Schleusenöffner der Konterrevolution

Kommentar von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), zum Tod des ehemaligen Generalsekretärs der KPdSU und Präsidenten der Sowjetunion, Michail Sergejewitsch Gorbatschow.

Am 30. August starb Michail Sergejewitsch Gorbatschow in einem Moskauer Krankenhaus im Alter von 91 Jahren. Als er im März 1985 mit 54 Jahren zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt wurde, weckte er viele Hoffnungen auf Veränderungen in der sozialistischen Welt und unter Kommunistinnen und Kommunisten weltweit. Nach den Jahren der Stagnation unter Langzeit-Generalsekretär Leonid Breschnew amtierten nach ihm jeweils nur sehr kurz Juri Andropow und Konstantin Tschernenko als KPdSU-Generalsekretäre. Alle drei waren bereits in einem sehr fortgeschrittenen Alter und starben im Amt. Gorbatschow strahlte im Vergleich dazu jugendliche Frische aus. Er war ein guter Redner, der nicht nur vom Blatt herunterlas, und versprach den 286 Millionen Sowjetmenschen eine Ära des Aufbruchs und der Prosperität. Er verbot ihnen Bier, Schnaps und Wein, ließ Brauereien schließen und uralte Weinkulturen – etwa auf der Krim – roden. Wirtschaftlich gelang in den ersten Jahren eine Steigerung der Produktivität, ab 1989 begann jedoch der Niedergang. Auch seine eigenwillige Anti-Alkohol-Kampagne endete als Desaster und sein Stellvertreter Jegor Ligatschow beendete sie mit den Worten, dass sich der Arbeiter nach Feierabend sein Bier verdient habe.

Gorbatschow forcierte die Abrüstung eines Teils der Atomwaffen gemeinsam mit den USA und er gab als sein Ziel ein gemeinsames Haus Europa aus, in dem alle Völker des Kontinents friedlich zusammenleben sollten. Dazu kam es nie. Gorbatschow, der schnell zum Liebling westlicher Spitzenpolitiker wurde, fuhrwerkte in der Ökonomie des Riesenlandes ohne Konzept und Plan wild herum. Alte Strukturen wurden zerschlagen, neue nicht geschaffen. Seine großartigen Versprechungen von Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Erneuerung) waren für Festreden gut, für die Realität der Völker der Sowjetunion taugten sie immer weniger, weil niemand mehr daran glaubte.

Die zentrifugalen Kräfte in der KPdSU gewannen Oberhand, und unter der Führung des russischen Parteichefs Boris Jelzin erklärten die drei größten Sowjetrepubliken Russland, Ukraine und Aserbaidschan das Ende der Sowjetunion, ohne die anderen Republiken zu fragen. Die baltischen Republiken Lettland, Estland und Litauen lösten sich mit Zustimmung Gorbatschows aus der Sowjetunion heraus und bildeten eigene Staaten. Im Jahr 1990 hatte sich Gorbatschow noch zum ersten und letzten Präsidenten der Sowjetunion wählen lassen, ehe er 1991 ein schmähliches politisches Ende fand. Jelzin, der inzwischen das Gesetz des Handelns an sich gerissen hatte, zwang ihn sogar, das Verbot der KPdSU zu verfügen. Die Perestroika war bankrott, die Sowjetunion Geschichte. Der Zerfall sämtlicher sozialistischer Länder Europas folgte.

Gorbatschow prahlte später damit, dass sein Ziel die Ausrottung des Kommunismus gewesen sei. Ob dies der Wahrheit entspricht, darf bezweifelt werden. Vielmehr ging es ihm wie dem Zauberlehrling. Der Besen spielte verrückt. Und der Besen war in Gestalt von Jelzin erschienen, der Gorbatschow auch außenpolitisch längst als Liebling des Westens abgelöst hatte. „Gorbi“ wurde nicht mehr gebraucht, er hatte seine Rolle als Schleusenöffner der Konterrevolution erfüllt.

Was folgte, waren bittere Jahre für die Völker der Sowjetunion. Ehemalige Parteifunktionäre sicherten sich autokratische Herrschaftsverhältnisse und bedienten sich im großen Stil am Volksvermögen. Es gab auf einmal „Oligarchen“, die schnell sehr reich geworden waren, indem sie sich Fabriken, Immobilien, Grundbesitz und andere Vermögenswerte billig unter den Nagel rissen.

Die Ära der Menschheit, die mit der Oktoberrevolution 1917 in Petrograd eingeleitet wurde, endete mit dem Verbot der KPdSU 1991 in Moskau. Zwischen diesen beiden Jahreszahlen standen großartige Leistungen des Sozialismus und die Niederschlagung des Faschismus durch die Rote Armee der Sowjetunion. Die Ära des Frühsozialismus von 1917 bis 1991 wird unsterblich in der Geschichte verankert bleiben. Der verstorbene Michail Sergejewitsch Gorbatschow wird dabei auch Erwähnung finden, nicht als Held, sondern als Verräter der Werte des Sozialismus und der Arbeiterklasse. Das kapitalistische Herrschaftssystem mit seiner hemmungslosen imperialistischen Ausbreitung hat 1991 einen Zwischensieg errungen. Die Arbeiterklasse bekam das weltweit zu spüren. Die Ära des Sozialismus hat aber erst begonnen, und der Kapitalismus wird, wie einst der Feudalismus, früher oder später ganz absterben, auch wenn es noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern sollte.

 

Quelle: Zeitung der Arbeit