Der Gewerkschaft den Rücken stärken

Löhne, Prämien, Arbeitszeiten, Ruhe- und Urlaubstage, die in Kollektivverträgen ausgehandelt werden, sind für Betrieb und Beschäftigte verbindlich. So sollte es eigentlich sein. Allerdings zeigt der Alltag, dass Theorie und Praxis oft zweierlei Paar Schuhe sind. Denn immer häufiger bemängeln Personalvertreter, dass von Unternehmerseite zunehmend gegen Arbeitsrecht und Kollektivvertrag verstoßen wird.

Es gibt Beispiele zuhauf, die zeigen, dass sich Betriebsverantwortliche im Nachhinein immer häufiger nicht an Abmachungen erinnern wollen, auf die sich Patronat und Gewerkschaften in Kollektivvertragsverhandlungen geeinigt hatten. Das führt dazu, dass das nationale Schlichtungsamt zunehmend mit strittigen Dossiers befasst werden muss.

Dies ist ganz besonders bei Lohnfragen immer wieder der Fall, da das Patronat praktisch bei jeder Forderung der Gewerkschaften, die das Ziel verfolgt, die Schaffenden in einem größerem Maße an den Gewinnen teilhaben zu lassen, immer gleich mit beiden Füßen aufs Bremspedal tritt. Mit der fadenscheinigen Begründung, jede Mehrausgabe, und sei diese auch noch so gering, würde die Lohnmasse zu sehr belasten und könnte somit die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs gefährden.

Mit der gleichen Begründung versucht das Patronat immer häufiger auch Zugeständnisse aus früheren Jahren zu beschneiden oder ganz abzuschaffen. Das hat bereits dazu geführt, dass in Betrieben Einstiegslöhne gekürzt, Lohntabellen außer Kraft gesetzt, Prämien abgeschafft und Urlaubstage gestrichen wurden.

Darunter sind auch Unternehmen, in denen der Staat direkt oder indirekt Mehrheitsaktionär ist. Erinnert sei in dieser Hinsicht an die Frachtfluggesellschaft Cargolux, die vor Jahren als erstes großes Unternehmen nicht davor zurückschreckte, einen bestehenden Kollektivvertrag einseitig aufzukündigen, um anschließend in Neuverhandlungen für Neueingestellte schlechtere Löhne, niedrigere Prämien und weniger Urlaubstage durchzusetzen.

Andere Unternehmen folgten. Die Vorgehensweise war fast überall die gleiche: Verschlechterungen betrafen größtenteils Mitarbeiter, die neu eingestellt wurden. Eine Strategie, durch welche es immer wieder gelang, die Belegschaft auseinanderzudividieren und den Widerstand der Gewerkschaft zu schwächen.

Aufgrund dieser Vorgehensweise gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Unternehmen, die zweierlei Mitarbeiter beschäftigen – die einen mit altem Statut, und Neueingestellte mit niedrigeren Löhnen, schlechteren Laufbahnen und weniger Urlaubstagen. Eine Situation, durch welche das Arbeitsklima auf Dauer stark belastet ist, was bei Konflikten dazu führt, dass die Solidarität unter den Schaffenden nicht auf der Höhe der Erfordernisse ist, was die Arbeit der Gewerkschaft und der Personaldelegation erschwert.
Die Dampfwalze, die vom Patronat aufgefahren wurde, um Löhne und Errungenschaften aus früheren Jahren platt zu walzen, muss deshalb ausgebremst werden.

Als Priorität Nummer 1 angesehen werden muss in dieser Hinsicht eine massive Beteiligung an den Sozialwahlen und die Stärkung der Gewerkschaft, die erkannt hat, dass die beste Voraussetzung, um die Forderungen und Rechte der Lohnabhängigen durchzusetzen, darin besteht, solidarisch und organisatorisch geeint vorzugehen, unabhängig von der politischen oder religiösen Ausrichtung der einzelnen Lohnabhängigen. Und das gilt für die Personaldelegationen ebenso wie für die »Chambre des salariés«.

Mag sein, dass heute noch nicht alle Kolleginnen und Kollegen das begreifen, aber das Patronat weiß ganz genau, wem die gewerkschaftliche Zersplitterung am meisten dient.

gilbert simonelli

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek