Ein Wochenende mit Platznehmen und Popcorn

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ bedankt sich bei allen beteiligten Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen, die am 1. September 2018 den geplanten rechten Aufmarsch in Chemnitz gestoppt haben. Aus Leipzig waren mehr als eintausend Menschen den verschiedenen Aufrufen gefolgt und hatten den Protest aktiv unterstützt.

Der Aufmarsch von mindestens 5.000 AfD-Anhänger*innen und strammen Neonazis konnte durch zwei entschlossene Sitzblockaden gestoppt werden. Leider war die Kommunikation mit der Versammlungsbehörde sehr schwierig, sodass die Anzeigen der sitzenden Spontanversammlungen sich langwierig gestaltete.

Auch wenn es teilweise gute Kommunikation mit der Polizei – vor allem mit den Einheiten des Bundes – gab, kritisiert das Netzwerk, dass etwa 250 Menschen über vier Stunden in einem „Kessel“ festgehalten wurden. Dabei wurde bei den Identitätsfeststellungen sehr rabiat vorgegangen und der Vorgang wurde in die Länge gezogen. Erst kurz vor Abfahrt der letzten Züge wurde die Maßnahme abrupt beendet und alle festgehaltenen Menschen durften gehen. Einige erreichten den Zug gerade so.

„Das Festhalten der Personen im Kessel war unverhältnismäßig. Ohne die Intervention von Anwält*innen und Abgeordneten hätten über 200 Personen die Nacht in Chemnitz verbringen müssen. Aufgrund der umherziehenden Hooligangruppen wären damit weitere Übergriffe vorprogrammiert gewesen. Auch am Bahnhof haben immer wieder Teilnehmer*innen der AfD-Kundgebung versucht zu provozieren“, erklärt Rechtsanwalt Jürgen Kasek.

Nachdem die Abreise angesichts der Vielzahl der Personen auf drei Züge verteilt werden musste, stand am Sonntag wieder Protest auf dem Programm. Deutlich mehr als hundert Personen stellten sich ein, um bei Popcorn eine neuerliche Demonstration des Wanderzirkusses kritisch zu begleiten, den der Dunstkreis um Ex-Legida hervorgebracht hat.

Zum Organisationsteam, das sich vor allem auf eine krude Verschwörungstheorie unter dem Stichwort QAnon8Chan bezieht, gehörten altbekannte Gesichter, die einst alle zum engsten Legida-Kreis zählten: Silvio Rösler (Offensive für Deutschland), Anne Zimmermann („Initiative Heimatschutz“ Meißen) sowie Erhard Kaiser. Der ebenfalls von Auftritten bei Legida bekannte Nicos Chawales („DD-Strehlen wehrt sich gegen Politikversagen“) zog in unsäglicher Manier über Personen der Landespolitik her. Am Rande der Veranstaltung sprach Anne Zimmermann über „Verhaftungslisten“, die politische Gegner*innen zu fürchten hätten.

Zum Missbrauch des „Neuen Forums“ durch einen selbst ernannten Sprecher, der laut Facebook Hans-Joachim Müller heißt, wurde ein Beitrag von Gesine Oltmanns (Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution) auf der Kundgebung verlesen. Sie wendet sich darin gegen die Vereinnahmung und verweist auf die demokratischen Grundwerte des Zusammenlebens: Solidarität und Gewaltfreiheit.

„Auch wenn dem Aufruf unter dem irreführenden Namen ‚Neues Forum 89 Leipzig‘ nicht einmal zehn Personen folgten, ist es immer wieder wichtig zu zeigen, dass in Leipzig eine vernetzte Zivilgesellschaft aktiv ist. Antifaschismus ist kein Schimpfwort! Und Aufmärsche wie in Chemnitz sind keine Normalität!“, betont Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk.

Pressemitteilung: Leipzig, den 3. September 2018


Anhang:

Erklärung von Gesine Oltmanns, Stiftung Friedliche Revolution

Im September 1989, als nach der damaligen Gesetzgebung weder Versammlungs- noch Vereinigungsfreiheit garantiert war, jeder Versuch einer Demonstration mit Haft- und Ordnungsstrafen geahndet wurde, habe ich mit zwei Freunden, dem Unterzeichner des Gründungsaufrufes Michael Arnold und Edgar Dusdal, einem Aufruf aus Berlin folgend, das Neue Forum in Leipzig angemeldet. Es wurde zur größten Sammlungsbewegung in Ostdeutschland und hatte eine unüberschaubare Breite und Vielfalt.

Von Intellektuellen als Dialog-Forum gegründet erreichte es die Arbeiter_innen in Betrieben genauso wie die Demonstrierenden auf dem Leipziger Ring, alt und jung, im Norden und im Süden, Ost und West. Es war die Zeit, als am Runden Tisch gemeinsam Politik gemacht wurde, als Basisdemokratie eine tragende Rolle spielte. Das Neue Forum zog im Bündnis 90 in den ersten freien Landtag Sachsens ein und arbeitet intensiv an der neuen Verfassung des Freistaates mit. Den Bürgerrechtler_innen von damals ist es gelungen, dass die Werte von 1989, Solidarität und Gewaltfreiheit, in der Präambel unserer sächsischen Verfassung verankert sind. Und zwar genau als dieses, als grundlegende Werte des demokratischen Zusammenlebens.

Wir müssen heute sehen, dass Populismus schürende, rassistische, rechtsnationalistische Gruppen sich in ihren Slogans immer wieder mit den Losungen der Bürgerbewegung von 1989 schmücken. Die Chemnitzer Plattform „Pro Chemnitz“ beruft sich auf die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. 1989 war sie Gründerin und eine der AnführerInnen der Bürgervereinigung „Neues Forum“, die die damalige Staatsführung zum Dialog aufrief. Wegen ihres Einsatzes für Frieden, Freiheit und Menschenwürde wurde Bärbel Bohley 1983 und 1988 ins Gefängnis geworfen.

Ihr nach dem Mauerfall gesprochener und von den Populisten zitierte Satz „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“ rief nach mehr Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur, für politisch Verfolgte und Benachteiligte in Ostdeutschland und darf nicht ohne einen Blick in die Geschichte verwendet werden.

Die Losungen 1989 aus dem zeithistorischen Zusammenhang zu reißen und populistisch zu missbrauchen, schadet unserem Verständnis der revolutionären Bewegung des Herbstes 1989.

Wenn sich in Wurzen ein Neues Forum unter der Führung eines Neonazis gründet, müssen wir gegensteuern und die Zeitgeschichte noch genauer erzählen. Wir können nicht verhindern, dass die Menschen ihre Einstellungen aendern, aber wir müssen verhindern, dass sie ganze Geschichtsbilder fälschen!

Wir müssen in Erinnerung rufen:

Das Neue Forum stand 1989 für Verständigung, für die Dialogbereitschaft, für den Willen, einen gemeinsame demokratische Erneuerungsprozess der Gesellschaft in der DDR anzustoßen. Das Neue Forum stand nicht für Abgrenzung, nationalistischen Populismus, rassistische Hetze.

Deshalb gilt es, diese Sammlungsbewegung und ihren Namen in der Verantwortung ihrer demokratischen Ziele und Visionen darzustellen und nicht der Vereinnahmung und dem Missbrauch preiszugeben.

Lasst uns wachsam sein und diesen Versuchen entschieden entgegentreten!

Quelle:

Aktionsnetzwerk “Leipzig nimmt Platz”