Widerstand in Kiel

Günstiger Wohnraum ist knapp. Auch Kiel bietet da keine Ausnahme. Umso besser, wenn eine Bauunternehmergruppe sich zu Wort meldet und Vorschläge für knapp 300 neue Wohnungen in Kiel macht. Aber können Bauunternehmen, die eine willkommene Chance für dicke Renditen in überteuerten Neubauten sehen, Antworten auf die Wohnungsnot geben? Und achten die überhaupt auf Sozialverträglichkeit?

Die BigBau-Unternehmensgruppe hat in den 90er Jahren einen Bebauungsplan von „Marthas Insel“, eines großen Geländes an der Hörn (Innenstadt), in Kiel aufgestellt. Sie boten an, dort knapp 300 neue Wohnungen zu erbauen, welche mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 13,30€ Miete teilweise fast das doppelte der bestehenden Quadratmeterpreise erreichen. Diese Zahl blieb aber nicht in Stein gemeißelt, denn zu diesem Preis bot die BigBau die Wohnungen an Investoren an. Wie viel die dann verlangen würden, stand in den Sternen.
Nun war im ursprünglichen Bebauungsplan keine Quote für sozialen Wohnungsbau verankert, wie es sie jetzt gibt. 30% sozialer Wohnungsbau ist mittlerweile in Schleswig-Holstein vorgeschrieben, wenn neu gebaut wird. Diese Regelung wird aber an allen Ecken und Enden umgangen, denn sozialer Wohnungsbau bringt weniger Profit.
Die Stadt und die BigBau hatten sich eigentlich schon fast geeinigt, als das Vorhaben die Anwohner auf den Plan rief. Denn inwiefern beeinflusst eine Baustelle dieser Art die Anwohner? Zunächst sorgen hohe Mieten für die Erhöhung des Mietspiegels in der Gegend. Da die Jamaika-Regierung in Schleswig-Holstein sich in ihrem Koalitionsvertrag auf ein Aussetzen der Mietpreisbremse geeinigt hat, kommt da potentiell einiges an Mietsteigerung zusammen. Ein weiteres Problem bei einem solchen Bauvorhaben ist die über Jahre dauernde Lärmbelästigung, die die Lebensqualität senkt.

PORTEST FORMIERT SICH
Um vor allem etwas gegen die zu erwartenden hohen Mieten zu tun und gleichzeitig der Wohnungsnot an bezahlbarem Wohnraum in der Stadt vorzubeugen, trafen sich Bewohner der Marthastraße zu einem ersten Treffen in einer naheliegenden Kneipe. Hier wurde sich zu aller erst ausgetauscht, was man tun könne gegen das Vorhaben der BigBau und der Stadt oder wie man zumindest ein bisschen sozialen Wohnraum einfordern könnte. Immer häufiger wurden auch Ortsbeiratssitzungen durch Anwohner besucht. Hier wurde durch lauten Protest während den Sitzungen deutlich gemacht, dass das Vorhaben nicht so umgesetzt werden könne, wie es geplant war. Auch der Bauausschuss der Stadt wurde besucht, bei dem eigentlich keine Möglichkeit zu Publikumsbeiträgen gegeben wird. Durch genügend Hartnäckigkeit wurde den Betroffenen jedoch gnädigerweise das Wort für einige Minuten erteilt. Beim DGB-Jahresempfang war die Stadtbaurätin Doris Grondke als Gast anwesend und auch hier wurde auf direkte Diskussion seitens der Anwohner gesetzt, worüber auch die Kieler Nachrichten berichteten. Schließlich gründeten Bewohner der Marthastraße sogar einen Verein, um die Proteste zu organisieren: den Martha e.V.

DIE MEDIALE ÖFFENTLICHKEIT WAR EIN WICHTIGES DRUCKMITTEL
Sicherlich hätte sich allein durch die lautstarken Proteste in irgendwelchen Sitzungen nicht so viel getan, wenn das Thema nicht so viel mediale Öffentlichkeit bekommen hätte. Zu jeder Protestaktion gab es einen Bericht in den Kieler Nachrichten. So konnte Druck aufgebaut werden. Und so entstand ein anderes Ergebnis, als zu Anfang erwartet wurde: 80 von 300 neuen Wohnungen kauft die Stadt Kiel und hat vor, dann daraus sozialen Wohnungsbau zu machen. Das sind 26 % sozialer Wohnungsbau, also knapp unter den Vorgaben für neue Bauvorhaben. Die Mieten werden trotzdem steigen, weil es ja noch 220 teure Wohnungen gibt, aber durch kontinuierlichen Protest war es möglich, die Stadt Kiel zu zwingen, wenigstens ein bisschen Verantwortung für ihre Bürger zu übernehmen.

[Zoey, SDAJ Kiel]

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Quelle:

SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend