Pestizide auf dem Teller: Friß und stirb

Ob beim Obstanbau oder in der Fischzucht, in Hotels, im Zug, auf dem Kinderspielplatz oder dem Balkon – praktisch überall werden heute Pestizide eingesetzt. Es ist unmöglich geworden, den Gefahren zu entkommen, die von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden ausgehen.

Ein Apfel wird in seinen 24 Wochen am Baum durchschnittlich 31 Mal »gespritzt« – und zwar in der Regel mit Pestiziden. Leider bringt der elterliche Rat an ihre Kinder, Obst vor dem Essen abzuwaschen, nichts mehr, da es sich bei vielen »modernen« Pestiziden um sogenannte systemisch wirkende Substanzen handelt, die nicht mehr nur außen an der Pflanze anhaften, sondern bis in die Früchte hinein verteilt werden.

Wenn Lobbyisten der Chemiekonzerne erklären, moderne Pestizide zählten zu den am intensivsten getesteten chemischen Substanzen überhaupt – vergleichbar nur mit Arzneimitteln –, dann ist anzumerken, daß die meiste Forschung auf diesem Gebiet von den Konzernen, die die Unkrautvernichter herstellen lassen, in Auftrag gegeben wird. Das geht mitunter so weit, daß die Forschung zu Wirksamkeit, Giftigkeit und Umweltverhalten der Pestizide, die ein Konzern neu auf den Markt bringen will, von den Herstellern selbst bei den Registrierungsbehörden eingereicht wird und die Behörden sich auf diese hausgemachte »Forschung« verlassen.

Außerdem werden bei der Zulassung keineswegs alle Bestandteile des Cocktails getestet, der das anwendungsfertige Pestizid ausmacht. Sogenannte Beistoffe, Substanzen, die dafür sorgen, daß das Gift länger an der Pflanze haftet oder besser in den Organismus eindringt, bleiben außen vor. Manche Beistoffe sind jedoch hormonell wirksam, andere beeinflussen die menschliche Reproduktion, wieder andere zeigen negative Auswirkungen auf das Nervensystem oder das Immunsystem von Mensch und Tier. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß in mehreren Studien nachgewiesen wurde, daß sogenannte Pestizid-Formulierungen wesentlich gefährlicher sind als die aktiven Substanzen für sich genommen.

Und die Grenzwerte, auf deren strikte Einhaltung ständig verwiesen wird, wurden von den Behörden in den vergangenen Jahren immer weiter nach oben »korrigiert«. Ohne solche Anpassungen dürften viele Pestizide gar nicht mehr verkauft werden.

Die Folgen von so viel staatlicher Beliebigkeit und Willkür im Umgang mit Pestiziden bekommen wir alle zu spüren: Pestizide stehen im Verdacht, für Krebs, hormonelle Funktionsstörungen, Fehlgeburten und chronische Krankheiten verantwortlich zu sein, und der unheilbare Morbus Parkinson, bei dem man langsam fortschreitend Nervenzellen im Mittelhirn verliert, wird bei Landwirten mittlerweile als Berufskrankheit anerkannt.

Doch ist Landwirtschaft im großen Stil ohne Pestizide überhaupt möglich? Können wir neun oder gar zehn Milliarden Menschen ernähren ohne Pestizide einzusetzen? Ja, sagen unter anderem die FAO, die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, die Weltgesundheitsorganisation WHO und selbst die marktradikale Weltbank in dem von letzterer initiierten und 2008 veröffentlichten Weltagrarbericht.

Unter dem Titel »Landwirtschaft am Scheideweg« hinterfragt der bereits 2002 eingerichtete Weltagrarrat darin die Intensivierung der Landwirtschaft mit technischen Errungenschaften als Patentrezept für die weltweite Ernährungssicherheit. Statt dessen werden im Weltagrarbericht insbesondere kleinbäuerliche und auf Vielfalt ausgerichtete Strukturen als Landwirtschaft der Zukunft bezeichnet.

Zumindest bis es zu grundlegend anderen Arbeits- und Eigentumsverhältnissen auf dem Land kommt, dürfte diese Einschätzung richtig sein.

Oliver Wagner

 

Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek