Offener Brief zur Corona-Pandemie: Beschäftigte in Krankenhäusern melden sich zu Wort

„Der Offene Brief aus über 60 Krankenhäusern Niedersachsens und Bremens verdeutlicht eindrucksvoll den Handlungsbedarf. Dankesworte an die Krankenhausbeschäftigten reichen nicht, jetzt muss gehandelt werden.

An erster Stelle steht die Aufgabe, ausreichend Schutzkleidung bereitzustellen und die Gesundheit von Beschäftigten und Patienten zu schützen. Zudem fordern die Beschäftigten einen finanziellen Ausgleich für ihre Mehrbelastung in Form eines Bonus – nicht nur für Pflegekräfte, sondern auch etwa in der Reinigung und Küche.

Schließlich wird in der Krise deutlich, dass das Gesundheitssystem grundsätzlich krankt. Zurecht fordern die Beschäftigten deshalb mittelfristig einen grundlegenden Wandel: Nötig sind eine kostendeckende Finanzierung, gesetzliche Personalstandards, bessere Arbeitsbedingungen und eine Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand.“

Offener Brief zur Corona-Pandemie von Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen aus Krankenhäusern in Niedersachsen und Bremen

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Bovenschulte,
sehr geehrte Frau Sozialministerin Reimann,
sehr geehrte Frau Gesundheitssenatorin Bernhard,

wir – die Interessenvertretungen von Krankenhäusern in Niedersachsen und Bremen – wenden uns angesichts der aktuellen Entwicklungen an Sie und die Öffentlichkeit. Gemeinsam mit unserer Gewerkschaft ver.di sprechen wir für zehntausende Beschäftigte in den Krankenhäusern. 

Wir sind nach Kräften und darüber hinaus tätig – in allen Bereichen unserer Krankenhäuser: in der Pflege, Physiotherapie, Reinigung, Küche, Logistik, Verwaltung, Information, im Krankentransport, Labor oder Medizincontrolling, im sonstigen therapeutischen, ärztlichen und psychologischen Dienst sowie im Sozialdienst. Wir werden auch in den nächsten Monaten das uns Mögliche für die Versorgung der Bevölkerung tun. Dafür benötigen wir jedoch die entsprechende Ausstattung und Unterstützung. 

Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir sind keine Held/innen, sondern professionell Tätige in einem gesellschaftlich sensiblen Bereich. Angesichts der Risiken, die wir tragen, ist die Forderung nach einer angemessenen Vergütung deshalb nicht vermessen, sondern nur gerechtfertigt. 

Leider erleben wir aktuell auch, wie unsere Arbeit durch eine jahrzehntelang verfehlte und auf Effizienz und Wettbewerb getrimmte Gesundheitspolitik erschwert wird. Wir werden die Fehlentwicklungen nicht inmitten der Krise korrigieren. Aber wir werden, wenn das Schlimmste überstanden ist, Druck für den Aufbau eines Gesundheitssystems machen, das ausschließlich der bestmöglichen Versorgung dient. 

Wir Beschäftigte und Interessenvertretungen sind die Expertinnen und Experten des Gesundheitswesens und bringen uns mit unserem Wissen in die Krisenstäbe ein, die nun vor Ort eingerichtet werden. Da wo wir bislang noch nicht einbezogen werden, fordern wir dies dringend ein.

Unsere folgenden Anliegen richten wir an Sie als maßgebliche Verantwortliche: Patient/innen und Beschäftigte schützen 

  • Leben und Gesundheit stehen an erster Stelle: Die Länder Niedersachsen und Bremen müssen alles unternehmen, um ausreichend Schutzmasken, -kittel und – brillen sowie Handschuhe und Desinfektionsmittel bereitzustellen 
  • Die Produktion anderer Betriebe muss auf die Herstellung von Schutzkleidung und Hygienemittel umgestellt werden (positive Beispiele gibt es); Umstellungen müssen, wenn nötig, in gesellschaftlichem Interesse auch verordnet werden
  • Der Handel mit Schutz- und Hygieneartikeln zu horrenden Preisen muss unterbunden und entsprechendes, benötigtes Material beschlagnahmt werden

 

Beschäftigte gesund erhalten

  • Mehr Personal muss schnell und unbürokratisch eingestellt und finanziert werden – nicht nur in der Pflege, sondern etwa auch in der Reinigung
  • Eine Testung der Beschäftigten nach Selbsteinschätzung der Erforderlichkeit muss möglich sein
  • Quarantäne muss auch für infizierte Beschäftigte gelten: krank ist krank
  • Beschäftigten aus Risikogruppen muss der Einsatz in nicht gefährdeten / patientenfernen Bereichen ermöglicht werden
  • Psychologische Unterstützung für belastete Beschäftigte, Patient/innen und Angehörige muss bereitgestellt werden

 

 Leistung der Beschäftigten anerkennen

  • In der Krise fordern wir eine monatliche Prämie von 500 Euro für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen und in weiteren versorgungsrelevanten Bereichen (wie dem Einzelhandel); die Prämie muss voll refinanziert werden
  • Keine Verlagerung der Krisenkosten auf die Beschäftigten zur Sicherung der Gewinne, etwa indem aktuell Minusstunden angeordnet werden, um auf dem Krisenhöhepunkt kostenlos auf Mehrarbeit zugreifen zu können
  • Weiterhin – und nach der Krise wieder mit voller Kraft – kämpfen wir für dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen und Tariflöhne sowie die Rücknahme aller Ausgliederungen!

 

Gesundheitssystem umbauen

  • Unsere Krankenhäuser wurden zu Fabriken umgebaut, die effizient wirtschaften sollen; Stellen wurden abgebaut, Bereiche ausgegliedert und weite Teile des Gesundheitswesens – insbesondere in Niedersachsen – privatisiert; diese Entwicklung ging zulasten der Versorgung und zugunsten von Konzern-Profiten
  • Wir fordern einen Umbau des Gesundheitssystems: Das Finanzierungssystem der Fallpauschalen (DRGs) muss durch eine kostendeckende Finanzierung ersetzt werden
  • „What ever it takes“: Alle medizinisch sinnvollen Krankenhausleistungen müssen dauerhaft voll refinanziert werden (inklusive zusätzlichen Personals), die Länder müssen ihrer Aufgabe der Investitionsförderung endlich nachkommen
  • Ein gesetzlicher, bedarfsgerechter Personalschlüssel ist notwendig; die „Pflege-personal-Regelung 2.0“ muss eingeführt und verbindlich umgesetzt werden; Gleiches gilt für die Psychiatrie
  • Die Privatisierungen müssen rückgängig gemacht werden: Wir brauchen ein Gesundheitswesen in öffentlicher Hand – nicht für Konzerne oder Aktionäre, sondern von und für die Gesellschaft

  

Unterzeichnende (Stand 08.04.2020)

BR Klinikum Bremen Nord
BR Klinikum Bremen-Ost
BR Gesundheit Nord Geschäftsbereiche
BB Helios Gifhorn
BR AWO Psychiatriezentrum Königslutter
BR Aller-Weser-Klinik Verden und Achim
BR Elbe Klinikum Stade
MAV Evangelisches Krankenhaus Oldenburg
MAV DIAKO Krankenhaus Bremen
Ralf Laumert, BR Vorsitzender AKH Celle
BR Helios Klinik Herzberg/Osterode
BR Krankenhaus Winsen
MAV Krankenhaus Marienstift Braunschweig
BR Klinikum Peine
BR Ubbo-Emmius-Klinik Aurich-Norden
BR Asklepios Psychiatrie Niedersachsen
BR Roland-Klinik Bremen
ver.di Betriebsgruppe Klinikum Buchholz
BR Krankenhaus AUF DER BULT Hannover
BR AMEOS Klinikum Osnabrück
BR Helios St. Marienberg Klinik Helmstedt
BR Asklepios Harzkliniken
BR Klinikum Leer
BR AMEOS Klinikum Alfeld
BR Krankenhaus Buchholz
KBR des Klinikums Region Hannover (KRH)
BR KRH Klinikum Agnes Karll Laatzen
BR KRH Klinikum Robert Koch Gehrden
BR KRH Service GmbH
BR KRH Psychiatrie Langenhagen
BR Elbeklinikum Buxtehude
BR Helios Klinik Salzgitter
ver.di Betriebsgruppe Klinikum Bremen-Mitte
BR Klinikum Links der Weser Bremen
MAV Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg
BR Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide
BR EUREGIO KLINIK Nordhorn
MAV Bildungszentrum Niels-Stensen-Kliniken Osnabrück
MAV Niels-Stensen-Kliniken/Christliches Klinikum Melle
BR Klinikum Oldenburg
BR AMEOS Klinikum Seepark Geestland
PR Klinikum Wolfsburg
BR Helios Klinik Wesermarsch
ver.di Betriebsgruppe Klinikum Braunschweig
MAV AGAPLESION EV KLINIKUM SCHAUMBURG
BR Städtisches Klinikum Wolfenbüttel
MAV des Gesamtunternehmens DIAKOVERE
BR AMEOS Klinikum Mitte Bremerhaven
BR Klinik am Kasinopark Georgsmarienhütte
BR Heidekreis Klinikum Walsrode
BR AMEOS Klinikum Bürgerpark Bremerhaven
BR Städtisches Klinikum Lüneburg
Anne-Kirsten Hoffmann, BR Vorsitzende und weitere BR Mitglieder aus dem Klinikum Uelzen
PR Medizinische Hochschule Hannover
BR KRH Klinikum Großburgwedel
BR KRH Klinikum Lehrte
BR KRH Klinikum Nordstadt
BA des BR KRH Klinikum Siloah
BR KRH Geriatrie Langenhagen
BR KRH Labor GmbH
BR KRH Psychiatrie Wunstorf (ver.di, dbb, MB)
ver.di Betriebsgruppe Universitätsmedizin Göttingen
ver.di Betriebsgruppe AMEOS Klinikum Hildesheim 

Quelle:

ver.di Landesbezirk Niedersachsen-Bremen