Hunderttausende bei Maikundgebungen des DGB

DGB-Maidemo in Würzburg. Foto: RedGlobeBundesweit haben sich rund 360.000 Menschen an den knapp 500 Veranstaltungen und Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum 1. Mai beteiligt, die in diesem Jahr unter dem Motto »Wir sind viele. Wir sind eins« standen. Diese Teilnehmerzahl nannte der DGB gegen Mittag.

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sprach sich für mehr Steuergerechtigkeit aus. Angesichts der hohen Vermögen und Erbschaften sei es an der Zeit, dass »Reiche und Superreiche sich an der Finanzierung eines handlungsfähigen Staates angemessen beteiligen«, forderte Hoffmann auf der Hauptkundgebung des DGB in Gelsenkirchen. Eine stärkere Belastung der höheren Einkommen, eine Vermögenssteuer und Erbschaftsteuer sowie eine dringend notwendige Entlastung der mittleren Einkommen sei ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in Deutschland. Das Geld werde für Investitionen gebraucht, erklärte Hoffmann, »in die Infrastruktur, in Bildung und in bezahlbare Wohnungen. Allein hier müssen, um den Bedarf zu decken, 400.000 pro Jahr gebaut werden.«

Mehr Maßnahmen für einen gerechten Arbeits- und Ausbildungsmarkt forderte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack auf der Mai-Kundgebung des DGB in Berlin. »Fast drei Millionen, vor allem Frauen und junge Menschen, haben nur befristete Arbeit. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte zwischen 15 und 24 Jahren arbeitet mit Zeitvertrag. Diesen Befristungs-Irrsinn darf die Politik nicht länger dulden. Die sachgrundlose Befristung gehört abgeschafft«, erklärte Hannack. Überfällig sei auch eine Reform der Minijobs. »Solche Arbeitsverhältnisse sind schlecht sozial abgesichert, sie produzieren Armut im Alter. Deshalb brauchen wir hier die Sozialversicherungspflicht ab dem ersten verdienten Euro.«

Den Klagen der Unternehmer, sie fänden keine Auszubildenden mehr, hielt Hannack entgegen: »Mehr als 1,2 Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Die Zahl der ausbildenden Betriebe ist auf 20 Prozent abgesackt. Das sind unhaltbare Zustände. Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen, bilden Sie wieder mehr aus!« Die Unternehmen müssten ihre Bestenauslese beenden und auch jungen Menschen mit einem Hauptschulabschluss die Chance auf eine Ausbildung geben. Nur knapp jeder zweite von ihnen schafft den Sprung von der Schule in die Ausbildung. »Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen die Perspektiven auf einen Berufsabschluss gibt«, forderte die Gewerkschafterin.

Mehr Investitionen in Bildung, bezahlbare Wohnungen, Infrastruktur und in den öffentlichen Dienst verlangte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell auf der Mai-Kundgebung in Bremerhaven. »Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. Damit unsere Demokratie handlungsfähig bleibt und unsere staatlichen Institutionen ihre Aufgaben erfüllen können, brauchen Bund, Länder und Kommunen mehr Geld.« Staatsaufgaben nicht über Steuern, sondern über Gebühren oder eine Straßenmaut zu finanzieren, lehnte der Gewerkschafter ab. »Gebühren – egal ob fürs Schwimmbad, die Kita, die Bücherei oder Abwasser und Müll – belasten schmale Schultern immer mehr als die Leute mit dem dicken Geldbeutel. Alle politisch Verantwortlichen müssen endlich kapieren, dass dieser Staat nicht funktioniert, wenn nur die Reichen noch unbeschwert und sorgenfrei in ihm leben können. Wir wollen keine Armenviertel und keine geschlossenen Viertel für Reiche. Wir wollen mehr sozialen Wohnungsbau. Wir wollen wieder mehr bezahlbare Wohnungen, auch in den Stadtzentren«, forderte Körzell. Wohnen dürfe nicht zum »Luxusgut« verkommen. Jährlich müssten 400.000 bis 450.000 neue Wohnungen gebaut werden, besonders im bezahlbaren Mietsegment.

Zum Vorhaben der Bundesregierung, die Verwaltung der Autobahnen in einer privaten Infrastrukturgesellschaft zu bündeln, sagte Körzell, »jede Form der Privatisierung von Autobahnen muss verhindert werden«. Der Staat dürfe diese Hoheitsaufgabe nicht dem Gewinnstreben von Banken und Versicherungskonzernen opfern. Die Arbeitsplätze und Kompetenzen in den bisher zuständigen Landesbehörden müssen erhalten bleiben. »Sie sind unverzichtbar, um die jahrzehntelang auf Verschleiß gefahrene Infrastruktur zu sanieren. Freilich brauchen wir dafür auch mehr öffentliche Investitionen.«

Mit Blick darauf, dass in Deutschland 2,6 Millionen Kinder in Armut leben, sagte Körzell: »Es ist beschämend, dass die Politik offensichtlich diejenigen vergisst, die noch keine eigene Stimme haben und die besonderen Schutz brauchen. Kinderarmut und die damit oft verbundene prekäre Situation Alleinerziehender darf es in Deutschland nicht mehr geben. Geld ist genug da. Es muss nur bei denjenigen geholt werden, die es im Überfluss horten. Eine gerechte Steuerreform ist überfällig.«

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach verlangte auf der Maifeier in Salzgitter einen Kurswechsel in der Rentenpolitik und das Ende sachgrundlloser Befristungen. »Das Rentenniveau darf nicht noch weiter in den Keller gehen. Wer jahrzehntelang geschuftet und in die Rentenkasse eingezahlt hat, muss dann auch eine Rente bekommen, die ein Leben in Würde möglich macht«, sagte Buntenbach. »Der Kern der Alterssicherung ist die gesetzliche Rentenversicherung, sie bietet immer noch die beste Rendite.« Die private Vorsorge habe dagegen alle Erwartungen enttäuscht und müsse ausschließlich von den Versicherten geschultert werden.

Im Umgang mit der AfD sprach sich Buntenbach für »klare Kante« aus: »Sozial ist an dieser Partei gar nichts. Seit sie die sogenannten kleinen Leute als Zielgruppe ausgemacht hat, versucht sie dort mit wohlklingenden Allgemeinplätzen zu punkten. Aber sobald es konkret wird, taucht sie weg, um es sich nicht mit ihren neoliberalen Unterstützern zu verscherzen. Die AfD verspricht das Blaue vom Himmel. Was am Ende des Tages bleibt, ist nur das Braune unterm Fingernagel.«

Der Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, forderte auf der Maikundgebung des DGB in Essen »soziale Sicherungssysteme, die den Namen auch verdienen – und nicht mit Ungewissheit und Belastung verbunden werden«. So kritisierte er das aktuelle Gezerre um das Gesetz zur Stärkung der Betriebsrenten. Das von der Koalition bereits Ende 2016 beschlossene Vorhaben, nachdem Gewerkschaften und Unternehmer Angebote für die Beschäftigten aushandeln können, werde von der Versicherungswirtschaft und der CSU bekämpft. Dies sei unverantwortlich, so Vassiliadis. »Die CSU bringt einen mühsam austarierten Kompromiss wieder ins Wanken – nur um ihre Lobby zu bedienen. Wenn sie jetzt nicht in die Schranken gewiesen wird, droht das ganze Projekt zu scheitern. Dann haben wir gar nichts in der Hand, um die zweite Säule der Altersvorsorge zu festigen – und das mitten in einem Nullzinsumfeld. Das birgt sozialen Sprengstoff.« Vassiliadis setzte sich zudem für die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung ein. »Wir werden nicht akzeptieren, dass die Arbeitnehmerschaft allein alle künftigen Beitragssteigerungen tragen soll, und die Arbeitgeber sich aus der Verantwortung stehlen.«