Liberalisierung bis zum Gehtnichtmehr?

Die Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten Jahren aufgrund der zunehmenden Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitszeitorganisation massiv verschlechtert. In letzter Minute abgeänderte Schichtpläne, unregelmäßige Arbeitszeiten und häufig wechselnde Schichtdauern gehören heute vielfach genauso zum Arbeitsalltag wie Personalmangel, Mehrarbeit, nicht vergütete Überstunden, gekürzte Ruhepausen oder gestrichene freie Tage.

Arbeitsbedingungen, die nicht allein zur Folge haben, dass immer größere Teile der Beschäftigten Probleme damit haben, Beruf, Privatleben und Freizeit in Einklang zu bringen, auch sind sie immer häufiger die Ursache von gesundheitlichen Beschwerden. Eine Entwicklung, die bereits vor vielen Jahren die »Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen« (Sitz in Dublin) dazu bewog, die Alarmglocke zu ziehen. Ihre damalige Forderung nach einer breitgefächerten Debatte, in deren Mittelpunkt die Qualität der Arbeitsplätze unter Berücksichtigung des zunehmenden Wettbewerbs und des sich im Eiltempo verändernden Beschäftigungsmusters stehen müsse, blieb allerdings ungehört. Sie stieß bis dato bei Regierungsparteien und Patronat auf taube Ohren.

Eine Wende zum Positiven ist deshalb nicht zu erwarten. Eher ist das Gegenteil zu befürchten, wie es die Entwicklung im Handel zeigt. Nicht nur sind heute die Supermärkte jeden Sonntag – auch zu Ostern und Pfingsten – bis 13.00 Uhr geöffnet, auch an Samstagen und am Vorabend von Feiertagen gelten seit einigen Jahren längere Öffnungszeiten.

War früher um 18.00 Schluss, so ermöglichte von Juli 2010 bis Ende Juni 2012 eine Sonderregelung, dass die Geschäfte probeweise bis 20.00 Uhr geöffnet sein durften. Als dann die anschließenden Verhandlungen für eine definitive Regelung zwischen Patronat und Gewerkschaften scheiterten, beschloss damals die zuständige Ministerin, ohne die Salariatsvertreter in diesem Sinne im Voraus zu konsultieren, die Schließstunde an Samstagen und am Vorabend von Feiertagen gesetzlich auf 19.00 Uhr festzulegen. Diese könne sogar um eine Stunde verlängert werden, wenn es der Kollektivvertrag ermögliche. So oder so sind seither alle Supermärkte bis 20.00 Uhr geöffnet.

Die Erwerbstätigen im Handel, die größtenteils kaum mehr als den Mindestlohn verdienen, sind nicht zu beneiden. Nicht nur haben Betriebsklima und Arbeitsbedingungen in vielerlei Hinsichten die Grenze des Zumutbaren bereits deutlich überschritten, auch wurde die Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitszeitorganisation massiv vorangetrieben, ohne zuvor die erforderlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Fehlende Kinderkrippen und Tagesstätten, in denen Kinder auch während den abendlichen Öffnungszeiten sowie an den Wochenenden betreut würden, während ihre Eltern arbeiten müssen, belegen dies in aller Deutlichkeit.Und es kann noch schlimmer werden. Denn trotz aller schon heute bestehenden Probleme sind längere Ladenöffnungszeiten, so wie sie von Teilen des Patronats gefordert werden, in Zukunft nicht völlig auszuschließen. Immerhin steht die DP von Premierminister Bettel seit jeher – auch in ihrem jetzigen Wahlprogramm – für die totale Liberalisierung der Öffnungszeiten aller Geschäfte in Luxemburg.

Heuchlerich schlagen sie dabei vor, es könne ja auf »freiwilliger« Basis geschehen, man solle die arbeiten lassen, die arbeiten wollen, … wissend dass nicht das Personal über Arbeitszeiten und Schichtpläne entscheidet, sondern allein das Patronat.

Eine Entwicklung also, die für die Beschäftigten schlimmer nicht sein könnte.

gilbert simonelli

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek