Geeint gegen Netanjahu

„… schlimmer als in Nordkorea“ – mit diesen bissigen Worten kennzeichnete der israelische Premierminister Netanjahu die Berichterstattung israelischer Medien über die Proteste gegen seine Regierung. Die Medien würden nicht kritisch über Proteste berichten, sondern geradezu zur Teilnahme aufrufen. Am letzten Wochenende gab es Proteste an 300 Orten in Israel, teilweise begleitet von Verhaftungen und Zusammenstößen mit rechten Provokateuren.

Seit Wochen reißen die Proteste gegen die rechte Regierung unter Netanjahu nicht ab. Mit teilweise weit über zehntausend Teilnehmern gehören sie zu den größten Demonstrationen der letzten zehn Jahre. Die Teilnehmer stellen ein breites Spektrum der israelischen Gesellschaft dar – späte Hippies, die Blumen verteilen, Gegner der Besatzungspolitik, linke Parteien und von der Arbeitslosigkeit und den Folgen der wechselhaften Regierungspolitik gegen Corona Betroffene. Sie alle eint in den Demonstrationen ein Ziel: Die gegenwärtige Regierung darf nicht an der Macht bleiben.

Die Regierung hatte wegen Corona einen strikten Lockdown verhängt, der die Arbeitslosigkeit steigen ließ, dann aber in einer abrupten Umkehr die Beschränkungen aufgehoben, was in einer „zweiten Welle“ einen steilen Anstieg der Infektionszahlen zur Folge hatte. Auf dem bisherigen Höhepunkt wurden mehr als 2.000 Neuinfektionen pro Tag identifiziert. Pflegekräfte traten für bessere Bezahlung und mehr Personal in Streik. Minister mussten in Quarantäne gehen. Selbst der Polizeichef von Jerusalem musste die Beobachtung einer Demonstration aufgeben und sich direkt von seinem Einsatz in Quarantäne begeben.

Mittlerweile gehen die Infektionszahlen in Israel zurück, die Arbeitslosigkeit aber stieg auf 21 Prozent, viele Arbeiter bangen um ihre Existenz. Die Knesset hat in der Krise viele ihrer Rechte, mit denen sie die Antwort der Regierung auf Corona kontrollieren konnte, aufgegeben und an die Regierung selbst übertragen.

Angriffe auf Syrien und Drohungen gegenüber Hisbollah und dem Libanon ergänzen Corona und die Wirtschaftskrise. Nachdem am 20. Juli in einem erneuten Luftangriff auf Damaskus ein Kommandeur der Hisbollah getötet wurde, fürchtete die israelische Armee einen Vergeltungsangriff. An der Grenze zum Libanon wurden isolierte Stützpunkte geräumt, um keine Ziele für einen Angriff zu bieten. Verstärkungen wurden in den Norden verlegt.

Am 27. Juli schließlich war es soweit: Die israelische Armee meldete einen Angriff aus dem Libanon, schwere Waffen wurden eingesetzt und die Angreifer zurückgeschlagen. Netanjahu und Gantz drohten Hisbollah und dem Libanon für den Fall einer Wiederholung.

Gab es tatsächlich einen Angriff? Hisbollah bestreitet das und betont, die Aktion sei einseitig von israelischer Seite erfolgt, wohl ein Fehlalarm aufgrund der Nervosität im israelischen Militär. Aber es werde auf jeden Fall in der Zukunft eine Vergeltungsaktion geben.

Ob es einen Angriff gab oder nicht – Hisbollah hat es geschafft, den gesamten israelischen Militärapparat in einen Alarmzustand zu versetzen, wie die israelische Zeitung „Haaretz“ schrieb.

Die Neuinfektionen mit Corona weiteten sich mittlerweile auf das Westjordanland aus. Im Juli hat sich die Zahl der Infizierten vervierfacht. Die Behörden haben einen Lockdown verhängt, der sich aber kaum organisieren lässt. Denn die Sicherheitskräfte werden durch unzählige israelische Kontrollposten behindert. Trotz Corona und Protesten – die faktische Annexion geht weiter, auch wenn die offizielle Annexion vorerst zurückgestellt wurde.

Quelle:

UZ – Unsere Zeit