Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf Medienfragen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Außenminister des Irans, Mohammed Dschawad Sarif, und dem Außenminister der Türkei, Mevlüt Cavusoglu, am

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser heutiges Treffen fand in einer Situation statt, wenn es um die Syrien-Regelung viele Ereignisse gibt, die nicht gerade positiv sind. Wir erwähnten bereits den rechtswidrigen Angriff gegen Syrien am 14. April, den die USA, Frankreich und Großbritannien unter einem aus dem Finger gesogenen Vorwand unternommen haben, ohne abzuwarten, bis OPCW-Experten ihre Arbeit beginnen. Dieser Angriff hat natürlich die Arbeit am politischen Prozess zurückgeworfen.

Dennoch äußerten wir uns dafür, dass diese Arbeit fortgesetzt werden sollte. Wir vereinbarten konkrete Schritte, die unsere drei Länder gemeinsam und individuell unternehmen werden, damit wir alle wieder in Übereinstimmung mit der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats handeln.

Dabei betonten wir, dass wir den Versuchen zur Behinderung unserer gemeinsamen Arbeit widerstehen werden. Wir unterstrichen, dass das „Astanaer Format“ fest auf den Beinen steht. Wir werden auch weiterhin prinzipiell wichtige Aufgaben erfüllen, die mit der Deeskalation, der Senkung der Spannung und des Konfliktpotenzials verbunden sind. Das Regime der Feuereinstellung wird immer wieder verletzt. Wir haben einen Mechanismus zur Beobachtung dieser Verletzungen. Wir werden diese Situation überwinden und uns um die Festigung des Vertrauens zwischen den Seiten „vor Ort“ bemühen.

In diesem Sinne ist unser dreiseitiges Zusammenwirken wirklich einmalig. Dank diesem Zusammenwirken konnte die Situation auf dem Schlachtfeld gegen die IS- und al-Nusra-Terroristen „geknickt“ werden, so dass Hunderttausende Syrer einer humanitären Katastrophe entgehen konnten.

Heute haben wir eine Gemeinsame Erklärung vereinbart, die verbreitet wird. Darin sind die wichtigsten Ergebnisse unseres Treffens widerspiegelt. Jedenfalls sind und bleiben wir der These treu, dass es für die politische bzw. diplomatische Überwindung der Syrien-Krise in Übereinstimmung mit der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats und den Empfehlungen des Kongresses des syrischen nationalen Dialogs in Sotschi keine Alternativen gibt. Ich darf erinnern, dass der Kongress in Sotschi im Namen aller daran beteiligten Vertreter der ethnischen, konfessionellen und politischen Gruppen Syriens die zwölf Schlüsselprinzipien der Krisenregelung festgelegt hat, die einst der Syrien-Beauftragte des UN-Generalsekretärs, Staffan de Mistura, initiiert hatte. Allein das war schon ein Durchbruch, denn vor Sotschi waren die Versuche zur Billigung dieser zwölf Prinzipien im Rahmen der Genfer Gespräche erfolglos geblieben. Neben dieser Errungenschaft in Sotschi halfen wir auch den syrischen Teilnehmern, die Aufgabe zur Bildung des Verfassungskomitees zu erfüllen, die Basisprinzipien seiner Bildung zu bestimmen und seine künftige Arbeit unter Mitwirkung Staffan de Misturas zu fördern.

Heute bestätigten wir diese Aufgaben und betonten, dass jegliche Versuche zur Spaltung Syriens nach ethnischen und konfessionellen Linien absolut unzulässig sind.

Wir tauschten die Meinungen über die in der vorigen Woche stattgefundenen Kontakte Staffan de Misturas in Teheran, Ankara und Moskau aus. Wir besprachen den Verlauf der Vorbereitung auf das neunte internationale Syrien-Treffen in Astana, das Mitte Mai stattfinden wird. Gleichzeitig wird eine Sitzung der Arbeitsgruppe für die Befreiung von Gefangenen bzw. Geiseln, für die Übergabe der Leichname und für die Suche nach Vermissten organisiert.

Im Kontext der Bemühungen um die Wiederbelebung des „Genfer Formats“ halten wir die jüngsten Erklärungen für äußerst destruktiv, die einige Vertreter der äußeren Opposition machen, die Konfliktregelung von gewissen Vorbedingungen abhängig machen, wobei es unter anderem um ein Regimewechsel und um die Verurteilung der syrischen Führung für Kriegsverbrechen geht. Solche Vorgehensweisen widersprechen aber nicht nur der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats, sondern sind auch auf die maximale Behinderung der Wiederaufnahme des Verhandlungsprozesses ausgerichtet, wenn man die Fortschritte bei dem Kongress des syrischen nationalen Dialogs in Sotschi bedenkt.

