ist in den letzten 30 Jahren drastisch gesunken, gesellschaftliche Aufgaben wie die soziale Fürsorge, das Gesundheitswesen und die Armutsbekämpfung wurden auf ein Minimum zurückgefahren.

Putins Erzählung ist nicht die der Völkerfreundschaft und des Zusammenhalts in der Sowjetunion. Sein Ziel ist ein starkes russisches Imperium mit abhängigen Satellitenstaaten vor allem in der eurasischen Region, aber auch in anderen Teilen der Erde. So ist es zwar richtig, dass der seit 2014 währende Krieg im Donbass auf ukrainischer Seite von Russenhass und Rechtsradikalismus geprägt war. So mag es stimmen, dass die Ukraine Pläne hatte, die „Volksrepubliken“ und die Krim zurückzuerobern. Das heißt aber nicht, dass der russische Einmarsch in der Ukraine gerechtfertigt ist. Auch als Reaktion auf die immer weitere Ostausdehnung der NATO wird der Krieg nicht viel bringen, da jetzt andere Länder an der Grenze Russlands von einem NATO-Beitritt sprechen, nämlich Finnland und Schweden.

Der Krieg herrscht längst zwischen NATO und Russland, indem die NATO und viele ihrer Mitgliedsstaaten Milliarden an Rüstungs- und Wirtschaftshilfe nach Kiew pumpen. Auch das britische Empire träumt von alter Größe und schickt Waffen und Milliarden Pfund. Die Ukraine selbst ist längst ein gescheiterter Staat. Bereits vor dem Krieg war es hoffnungslos den westlichen Mächten gegenüber verschuldet, konnte seine Schulden kaum mehr bedienen und war dominiert von Korruption und barbarischer Gewalt. Finanzhilfen der EU landeten großteils in den Taschen korrupter Politiker und Oligarchen. Vor allem russischsprachige Bürger, aber auch politisch Andersdenkende wie Kommunisten und Gewerkschafter wurden und werden verfolgt, gefoltert, ermordet. Die Schulden, die jetzt während des Krieges auflaufen, werden eines Tages eingefordert werden, denn die imperialistischen Kräfte haben nichts zu verschenken. Wie unter einem Fronherrn wird die Ukraine bluten, verarmen und am Tropf des Westens hängen.

Wie Russland aus dem Krieg hervorgehen wird, lässt sich noch nicht sagen. Offenbar soll der Südosten der Ukraine abgetrennt und in welcher Form auch immer einer neuen Staatlichkeit zugeführt werden. Das ist, selbst bei einem „Sieg“ Russlands im Krieg, mit enormen Kosten verbunden. Zerstörte Städte und Industrien müssen in den eroberten Gebieten wiederaufgebaut, Infrastruktur wiederhergestellt werden. Andererseits befindet sich in der Region Donbass das Herz der ukrainischen Industrie. Bereits die Krim verursachte Russland seit ihrer Einverleibung 2014 enorme Kosten. Dass auch Russland beziehungsweise die Arbeiterklasse und die unteren Volksschichten die Kriegsfolgen hart spüren werden, steht außer Frage. Wie auch immer der Krieg ausgeht, Gewinner werden die imperialistischen Konzerne aller beteiligten Staaten sein, die Verlierer die Völker.

Die einzige Kraft, die dem Imperialismus und seinen größeren und kleineren Räuberstaaten das Handwerk legen kann, ist die Arbeiterklasse der Welt. Sie muss zur Erkenntnis gelangen, dass sie handelndes – revolutionäres ‑Subjekt der Geschichte ist, wenn sie sich entsprechend organisiert, und nicht ein Objekt der Mächtigen.

Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte, schrieb Karl Marx. Die größte Lokomotive, die der sozialistischen Weltrevolution, ist noch nicht gestartet, ja, sie ist noch gar nicht gebaut, aber sie wird früher oder später Fahrt aufnehmen und damit den Kriegen, der Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende setzen.

 

Quelle: Zeitung der Arbeit