Acht Richter gegen Hunderttausende

Hunderttausende demonstrierten im September gegen CETA und TTIP. Foto: RedGlobeDas Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag die Eilanträge von mehr als 200.000 Bürgerinnen und Bürgern gegen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) abgelehnt. Die acht Richter des Zweiten Senats weigerten sich, per einstweiliger Anordnung eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung von CETA zu verhindern. Der EU-Rat will voraussichtlich am 18. Oktober 2016 über den Vertrag entscheiden.

Die Richter schränkten die Handlungsspielräume der Regierung allerdings ein. Berlin müsse sicherstellen, dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen; dass bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist; und dass eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung von CETA durch Deutschland möglich ist.

Wenn diese Vorgaben eingehalten werden, bestehen nach Ansicht der Richter keine schweren Nachteile, die eine einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache notwendig mache.

Ernst-Christoph Stolper, Handelsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kann der Ablehnung dennoch Positives abgewinnen. »Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist trotz der Ablehnung der Eilanträge eine Ohrfeige für die EU-Kommission«, erklärte Stolper. »Das Gericht hat der Bundesregierung klare Hausaufgaben aufgegeben, die auch Forderungen der Stop-CETA-Bewegung enthalten. Es darf keine vorläufige Anwendung für CETA-Teile geben, die in der Zuständigkeit Deutschlands liegen, dazu gehören die Sonderklagerechte für internationale Konzerne. Und es muss sichergestellt sein, dass eine vorläufige Anwendung auch einseitig von Deutschland zurückgenommen werden kann. Außerdem sollen die Entscheidungen des Gemeinsamen CETA-Ausschusses unter den Vorbehalt einer einstimmigen Zustimmung der Mitgliedstaaten gestellt werden.« Nach Ansicht Stolpers bedeutet die Entscheidung der obersten Richter damit, dass das Schicksal von CETA weiter offen ist. »Das Abkommen muss außer der Unterzeichnung im EU-Handelsministerrat auch die Ratifizierung im EU-Parlament und in allen Mitgliedstaaten sowie die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bestehen. Wir sind sicher, CETA wird, so wie es vorliegt, nicht in Kraft treten.«

Als Teilerfolg wertet auch der Vizechef der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst, die Entscheidung aus Karlsruhe. »Das Bundesverfassungsgericht hat zwar unseren Eilantrag abgelehnt, der Bundesregierung aber gleichzeitig hohe Auflagen für ihre Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von CETA gemacht.« Das sei ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. »Die Auflagen aus Karlsruhe bedeuten, dass die Bestimmungen von CETA in zentralen Bereichen keine Frage der Interpretation bleiben. Erstens: Nur jene Bereiche des Abkommens, die unstrittig in der Zuständigkeit der EU liegen, dürfen vorläufig angewendet werden. Ausgenommen ist also mitnichten nur der Investitionsschutz, wie es die Bundesregierung wollte. Auch Regelungen zum Seeverkehr, der Anerkennung von Berufsqualifikationen und zum Arbeitsschutz fallen in die Kompetenz der Mitgliedstaaten und bedürfen einer vorherigen Abstimmung in den nationalen Parlamenten. Zweitens: Beschlüsse des gemischten CETA-Ausschusses dürfen nur in Kraft treten, wenn auch alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Drittens: Deutschland muss auch im Alleingang aus der vorläufigen Anwendung aussteigen können. Das ist deshalb wichtig, weil erst im Hauptsacheverfahren entschieden wird, ob Teile von CETA grundgesetzwidrig sind. Die Verfassungsrichter halten das durchaus für möglich, diese Frage war jedoch nicht Gegenstand des jetzigen Verfahrens.«

Quellen: Bundesverfassungsgericht, Linksfraktion  / RedGlobe