Studentenproteste in Polen (POSITION #3/18)

Seit dem Wahlsieg der rechtskonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (kurz: PiS) 2015 ist Polen Zeuge eines sehr raschen Abbaus demokratischer Rechte und Freiheiten. Die PiS-Mehrheit im Parlament verabschiedete u.a. ein striktes Anti-Abtreibegesetz und unterstellte die Gerichte unter die Kontrolle eines PiS-Ministers. Nun muss die höhere Bildung daran Glauben: Die Regierung bringt ein Gesetz auf den Weg, das die Hochschulen und Universitäten den Kapitalinteressen vollends unterordnen möchte und demokratische Mitsprache opfert.

KOMMERZIALISIERUNG UND DEMOKRATIEABBAU

Die Reform – von den kämpfenden KollegInnen und Studierenden nach dem Bildungsminister „Gowin-Gesetz“ genannt – beinhaltet eine ganze Reihe von Maßnahmen, die im Kontext der autoritären Wende der polnischen Politik und dem neoliberalen Umbau der Universitäten und Wissenschaftsinstitution in ganz Europa verstanden werden müssen: Das neue Gesetz verletzt massiv die Unabhängigkeit von Universitäten und bereitet der zunehmenden Kommerzialisierung der Forschungs- und Lehrstätten den Weg.

Es sollen Aufsichtsräte in den Universitäten und Hochschulen gegründet werden, denen Entscheidungsmacht in Fragen der Verwaltung (beispielsweise der Finanzierung), der Forschung und der Lehrmethoden eingeräumt wird; zudem können diese Ausschüsse Hochschulrektoren nominieren. Gerade die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist interessant, denn per Gesetz müssen (!) 50% dieser Aufsichtsräte mit Nicht-Akademikern besetzt werden – die Regierung denkt hier in erster Linie an Unternehmensvertreter und regierungsnahen PolitikerInnen.

Auch die Entscheidungsgewalt der Hochschulrektoren soll gesteigert werden, sodass der Rektor im Alleingang nun über die Restrukturierung oder Abschaffung einzelner Fakultäten entscheiden darf. Auch die Interessenvertretungen der MitarbeiterInnen einzelner Fakultäten können auf diese Weise einfach ausgeschaltet werden.

Das ‚Gowin Gesetz‘ legt zudem einen Schwerpunkt auf die kommerzielle Verwertbarkeit der universitären Forschung, indem die Wirtschaftlichkeit der zum obersten Kriterium erhoben wird.

SOFORTFORDERUNGEN UND LANGZEITZIELE

Große Teile der Studierenden und des Mittelbaus (freilich nicht nur Geistes- und Sozialwissenschaften) protestierten gegen das Gesetz. So besetzten Studierende und Mitarbeiter verschiedener Fakultäten den Balkon des Büros der Universitätsleitung in Warschau für mehrere Tage. Von diesem Balkon wurden Vorlesungen gehalten und Debatten geführt. Ganze Seminare gingen auf die Straße und bildeten Arbeitsgruppen, in denen sie Sofortforderungen und Langzeitziele formulierten. KollegInnen in Forschung und Lehre legten ihre Arbeit nieder. Die Proteste weiteten sich von Warschau auf Universitäten und Hochschulen in ganz Polen aus. Es fanden Demonstrationen und Besetzungen an den Universitäten in Białystok, Cracow, Gdańsk, Łódź, Poznań, Rzesów, Szczecin und Worcław statt.

Die Proteste haben bewirkt, dass die finale Abstimmung im polnischen Parlament bis Anfang Juli vertagt wurde und Minister Gowin selber bereits Änderungen am Gesetzesentwurf in Aussicht gestellt hat. Dies, so schätzen es die kämpfenden KollegInnen und Studierenden ein, sei ein Manöver der Regierung, um die Semesterferien abzuwarten und so die Abwesenheit vieler Studierenden zu nutzen. Sie haben Recht behalten, denn das Gesetz wurde Anfang Juli verabschiedet – die Mobilisierung geht nun in die zweite Runde.

[Daniel, München]

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Quelle:

SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend