Auf dem Weg zum Gottesstaat

Die Medien sind derzeit voll von vermeintlichen Gottesstaaten: Vor vier Jahrzehnten kehrte Ajatollah Chomeini aus seinem französischen Exil in den Iran zurück, neun Jahrzehnte ist es her, daß Italien und die katholische Kirche die sogenannten Lateranverträge abschlossen, mit denen der »Staat Vatikanstadt« gegründet wurde. Doch auch in Brasilien, dem größten und bevölkerungsreichsten Land Südamerikas, propagieren die seit dem 1. Januar 2019 Regierenden offen die Errichtung eines Gottesstaates.

Jair Bolsonaro, der im Präsidentschaftswahlkampf gegen Indianer, Schwarze, Frauen und sexuelle Minderheiten hetzte, offen die blutige Militärdiktatur in Brasilien verherrlichte und zu Gewalt gegen politische Gegner aufrief, konnte sich nicht nur wegen der tatkräftigen Unterstützung des Finanzkapitals, des Agrobusiness und der Waffenlobby in der Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Fernando Haddad durchsetzen, die ultrakonservativen Pfingstkirchen taten ihr Übriges für den Sieg.

Bolsonaros Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte, die erzkonservative evangelikale Pastorin Damares Alves, schwört in einem im Internet verbreiteten Video, sie weile nur noch deshalb unter den Lebenden, weil sie im zarten Alter von 10 Jahren vom leibhaftigen Jesus davon abgehalten worden sei, Suizid zu begehen. Ihre Nominierung als Ministerin bezeichnete die radikale Abtreibungsgegnerin als »göttliche Mission« und erklärte, nun sei der Moment gekommen, »in dem die Kirche regiert«.

Welche Kirche seine Ministerin meinte, machte der ehemalige Katholik Bolsonaro vor drei Jahren deutlich, als er sich im Jordan-Fluß zum zweiten Mal – nun evangelisch – taufen ließ. Sein Täufer war kein Geringerer als der in Brasilien sehr einflußreiche Sektenführer Everaldo Dias Pereira, der der evangelikalen Sekte »Assemblies of God« mit Sitz in Hot Springs im USA-Bundesstaat Arkansas vorsteht und der darüber hinaus Chef der »Christlich-Sozialen Partei« ist, die in der Abgeordnetenkammer in Brasília die mehr als 70 Deputierte zählende evangelikale Fraktion mit anführt.

Nun hat die von Bolsonaro zur Ministerin beförderte Pastorin Damares Alves eine gewisse Sara Winter in das Frauensekretariat berufen, wo sie das Referat für Mutterschaft leiten soll. Die erst 1992 im Bundesstaat São Paulo geborene Winter hat bereits ein turbulentes Leben hinter sich. Früh wurde sie Opfer familiärer Gewalt, nahm Drogen und prostituierte sich. Mit Anfang 20 wurde sie dann Oben-ohne-Aktivistin bei der zumindest teilweise progressiven, sich selbst als feministisch bezeichnende Gruppe Femen.

Winter gründete einen Femen-Ableger in Brasilien, sprengte barbusig Veranstaltungen und wurde in so ziemlich jede TV-Show eingeladen. Bei ihren Mitstreiterinnen kamen erst Zweifel auf, als bekannt wurde, daß sie Konzerte rechtsradikaler Bands besucht hat und mit einer großflächigen Tätowierung, die die Nazi-Soldatenauszeichnung »Eisernes Kreuz« enthält, posierte.

Mit der Geburt ihres Kindes kam der endgültige Wandel: Winter verkündete ihre Bekehrung zum evangelikalen Christentum und nennt sich seitdem »Exfeministin«. Heute ist sie eine prominente Gegnerin eines fortschrittlichen Abtreibungsrechts und hetzt in sogenannten sozialen Netzwerken im Internet gegen schwarze Aktivisten und alles tatsächlich oder vermeintlich »Marxistische«.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek