Andreas Sörensen: »In Schweden sind mittlerweile über 3000 Personen gestorben«
Der Umgang des schwedischen Staates mit der Covid-19-Pandemie wird in Österreich viel diskutiert. Wir haben mit Andreas Sörensen, dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Schwedens (SKP), über die Situation der Arbeiterklasse in Schweden gesprochen.
In Österreich wurden vorübergehend strenge Maßnahmen von Seiten der Regierung gegen die Ausbreitung von Covid-19 ergriffen. So konnte innerhalb einiger Wochen die Zahl der Neuinfektionen stark reduziert werden. Wie stellt sich die Situation in Schweden dar?
Es freut auch mich, das Interview zu machen!
Die Situation in Schweden ist ganz anders als in Österreich und den meisten anderen Ländern, insofern, dass fast keine Maßnahmen zum Stoppen der Verbreitung eingeführt wurden. Zum Beispiel sind Versammlungen auf bis zu 50 Personen begrenzt, die Restaurants und andere Plätze, wo sich Menschen treffen, sind entweder geschlossen oder begrenzt und die Universitäten und Gymnasien sind zum Distanzunterricht übergegangen, aber sonst sind fast keine Maßnahmen ergriffen worden. Vor allem: die Produktion läuft mehr oder weniger ungestört, damit die Profite der Monopole auch weiterhin fließen können.
Die Verantwortung der Begrenzung der Pandemie ist zum großen Teil auf die Einzelpersonen übertragen worden. Ohne die Voraussetzungen zu schaffen, fordert man von Menschen Distanzierung, von zu Hause aus zu arbeiten und Isolierung. Gleichzeitig gibt es Millionen Arbeiter, die sich nicht isolieren können, die nicht von zu Hause aus arbeiten können und sie deshalb den Virus verbreiten, egal ob sie es wollen oder nicht.
Mittlerweile sind über 3000 Personen gestorben, was eine sehr hohe Zahl ist, mehr als alle andere Ländern in Skandinavien und im Norden zusammen. Es ist eine Politik zugunsten der Monopole, womit die Arbeiter den höchsten Preis bezahlen müssen: mit dem Leben.
In Österreich wird das sogenannte schwedische Modell vielfach als Alternative dargestellt, ihr habt euch ja schon früh gegen dieses geäußert und offensichtlich recht behalten. Kannst du uns etwas zu den aktuellen Entwicklungen sagen?
Wenn man einem Vergleich zu den Nachbarländern Schwedens macht, sieht man deutlich den Unterschied. Schweden hat mehr Todesfälle als Dänemark, Norwegen und Finnland zusammen und pro Million Einwohner sind mehr Menschen gestorben als in Deutschland, Frankreich oder Österreich.
Gleichzeitig erleben die Arbeiter im Gesundheitsbereich ein großes Risiko bei ihrer Arbeit. Ausreichende Schutzkleider fehlen und die Bereitschaftslager sind seit langem abgewickelt. Die Situation ist deshalb in den Krankenhäusern anstrengend und man hat Richtlinien für die Priorität der Kranken formuliert. In einigen Fällen wurde deshalb Menschen die Pflege verweigert.
Es ist auch deutlich, dass die Pandemie vor allem gegen die Arbeiter schlägt. Diejenigen, die eng wohnen und nicht von zu Hause aus arbeiten können, sind natürlicherweise überrepräsentiert in der Statistik. Vor allem die Arbeitervororte um Stockholm sind von der Pandemie besonders getroffen. Das Leben der Arbeiter wird für den Profit der Monopole geopfert.
In Österreich wurde in einem Akt der „nationalen Einheit“ das Epidemiegesetz von allen im Parlament vertretenen Parteien ausgehebelt und durch eine Corona-Sondergesetzgebung ersetzt. Das Epidemiegesetz hat für die Arbeiterklasse und andere werktätige Schichten wesentlich vorteilhaftere Regelungen enthalten. Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat sich daran eifrig beteiligt, die Corona-Gesetzgebung zu legitimieren und die Interessen des Monopolkapitals durchzusetzen, bspw. in Form des Kurzarbeitszeitmodells. Gibt es in Schweden ähnliche Entwicklungen und Tendenzen?
Ja, solche Entwicklungen sehen wir auch hier in Schweden. Kurzarbeitszeitmodelle wurden eingeführt, der Staat hat die Kosten für tausende Milliarden von den Monopolen übernommen und die Regierung fordert Sondermaßnahmen wegen der Pandemie.
Gleichzeitig werden die Rechte der Arbeiter reduziert. Zehntausende wurden schon gekündigt und die Regierung spricht offen über eine Arbeitslosigkeit von 13 Prozent im Sommer. Das ist fast eine Verdoppelung im Vergleich zum letzten Jahr.
Für den Staat und den Kapitalismus ist es eine Gelegenheit, die Ausbeutung zu steigern und die Konkurrenzfähigkeit der Monopole zu verbessern. Letztendlich geht es um eine Entwicklung in Richtung verschärfterer Konkurrenz innerhalb des imperialistischen Systems, wo alle Monopole und jedes kapitalistische Land um Vorteile kämpfen.
In Österreich werden seit 14. April schrittweise die Beschränkungen für das Kapital aufgehoben aufgrund rückläufiger Infektionszahlen. So werden Geschäfte und Lokale schrittweise wieder geöffnet. Schulen und Kindergärten sollen aufgesperrt werden. Die Partei der Arbeit kritisiert, dass Menschenleben zu Gunsten des Profites gefährdet werden und der österreichische Gesundheitsminister spricht bereits von der Möglichkeit einer zweiten Infektionswelle. Welche Maßnahmen fordert die Kommunistische Partei Schwedens zum Schutz der Arbeiterklasse und des Volkes?
In Bezug auf dem schwedischen Sonderweg fordern wir vor allem eine Schließung nicht relevanter Arbeitsplätze, um die Verbreitung der Virus zu verhindern und zu stoppen. Es ist eine notwendige Maßnahme, die das Leben der Arbeiter und die ältere Bevölkerung schützt.
Wir fordern auch, dass die tausenden Milliarden, die der Staat für die Monopole bereitgemacht hat, dem Volk zur Verfügung gestellt werden. Das heißt zum Beispiel die Abschaffung der Mietenzahlung, keine Kündigungen von Arbeitern und keine Senkungen der Gehälter.
Gleichzeitig zeigt die Krise, wie prekär die Situation im Gesundheitswesen ist. Es mangelt an Schutzausrüstung für die Gesundheitsarbeiter, es mangelt an Pflegeplätze für die Patienten und es mangelt an Personal. Wir fordern, dass das Geld, das für die Monopole ausgegeben wird, stattdessen in den Wohlstand des Volkes investiert wird.
Die Politik, die die Profite der Monopole schützt, muss beendet werden, aber das ist auch eine Unmöglichkeit im Kapitalismus.
In Österreich sind wir zunehmend mit einer Wirtschaftskrise konfrontiert, die durch die Maßnahmen gegen eine Ausbreitung von Covid-19 wohl verschärft wurden. Die Krisenkosten werden von Kapital und Regierung in Komplizenschaft mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung der Arbeiterklasse und dem Volk aufgebürdet – in Form von Kurzarbeit und weiteren Maßnahmen, die wohl folgen werden. Ist eine wirtschaftliche Krise auch in Schweden bemerkbar?
Ja, es ist in Schweden auch merkbar. Vor allem kleinere Geschäfte gehen in Konkurs, was für eine wirtschaftliche Krise im Kapitalismus gewöhnlich ist. Die Gehälter werden gesenkt und die Formen der Anstellungen werden flexibilisiert.
Eine riesige Kündigungswelle hat auch dazu geführt, dass mehr Menschen in Gefahr stehen, ihre Wohnung zu verlieren, weil sie sich ihre Rechnungen nicht mehr leisten können. Es wurden keine Versuche unternommen, diese Situation zu vermeiden.
Die jetzige Krise zeigt einfach dieselben Merkmale wie eine gewöhnliche Überproduktionskrise: eine weitere Konzentration der Produktionsmittel, eine weitere Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse und dadurch eine Stärkung der Position der Monopole, sowohl im eigenen Land als auch weltweit.
Die Führung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes fordert, dass den österreichischen Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten, „die das Land jetzt am Laufen halten“, 1000 Euro direkt aus dem Milliarden Euro schweren Corona-Hilfspaket der Regierung für das Kapital ausbezahlt werden soll. Es soll offensichtlich davon abgelenkt werden, dass der Arbeiterklasse die Krisenkosten aufgebürdet werden. Gibt es ähnliche Diskussionen in Schweden?
Eigentlich nicht. Im Unterschied zu Österreich regiert hier die Sozialdemokratie und das bedeutet, dass die sozialdemokratische Leitung der Gewerkschaften sich hauptsächlich von Kritik abhalten. Stattdessen sagt man, dass die Regierung eine gute Arbeit gemacht hat und fordert eigentlich nicht mehr als das, was die Regierung umsetzen will. Laut des Vorsitzenden des schwedischen Gewerkschaftsbundes hat die Regierung „kraftvoll agiert um die Konsequenzen der Krise in Arbeitsmarkt zu mildern“ und sie habe „gut und entschieden“ gehandelt.
Man hat zum Beispiel einige Änderungen in der Arbeitslosenkasse durchgeführt, was nur einige Milliarden Kronen kostet und man hat gewisse Erleichterungen in den Möglichkeiten geschaffen, dass die Menschen zu Hause bleiben können, wenn sie krank sind, aber im Vergleich zur Unterstützung der großen Monopole ist es wie ein Tropfen ins Meer. Die Unterstützung für die Monopole zählt jetzt bereits fast 2000 Milliarden Kronen.
Die Haltung der Gewerkschaften dient eigentlich dazu, dass die wirkliche Situation, wo die Arbeiterklasse alle Kosten der Krise tragen muss, versteckt wird.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg im Kampf für die sozialen Rechte und die Gesundheit der schwedischen Arbeiterklasse und des Volkes.
Dasselbe wünschen wir euch! Die Krise wird sicher weitreichende Konsequenzen haben, was auch die Notwendigkeit eine Partei unseres Typs zeigt.
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