Wir haben heute bestätigt, dass die Bemühungen um die humanitäre Regelung der Situation fortgesetzt werden sollten. Wir werden daran arbeiten, dass sie maximal effizient erfolgt. Wir werden mit der Regierung Syriens, mit der Opposition und natürlich mit unseren Kollegen in der UNO, im Internationalen Roten Kreuz, im Syrischen Arabischen Roten Halbmond und anderen internationalen Strukturen arbeiten. Es ist wichtig, dass die internationale Förderung, insbesondere bei der Minenräumung, in den Gebieten erfolgt, die zum friedlichen Leben zurückkehren – nach unseren gemeinsamen Bemühungen und ohne jegliche Politisierung und auch ohne Vorbedingungen.

Ich bin meinen Kollegen und Freunden für die Fortsetzung unserer Zusammenarbeit sehr dankbar. Ich bin überzeugt, dass unsere heutigen Verhandlungen, deren Ergebnisse in unserer Gemeinsamen Erklärung verankert sind, bei der Konsolidierung unserer Bemühungen um die vollständige Erfüllung der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats helfen werden.

Frage: Türkische Staatsbürger werden immer noch mit dem Problem der Visapflicht konfrontiert. Haben Sie heute mit dem Außenminister der Türkei, Mevlüt Cavusoglu, dieses Thema besprochen? Wann könnten wir konkrete Schritte auf diesem Gebiet sehen?

Sergej Lawrow: Wir besprachen heute die Fragen, die die weitere Erleichterung der Visapflicht betreffen. Vor einiger Zeit schlug die russische Seite schon ein paar konkrete Schritte vorgeschlagen. Erstens sollte die Visapflicht für Besitzer von Dienstpässen aufgehoben werden, und zweitens sollten LKW-Fahrer das Recht bekommen, die Grenze ohne Visa zu überqueren. Unsere türkischen Freunde versprachen, darauf zu reagieren. Das wäre ein wichtiger und spürbarer Schritt für viele unsere Bürger. Wir haben vor, die Liste der Kategorien der Menschen zu erweitern, die die Visafreiheit genießen werden. Im Allgemeinen sind wir daran interessiert, uns zu diesem Ziel zu bewegen, wovon der russische Präsident Wladimir Putin bei seinen Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan öfter sprach. Es ist klar, dass wir alle aktuell einen starken Druck seitens der Terrorgefahr spüren, besonders unsere türkischen Freunde, die mit Problemen konfrontiert werden, die von ihren Nachbarländern ausgehen. In diesem Zusammenhang sollten unsere zuständigen Dienste maximal konkret miteinander zusammenwirken, wobei sie ausländische Terroristen beobachten.

Wir haben vereinbart, diese Arbeit zu leisten und regelmäßig, sozusagen „live“ Informationen über Personen auszutauschen, denen unsere Länder die Einreise in die Türkei bzw. nach Russland untersagen. Es ist für uns sehr wichtig, frühzeitig Informationen über Personen zu erhalten, die aus der Türkei ausgewiesen werden. Wir werden in Übereinstimmung mit der Konsularischen Konvention entsprechend reagieren, die es zwischen unseren Ländern gibt.

Frage: Vor kurzem wurden Zweifel am „Astanaer Prozess“ geäußert, unter anderem in Bezug auf seine Erfolge und Funktionen. Was halten Sie davon?

Der Syrien-Beauftragte des UN-Generalsekretärs, Staffan de Mistura, besuchte vor kurzem die Länder, die im Rahmen des „Astanaer Prozesses“ als Garanten auftreten: den Iran, Russland und die Türkei. Haben Sie einen Plan zur Kooperation mit der UNO hinsichtlich Syriens?

Sergej Lawrow (antwortet nach den Außenministern des Irans und der Türkei): Ich kann mich den Worten meiner Amtskollegen nur anschließen und hinzufügen, dass die UNO von Beginn des „Astanaer Prozesses“ an sich daran beteiligte. Bei allen Treffen in Astana war Staffan de Mistura oder sein Stellvertreter dabei. Die UNO kann vieles tun, damit sich der „Astanaer Prozess“ in allen Richtungen positiv entwickelt. Da gibt es vier wichtigste Richtungen.

Die erste (das ist eine Erfindung des „Astanaer Prozesses“) ist die Einrichtung der Deeskalationszonen, wo das Regime der Feuereinstellung eingehalten werden soll (natürlich gilt das nicht für die terroristischen Gruppierungen, die sich in diesen Räumen verstecken und über ihren Status spekulieren). Dieser Kampf gegen die Terroristen wird absolut kompromisslos sein, und die bewaffneten Oppositionsabteilungen, die Patrioten sind und wollen, dass ihr Land wieder friedlich lebt, sollten sich unverzüglich von den Terroristen trennen und sie aus diesen Deeskalationszonen verdrängen. Natürlich könnte die UNO, die mit allen wichtigsten bewaffneten Gruppen und politischen Oppositionskräften Kontakte hat, sollte ihnen möglichst klar die Idee verleihen, dass sie sie mit den Terroristen lieber keine Verbindungen haben, keine Bündnisse mit ihnen bilden sollten – auch situationsbedingte Bündnisse. Das ist eine sehr wichtige Richtung unserer Kooperation mit der UNO.

Das zweite Thema, das zu den Prioritäten der Treffen in Astana gehört, ist die humanitäre Förderung. Wir helfen den Syrern bei der Rückkehr zum friedlichen Leben. Russland tut vieles, genauso wie der Iran und die Türkei. Die UNO sollte natürlich ihre Verantwortung für die Organisation einer umfassenden Kampagne zur Lösung von Problemen der Menschen begreifen, die heimkehren und wieder friedlich leben wollen, und wenigstens die einfachste Basis dafür bilden. Auch daran arbeiten wir mit den humanitären UN-Strukturen zusammen und helfen ihnen bei der Voranbringung der Vereinbarungen mit der syrischen Regierung in Übereinstimmung mit den Völkerrechtsnormen, die die Umsetzung von humanitären Projekten in Syrien betreffen. Wir bemühen uns darum, unsere syrischen Kollegen in Damaskus zu überreden, möglichst flexibel zu sein und konstruktiv zu handeln, auch wenn das manchmal nicht leicht ist, wenn man die diskriminierenden Vorgehensweisen einiger von unseren westlichen Partner bedenkt. Dennoch tun wir das. Gleichzeitig rufen wir die UNO auf, sich nicht unter Druck setzen zu lassen, wobei humanitäre Hilfslieferungen politisiert werden. Die UNO darf natürlich nicht den Kräften helfen, die erklären, mit den humanitären Hilfen dürften nur die Regionen rechnen, die von der Opposition kontrolliert werden. Die UNO darf das nicht – und sollte immer dagegen auftreten.

Die dritte Richtung, die prinzipiell wichtig für den „Astanaer Prozess“ und die ganze Syrien-Regelung ist, ist der politische Dialog. Ich erwähnte schon (genauso wie meine Kollegen), dass der „Astanaer Prozess“ (gemeinsam mit dem Kongress des syrischen nationalen Dialogs) auch in diesem Bereich viel mehr erreicht hat als alle anderen Versuche zur Anknüpfung politischer Kontakte. Auf dem Kongress in Sotschi wurden alle Prinzipien der Syrien-Regelung abgesprochen (die apropos von der UNO initiiert wurden), genauso wie die Notwendigkeit der Bildung des Verfassungskomitees (ebenfalls unter der UN-Schirmherrschaft), damit in Übereinstimmung mit den Vollmachten des Syrien-Beauftragten Staffan de Mistura das neue syrische Grundgesetz vorbereitet werden könnte. Das ist eigentlich die größte Hilfe für Staffan de Mistura. Denn es ist natürlich frappant, dass man versucht, ihn unter Druck zu setzen, damit er den „Astanaer Prozess“ und die Ergebnisse des Kongresses in Sotschi kritisiert. Wie gesagt: Heutzutage ist die Erklärung von Sotschi das wichtigste Hilfsmittel für Staffan de Mistura, damit er sein Mandat im Sinne der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats erfüllt.

Zum Schluss möchte ich sagen, dass der Iran, die Türkei und Russland bei ihrem Vorgehen trotz aller Unterschiede zwischen ihren Vorgehensweisen (aus denen wir kein Hehl machen), sich daran richten, dass konkrete Wege zu Krisenregelung gefunden werden sollten, damit sich die Syrer auf ihre nationale Aussöhnung einigen, damit sie heimkehren und wieder friedlich leben können, und zwar in Übereinstimmung mit den Prinzipien der UN-Charta.

Wer den „Astanaer Prozess“ und die Ergebnisse des Kongresses in Sotschi kritisiert, richtet sich offenbar an anderen Zielen. Und das ganz einfach auszudrücken: Diese Ziele bestehen darin, zu beweisen, dass ausgerechnet sie die Situation in der Welt bestimmen. Leider – oder auch zum Glück (für diese Kräfte aber leider) – ist diese Zeit längst vorbei.

Quelle:

Außenministerium der Russischen Föderation