Blut-Montag

Der Staat Israel begeht den 70. Jahrestag seiner Gründung mit einer Blut-Orgie. Die Zahl der protestierenden, für ihr Selbstbestimmungsrecht demonstrierenden Palästinenser, die an diesem Montag von israelischer Soldateska erschossen oder verwundet wurden, war bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe nicht bekannt. Allein zwischen 11 Uhr und 14.30 meldete die Agentur dpa einen Anstieg der Zahl der Toten auf mindestens 37, mehr als 1.700 Menschen wurden bis zum frühen Nachmittag verletzt, zumeist durch gezielte Schüsse.

An diesem Tag wurde auch die offizielle Verlegung der Botschaft der USA von Tel Aviv nach Jerusalem mit großem Pomp gefeiert. Allein diese Tatsache stellt einen Bruch des Völkerrechts dar, der seinesgleichen sucht. Der östliche Teil von Jerusalem, bis dahin vorwiegend von arabischen Bürgern bewohnt, war im sogenannten Sechstagekrieg 1967 von israelischen Truppen erobert worden und wurde – unter grober Mißachtung immer noch geltender Beschlüsse der UNO – von Israel besetzt und zu israelischem Territorium erklärt. Regierungschef Netanjahu bekräftigte den Anspruch auf die gesamte Stadt, indem er am Vorabend der Botschaftseinweihung verkündete, Jerusalem sei »seit 3.000 Jahren die Hauptstadt unseres Volkes« gewesen. Bisher war nicht zu vernehmen, daß irgendeine der westlichen Regierungen auch nur mit einem Wort gegen diesen Anspruch protestiert hätte – ebenso wenig wie gegen die gezielten Schüsse auf Protestierende. Unwidersprochen blieb bisher in den Hauptstädten der EU die Aufforderung Netanjahus, alle Staaten sollten ihre Botschaften nach Jerusalem umsiedeln.

Wer sich auch nur ein wenig mit der Geschichte der letzten 70 Jahre beschäftigt hat, weiß auch, daß die Deklaration Jerusalems zur Hauptstadt Israels eine Lösung der akuten Probleme im Nahen Osten nicht nur hinauszögert, sondern so gut wie unmöglich macht. Das Bekenntnis der Führer der westlichen Welt zu einer »Zwei-Staaten-Lösung«, mit einem israelischen und einem palästinensischen Staat, wird endgültig zu Makulatur. Die »internationale Staatengemeinschaft« akzeptiert die andauernde Unterdrückung des palästinensischen Volkes, die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser, die vor 70 Jahren begann und bis heute ungehindert fortgesetzt wird.

Wer hier in Westeuropa gegen die Apartheid-Politik des israelischen Staates protestiert, läuft Gefahr, unverzüglich als »Antisemit« abgestempelt und verurteilt zu werden. Schließlich sei Israel ein jüdischer Staat und verkörpere das Vermächtnis der mehr als 6 Millionen Juden, die in der Zeit des Zweiten Weltkrieges von den deutschen Faschisten und deren Helfershelfern in den besetzten Ländern umgebracht wurden. Mit dem Hinweis auf den »Holocaust«, also den Völkermord an den Juden, soll jeder Protest im Keim erstickt werden. Sogar Protest gegen die fortdauernden Angriffe auf Palästinenser – auch von der israelischen Friedensbewegung, die unsere volle Unterstützung hat – wird damit diskriminiert, und auch angesichts der offenen Kriegsdrohungen der israelischen Führung gegen den Iran sollen wir uns gefälligst zurückhalten. Die Tatsache, daß Israel – angeblich »die einzige Demokratie im Nahen Osten« – der einzige Staat in der Region ist, der über Atomwaffen verfügt, soll auf keinen Fall thematisiert werden.

Protest gegen Israel hat jedoch nichts zu tun mit Antisemitismus oder gar Judenhaß. Es ist kein Protest gegen Juden, sondern Protest gegen skrupellose Politiker eines aggressiven imperialistischen Staates, die auch zum Jahrestag der Staatsgründung auf Protestierende schießen lassen. Ein Staat, der mit einem Blut-Montag seinen Jahrestag feiert, hat jedes Recht verwirkt, im Namen der Opfer der Faschisten zu sprechen und zu handeln.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek