Irgendwann ist jetzt!
Übernommen von Unsere Zeit:

Eine Initiative friedensbewegter Sozialdemokraten nutzte den Berliner Parteitag der SPD für ihren Protest gegen den Kriegskurs: Aktive aus der Kampagne „Mehr Diplomatie wagen!“, die über 1.800 Unterzeichner aus der SPD sammeln konnte, setzten ein klare Zeichen für Abrüstung und Friedenspolitik. Mit dabei war auch der Kölner Deutschlehrer und friedensbewegte Sozialdemokrat Peter Förster.
UZ: Peter, ihr wart die Störenfriede für Frieden auf dem SPD-Parteitag: Sozialdemokraten, die sich gegen den ungehemmten Hochrüstungs- und Kriegskurs stellen. Wie sah euer Protest aus?
Peter Förster: Unser Protest hatte zwei zentrale Säulen. Zum einen führten wir eine Aufklärungskampagne durch – mit Flyern, auf denen wir Schlüsselpassagen aus völkerrechtlichen Dokumenten wie den Helsinki-Verträgen oder der Charta von Paris abdruckten. Diese Texte der Entspannungspolitik machen deutlich: Echte Sicherheit ist nur gemeinsam möglich, durch Dialog und kooperative Konfliktlösung, nicht durch militärische Stärke.
Zum anderen setzten wir auf sichtbare Symbolik: Mit Pickelhauben und wilhelminischen Bärten, streng aufgestellt und salutierend. Diese Aktion diente als doppelte Kritik – sie entlarvte sowohl den militaristischen Drill als auch den modernen Technokratiewahn in der Politik, der letztlich nur zur Entmenschlichung und Vereinzelung führt. Und es hat Eindruck gemacht, dass wir als organisierte Gruppe auf dem gesamten Parteitag mit roten T-Shirts und der Aufschrift „Abrüsten! Irgendwann ist jetzt!“ immer sichtbar und ansprechbar waren. „Nie wieder ist jetzt“ wird instrumentalisiert, um palästinensische Solidarität zu denunzieren – dabei ist diese Solidarität in meinen Augen vor allem eines: menschliche Solidarität. Durch die permanente Verschiebung friedenspolitischer Forderungen in eine unbestimmte Zukunft („Irgendwann, aber nicht jetzt“) wird der Status quo zementiert. Gleichzeitig dient die aktuelle Krisenrhetorik dazu, kritische Stimmen zu marginalisieren. Dabei wäre gerade jetzt der Zeitpunkt, um über echte Alternativen zur militärischen Eskalation nachzudenken – anstatt Friedenspolitik immer wieder als Utopie für spätere Zeiten zu verbuchen.
UZ: Wie haben die Delegierten auf eure Aktionen reagiert?

Peter Förster: Ich habe das noch nie erlebt, dass sich so viele Leute spontan unseren Aktivitäten angeschlossen haben. Das war eine absolut irre Erfahrung. Es zeigt, wie groß das Bedürfnis nach echter politischer Zusammenarbeit ist. Man muss sich das vorstellen: Diese Parteitage sind normalerweise eine gruselige Angelegenheit – trotzdem kommen linke Menschen allein nach Berlin, opfern ihr ganzes Wochenende und hoffen, dort vielleicht Gleichgesinnte zu treffen. Das ist für mich ein klares Zeichen dafür, dass viele auf linke Initiativen und Perspektiven warten.
Mein Eindruck ist: Die größte Herausforderung, die wir zu bewältigen haben, ist vor allem eine kulturelle. Denn die Kriegsbefürworter argumentieren ja eigentlich gar nicht – sie haben keine stichhaltigen Begründungen. Stattdessen arbeiten sie mit Einschüchterung. Wer nicht ihrem Kurs folgt, wer Krieg ablehnt und stattdessen auf argumentative, kooperative Lösungswege setzt – der wird sofort als Spinner und Loser abgestempelt. Genau darin sehe ich den entscheidenden Punkt. Es geht nicht um sachliche Diskussion, sondern um kulturelle Dominanz. Wer friedliche Ansätze vertritt, wird lächerlich gemacht, obwohl diese Haltung eigentlich die einzig zeitgemäße ist. Das ist der Kern des Problems, den wir überwinden müssen.
UZ: Bereits im Vorfeld des SPD-Parteitags sorgten einige bekannte Sozialdemokraten mit einem Manifest für Diplomatie und Abrüstung für schlechte Stimmung …
Peter Förster: Ich denke, das Manifest hat eine längst überfällige gesellschaftliche Debatte neu entfacht, die zwar latent vorhanden war, aber durch die Wahl von Friedrich Merz etwas in den Hintergrund gedrängt wurde. Vielen Menschen hat es damit aus der Seele gesprochen. Auch wenn mir persönlich das Manifest nicht weit genug geht, weil es noch sehr am Maßstab der Verteidigungsfähigkeit stehen bleibt. Dabei ist die entscheidende Frage unserer Zeit nicht, wie wir uns verteidigen können, sondern wie wir echte Kooperation und einen positiven Friedensbegriff verwirklichen – als Ausweg aus dieser zerstörerischen Eskalationsspirale.
Das Problem am Verteidigungsdenken ist: Es bleibt im Grunde im selben bedrohlichen Szenario gefangen, wo sich alle Seiten gegenseitig als Gefahr betrachten. Solange wir nur über Abschreckung und militärische Stärke reden, kommen wir nicht aus diesem Teufelskreis heraus. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, neue Formen des friedlichen Zusammenlebens zu entwickeln, die über das alte Schema von „Wir gegen die anderen“ hinausgehen. Nur so können wir diesen gefährlichen Kreislauf aus Misstrauen und Aufrüstung durchbrechen.
Als jemand, der seit knapp 20 Jahren Sozialdemokrat ist, finde ich allerdings besonders bemerkenswert, wie stark die Aufmerksamkeit jetzt wieder auf die SPD gerichtet ist – in der gesamten Gesellschaft, in den Medien, aber auch im persönlichen Umfeld unter Kollegen und im Alltag. Das ist schon beachtlich: Hier wird eine Partei, die aktuell nur bei 16 Prozent steht, plötzlich wieder als relevant wahrgenommen. Man fragt sich: Welche Stimmen gibt es eigentlich noch in der Sozialdemokratie?
Interessanterweise hat dieser Diskurs trotz – oder vielleicht gerade wegen – der medialen Hetze gegen das Manifest neue Dynamik bekommen. Die Umfragen zeigen ja, dass die Zustimmung zum Manifest kontinuierlich wächst, je mehr darüber diskutiert wird. Das Manifest hat damit eine Debatte eröffnet, die weit über die eigentliche Parteipolitik hinausgeht und grundsätzliche gesellschaftliche Fragen aufwirft. Das sah man auch bei der Abstimmung über einen Initiativantrag, der das verrückte 5-Prozent-NATO-Ziel ablehnte: Das war in der ersten Abstimmung so knapp, dass nochmal ausgezählt werden musste. In der zweiten Abstimmung waren es dann 35 Prozent, die ihr klares Nein zum Ausdruck brachten. Mein Eindruck war, dass sich ein Durchbruch nur durch Einschüchterung vorerst verhindern ließ.
UZ: Inwiefern spielte der andauernde Völkermord in Gaza auf dem Parteitag und unter den Delegierten eine Rolle?
Peter Förster: Auf dem Parteitag gab es eine intensive und wichtige Debatte über den Genozid in Gaza. Viele Genossen brachten sehr persönlich zum Ausdruck: Menschen sterben dort jeden Tag – und das darf nicht weiter geschehen. Eine Genossin sagte mit bewegenden Worten: „Wir können nicht länger schweigen. Das muss aufhören.“ Diese klare moralische Haltung war eindrücklich.
Doch leider reichte es trotz dieser emotionalen Debatte nicht für konkrete Beschlüsse: Weder wurde ein klares Nein zu Waffenlieferungen verabschiedet, noch gab es ausreichend Diskussion über das EU-Assoziierungsabkommen. Dennoch ist es entscheidend, dass diese Debatte überhaupt stattfand. Wir müssen unbedingt weiter darauf drängen, dass dieser brutale Völkermord gestoppt wird – die schlimmste Entmenschlichung unserer Zeit.
Besonders erschreckend ist, wie diese systematische Verletzung aller seit 1945 geltenden Normen plötzlich als „neue Normalität“ akzeptiert werden soll. Das ist ein Frontalangriff auf unsere Zivilisation und alles, was menschliches Zusammenleben ausmacht. Als Friedensbewegung – im Bündnis von Kommunisten, Sozialdemokraten und allen Humanisten – müssen wir jetzt mutig vorangehen, das Schweigen brechen und alles tun für einen sofortigen Waffenstillstand. Nur so kann ein gerechter Frieden für alle entstehen.
Mehr Infos zu „Mehr Diplomatie wagen – Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für Diplomatie und Deeskalation“ gibt es unter: mehr-diplomatie-wagen.de
Quelle: Unsere Zeit