Ohne Umweg über den »léiwe Patient«

Wer an diesen Grippe-Tagen eine Arztpraxis aufsucht, dürfte angesichts des herrschenden Andrangs genug Zeit haben, einen Brief der Vereinigung der Ärzte und Zahnärzte zu lesen, in welchem vor dem »léiwe Patient« die Horrorvision eines verallgemeinerten Drittzahlerprinzips im Gesundheitswesen (»Tiers payant généralisé«) ausgebreitet wird. Wer das Pamphlet bis zum Ende liest, muss unweigerlich zur Schlussfolgerung kommen, mit dem »Tiers payant« werde seine Gesundheit in akute Gefahr gebracht.

Nun gibt es das System des Drittzahlerprinzips im Gesundheitswesen inzwischen in den meisten EU-Ländern, und selbst in Luxemburg wurde 2013 der »Tiers payant social« eingeführt, den Menschen in sozialen Notlagen in Anspruch nehmen können, wenn das Sozialamt ihnen eine entsprechende Bescheinigung ausstellt.

Nun muss man nicht zu den Ärmsten der Armen gehören, wenn man am Monatsende Schwierigkeiten hat, hohe Arzt- oder Zahnarztrechnungen zu bezahlen, was bei vielen insbesondere dann der Fall ist, wenn unerwartete Ausgaben anfallen, die sich nicht verschieben lassen. Leider kommt es dann vor, dass manche erst gar nicht den Arzt oder Zahnarzt aufsuchen.

Gegenwärtig ist der Versicherte bekanntlich gezwungen, erst das Arzt- oder Zahnarzthonorar oder die medizinische Dienstleistung integral zu bezahlen, und erst anschließend werden ihm dann, mit Ausnahme der Eigenbeteiligung, die Kosten von der CNS-Krankenkasse durch eine Überweisung rückerstattet. Dass das für sehr viele Menschen ein Problem ist, ist daran ersichtlich, dass die CNS allein im vergangenen Jahr in 235.835 Fällen Schecks ausstellte, mit denen die Versicherten noch am gleichen Tag ihr Geld zurückerlangen konnten.

Weil es in der schönen neuen Welt vergessen wurde, sollte man immer wieder daran erinnern, dass der Ruf nach dem »Tiers payant généralisé« eine alte Forderung der Arbeiterbewegung ist, die dazu beitragen soll, es den Lohnabhängigen und Rentnern leichter zu machen und ihre Brieftasche zu schonen. Genau das fordert eine Petition mit 7.343 Unterschriften, die kommende Woche auf der Tagesordnung der Chamber steht.

Nun ist nicht auszuschließen, dass sich bei einer solchen Umstellung Probleme ergeben könnten, vor allem in der Anfangsphase, aber mit gutem Willen können die überwunden werden, wie das bekanntlich auch in anderen EU-Ländern geschah, in denen das verallgemeinerte Drittzahlungsprinzip eingeführt wurde.

Auf jeden Fall sollte das kein Grund sein, um – wie das die Vereinigung der Ärzte und Zahnärzte tut – den Teufel an die Wand zu malen, vor »Verstaatlichung« zu warnen und die Patienten glauben zu machen, mit dem »Tiers payant«, sei ihr »Selbstbestimmungsrecht« in Gefahr.

Denn eigentlich geht es doch darum, dass der Patient den Anteil der Krankenkasse nicht länger vorstrecken muss, sondern dass die Kasse ihren finanziellen Beitrag, ohne Umweg über den Patienten, direkt und möglichst zeitnah an den Arzt bezahlt.

Was sollte an einer solchen Transparenz falsch sein? Es sei denn, die Ärzte und Zahnärzte haben einen persönlichen Vorteil davon, wenn das nicht geschieht? Wenn das so ist, sollten sie es dem »léiwe Patient« auch so sagen.

Ali Ruckert

 

Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek