Der Mythos vom »Beschützer«

Die Ankündigung, einen Teil der USA-Truppen aus Deutschland abzuziehen, hat eine Menge Wirbel im Blätterwald ausgelöst. Dabei wurden wieder etliche Mythen bemüht, vor allem der Mythos, die Truppen der USA samt ihrem umfangreichen Tötungsarsenal hätten die Aufgabe, die deutsche Bevölkerung, ja sogar ganz »Europa« zu beschützen. Allerdings wird nicht hinterfragt, vor wem diese Truppen eigentlich Schutz bieten sollen. Es ist zumindest nicht bekannt geworden, daß die Bundesrepublik Deutschland – sowohl vor als auch nach 1990 – jemals Ziel einer tatsächlichen militärischen Bedrohung war. Allerdings war es nützlich für die politischen Machthaber und deren Auftraggeber aus Wirtschaft und Finanz, diesen Mythos aufrecht zu erhalten.

Der von Präsident Trump mit dümmlichen Begründungen verkündete Truppenabzug ist nichts weiter als ein Teil des Wahlkampfes und kann und wird keinerlei Änderung beim militärischen Kräfteverhältnis in Europa bewirken. Abgesehen von dieser Tatsache, die von den meisten Kommentatoren nicht erkannt oder zumindest bewußt verschwiegen wird, hatten die Einheiten der USA-Streitkräfte in Deutschland und in anderen Ländern nie die Aufgabe, die jeweiligen Länder oder gar deren Einwohner zu schützen. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg in aller Welt Hunderte Militärstützpunkte eingerichtet, mit dem einzigen Ziel, zu jeder Zeit in der Lage zu sein, als »Weltpolizist« in Aktion treten zu können.

Dabei ging und geht es stets um vermeintliche oder tatsächliche Gegner, von denen jedoch nie bekannt geworden ist, daß sie in irgendeiner Form die USA militärisch angegriffen hätten oder angreifen wollten. Die Stationierung starker Militäreinheiten in Westdeutschland richtete sich gegen die Sowjetunion und deren Verbündete. Nach deren Verschwinden von der weltpolitischen Bühne wurde dem zu einem kapitalistischen Staat gewandelten Rußland diese Rolle zugeteilt. Die Stützpunkte in Deutschland erwiesen sich weiterhin als außerordentlich nützlich bei den Kriegen der USA in Afghanistan und im Irak. Hinzu kamen ab 1990 Militärbasen in allen früheren Staaten des Warschauer Vertrages.

Die Sowjetunion war auch die Hauptstoßrichtung der USA-Militärstrategie bei der Errichtung von mehr als 130 Stützpunkten in Japan. Die spielten dann auch eine wichtige Rolle bei den schmutzigen Kriegen der USA in Korea und in Vietnam.
Angesichts der sich verschärfenden Krise sucht der gegenwärtige USA-Präsident verzweifelt nach Möglichkeiten, zumindest seine Wähler bei der Stange zu halten. Da fällt ihm dann ein, daß Deutschland angeblich zuwenig in den Topf der NATO einzahlt, oder auch, daß die Deutschen zuviel Gas bei den Russen einkaufen und deshalb mit Liebesentzug zu bestrafen sind. Und aus anderen Etagen der USA-Politik wird dann auch noch kolportiert, man könne auch einen »Rückzug aus der NATO« in Erwägung ziehen, wie Trumps ehemaliger »Sicherheitsberater« John Bolton gestern die Presse wissen ließ.

All das sind Spielchen, die darauf hinauslaufen, daß die »Betroffenen« weiter um den »Schutz« durch den »großen Bruder USA« betteln sollen, und zudem das Ziel haben, die anderen NATO-Staaten zu höheren Militärausgaben zu drängen.
Interessant würde es erst, wenn eine USA-Regierung einen wirklichen Abzug von Truppen aus Deutschland und anderen Ländern beabsichtigen würde. Dann endlich würde ein großer Wunsch der Friedenskräfte wahr, mit der Jahrzehnte alten Losung »Ami go home«, ergänzt durch: Und vergiß nicht, Deine Atombomben mitzunehmen!

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek