Längere Lenkzeiten, mehr Unfälle

Im Transportgewerbe ist der Konkurrenzkampf nach der »Osterweiterung« der EU in den Jahren 2004 und 2007 voll entflammt. Unternehmen aus den alten Mitgliedstaaten mit vergleichsweise hohen Löhnen liefern sich seitdem einen Verdrängungswettbewerb mit Unternehmen aus Ländern wie Ungarn, Bulgarien oder Tschechien, wo die Monatslöhne zum Teil bei 500, teils bei 300 Euro liegen. Lohnbetrug und das Umgehen gesetzlicher Vorschriften besonders bei sogenannten Kabotagefahrten, bei denen ein ausländisches Transportunternehmen Leistungen innerhalb eines anderen Lands erbringt, sind nach Angaben der Gewerkschaften allgegenwärtig, weil Kontrollen in der Transportbranche, wenn überhaupt, nur stichprobenartig durchgeführt werden.

Angesichts dessen sorgt ein »Mobilitätspaket« der EU-Kommission für Aufregung, das eine weitgehende Deregulierung der ohnehin selten eingehaltenen Vorschriften vorsieht. Unter anderem soll die Entsenderichtlinie der EU, die den Lkw-Fahrern einen Anspruch auf den Mindestlohn in dem Land, in das sie entsandt wurden, zusichert, pro Monat drei volle Tage nicht zum Tragen kommen. Auch sollen die Fahrer nach einem grenzüberschreitenden Transport nicht wie bisher maximal drei Kabotagefahrten im Zielland absolvieren dürfen, sondern innerhalb von fünf Tagen beliebig viele.

Die Gewerkschaften der Transportarbeiter werfen der EU-Kommission deshalb vor, sie wolle die gesetzlichen Bestimmungen an die illegale Praxis im Transportgewerbe anpassen. Würde beispielsweise die Entsenderichtlinie erst nach drei Tagen gelten, würden viele Unternehmen die Touren ihrer Fahrer so legen, daß sie niemals auch nur ein Anrecht auf den Mindestlohn im Zielland erhielten. Statt die ohnehin unzureichenden Regelungen weiter auszuhöhlen, seien vor allem mehr Lkw-Kontrollen durchzuführen, fordern die Salariatsvertreter.

Nach den Plänen der EU-Kommission sollen für Bus- und Lkw-Fernfahrer auch die Verbesserungen an der EU-Entsenderichtlinie nicht gelten, die Ende Mai vom EU-Parlament beschlossen wurden. Nach einem Vorschlag des Verkehrsausschusses sollen unter anderem deren Lenkzeiten ausgeweitet und Ruhepausen verkürzt werden.

Was das »Mobilitätspaket« angesichts des unverminderten »Tanktourismus« gerade für die anderen Benutzer luxemburgischer Autobahnen bedeuten würde, haben die Salariatsvertreter schon vor Monaten benannt: Mehr schwere Unfälle mit Bussen und Lkw, die ein Vielfaches der Masse eines Pkw haben. Wenn die Arbeitszeitverlängerungen so umgesetzt würden, wie von den EU-Oberen geplant, würden insbesondere die oft tödlichen Auffahrunfälle an Stauenden zunehmen.

Doch der Verkehrsausschuß des EU-Parlaments ist dennoch der Ansicht, Bus- und Lkw-Fernfahrer sollten ihre Wochenendruhezeiten künftig erst nach drei statt nach zwei Wochen nehmen dürfen. Zudem soll es den Unternehmen erlaubt werden, ihre Busfahrer zwölf Tage am Stück einzusetzen. Innerhalb dieses Zeitraums sollen dann an vier Tagen Schichten von bis zu 16 Stunden möglich sein.

Hingegen fordern die Gewerkschaften, daß die nationalen Standards des Landes, in dem gearbeitet wird, ab dem ersten Tag auch für Fernfahrer angewendet werden. Auch neue Regeln bei der Entlohnung der Fahrer lehnen sie ab, da sich sonst das Niveau osteuropäischer Mindestlöhne durchsetzen werde. Anfang Juli wurde eine Entscheidung über die Verschlechterungen erst einmal vertagt. Das Plenum des EU-Parlaments verwies das »Mobilitätspaket« zurück an den zuständigen Ausschuß. Vom Tisch dürfte das Vorhaben damit aber noch nicht sein. Dafür werden die diversen Lobbyverbände der Kapitalseite schon sorgen.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek