Eine Frage der Perspektive

Im China der Ming-Kaiser (1368 bis 1644 unserer Zeitrechnung) waren staatliche Stellen für die Prüfung neuer »Finanzprodukte« zuständig. Heute wird die Bonitätseinstufung von Allem und Jedem (bis hin zu größeren Städten in aller Welt) den »großen drei« privaten US-amerikanischen Ratingagenturen Moody’s Investors Service, Fitch Ratings und Standard and Poor’s Corporation (S&P) überlassen.

Dabei sind sie von niemandem legitimiert und es besteht die Gefahr, daß mit der Bewertung von »Finanzprodukten« private Interessen verbunden sind.

Am letzten Augusttag hat Moody’s ihre Bonitätseinstufung für den Staat Luxemburg bei der Höchstbewertung AAA (»Triple-A«) belassen. Bestätigt wurde auch der Ausblick, der weiterhin mit »stabil« bewertet wird. Finanzminister Pierre Gramegna beeilte sich noch am selben Tag zu erklären, »in einem unsicheren internationalen Kontext« sei das jüngste Urteil von Moody’s »ein wichtiges Zeichen«, das »die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität unseres Landes« zeige.

Wie es in der Mitteilung des Finanzministeriums weiter heißt, rechnet die – wie auch die beiden anderen – von Hedgefonds (»Heuschrecken«) kontrollierte Ratingagentur damit, daß Luxemburgs Jahreswirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) in diesem und den kommenden vier Jahren um rund zweieinhalb Prozent pro Jahr zulegen wird.
Gleichzeitig könne man mit der solidesten »budgetären Situation« der wenigen verbliebenen AAA-Länder aufwarten und die luxemburgische Wirtschaft sei angesichts des (zumindest nach derzeitigem Stand weiterhin) kurz bevor stehenden britischen EU-Austritts »gut positioniert«.

Doch dem »Triple A«-Urteil der Rating-Experten ist nicht zu trauen, hatten sie doch auch die verbrieften US-amerikanischen Hypotheken-Schrottpapiere wider besseres Wissen mit ihrer Höchstnote bewertet – um sie an den Rest der Welt weiterverkaufen zu können, bevor die Hypotheken-Blase in den USA dann geplatzt ist und sie so gut wie nichts mehr wert waren.

Nicht anders war es vor sechs Jahren mit den USA, deren Kreditwürdigkeit noch an dem Tag, an dem mit Detroit die erste Großstadt des Landes offiziell für zahlungsunfähig erklärt wurde, wegen des angeblich so »sicheren Status« des US-Dollars vom Hause Moody’s die Bestnote »AAA« erhielt.

Vor allem aber bewerten Ratingagenturen als Wachhunde des Finanzkapitals nicht die soziale Lage der hier arbeitenden und lebenden Menschen, sondern ausschließlich die Verwertungsbedingungen für in- und (mehr noch) ausländisches Kapital.
Auch wenn Moody’s und der Finanzminister zu Recht feststellen, Luxemburg bleibe attraktiv für sogenannte Investoren, bedeutet das »Triple-A« zunächst nur, daß sich in Luxemburg neue Kredite für die Regierung und die Unternehmen auf absehbare Zeit nicht verteuern, weil ein schlechteres Rating von den »Investoren« in der Regel umgehend mit höheren Risikoaufschlägen (auf den Zins) gekontert wird.

Daß solche Investitionen zum Beispiel dazu führen, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden, ist leider überhaupt nicht zu erwarten.

Die Frage, ob Luxemburg ein »Triple-A« verdient, ist eben eine Frage der Perspektive.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek