Worauf es ankommt

In diesen Tagen wird viel über Sinn und Unsinn von Corona-Vorschriften geredet und geschrieben. Jede Menge Mediziner und andere Wissenschaftler werden zitiert, Studien werden verbreitet, in denen mal das Für und mal das Wider hervorgehoben wird. So manche Leute sind plötzlich Pandemie-Experten und verbreiten in den »sozialen Medien« halbgares und unbewiesenes Wissen über das Virus, seine Verbreitung, seine Gefährlichkeit – oder wahlweise auch Ungefährlichkeit – und über die Wege und Methoden, sich davor zu schützen oder auch nicht.

Sicher, so manche Entscheidung der Regierung über Hygienevorschriften kann in Frage gestellt werden. Es läßt sich trefflich darüber diskutieren, ob anderthalb oder zwei Meter Abstand einen angemessenen Schutz vor einer Übertragung bieten oder auch gar keinen. Ist es richtig, maximal 20 Personen für Zusammenkünfte zuzulassen, und wie definiert man eigentlich Familienmitglieder? Bietet eine Maske wirklich Schutz vor Infektionen, und wann und wie sollte sie getragen werden?

Es steht jedem frei, darüber zu diskutieren und Entscheidungen und Verordnungen in Frage zu stellen. Natürlich steht es auch jedem frei, Verordnungen zu befolgen oder nicht, und gegebenenfalls auch Strafen in Kauf zu nehmen – wobei es allerdings dann schwierig wird, wenn Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich in Gefahr gebracht werden.

Die Crux an der Sache ist nur: Darauf kommt es gar nicht an. Es gibt eine Reihe von Aspekten dieser Krise, die viel wichtiger und schwerwiegender sind, und es gibt Entscheidungen, die auch dann noch nachwirken, wenn »Corona« längst in den meisten Sprachen der Welt zum »Unwort des Jahres« bestimmt wurde.

Da ist das Zurückfahren der Produktion, die zeitweilige Schließung von Betrieben, mit der Folge, daß Beschäftigte in den Zwangsurlaub geschickt und mit Kurzarbeitergeld abgespeist werden. Und das hat zur Folge, daß die Betriebe vorübergehend keine Löhne zahlen müssen, weil der Staat das Kurzarbeitergeld finanziert – die Betroffenen allerdings nur 80 statt 100 Prozent ihres Lohnes erhalten.

Da ist die Sache mit dem Schließen von Unternehmen oder Teilen von Betrieben. Das führt zu Massenentlassungen, zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit, wodurch es selbst für Jene, die eine gute Ausbildung haben, schwerer wird, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Die Herrschenden und die unter ihnen Regierenden reden jetzt viel von »Wettbewerbsfähigkeit«, von »Hilfe für die Wirtschaft«, und sie machen ungekannte Milliardensummen locker, um Großbetriebe und Banken vor der Pleite zu bewahren. Zumeist ist dabei keine Rede von Arbeitsplatzgarantien. Und so kommt es, wie es in jeder Krise des kapitalistischen Systems kommt: Die Zeche zahlen die mit den schmalen Schultern. Und vergessen wir nicht das bereits begonnene Sterben kleiner Läden und Restaurants.

Noch viel gefährlicher ist es, wenn angesichts und ungeachtet der Krise Milliarden über Milliarden für die Rüstung und das Aufblähen der Militärbudgets beschlossen werden, wenn es – trotz der Krise – nicht gelingt, die Kriege und »kleineren« militärischen Konflikte auch nur für einen Tag ruhen zu lassen. Und wenn die Krise genutzt wird, um Sanktionen und Strafmaßnahmen aller Art gegen unliebsame Staaten wie Kuba, Venezuela, Syrien, China oder Rußland beschlossen und durchgesetzt werden.

Das ist es, worauf es ankommt. Darüber müssen wir reden, wenn wir heute über die kapitalistische Krise diskutieren, die zur Zeit als Corona-Krise daherkommt.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek