Die Aktualität der Marxschen Gewerkschaftstheorie

Am 5. Mai 1818 erblickte Marx das Licht der Welt. Mit seinem Denken und Wirken untrennbar verbunden – die moderne Arbeiterbewegung. Marx begründete aus seiner Analyse des Kapitalismus in diesem Zusammenhang zugleich die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisierung und des gewerkschaftlichen Kampfes, als „Abwehr der Arbeit“ gegenüber der Profit-Logik und den Wolfsgesetzen des Kapitals sowie der friedenspolitischen Anforderungen der Gewerkschaften im Kapitalismus und weit darüber hinausreichenden revolutionären Funktion.

In seiner hierzu gleichsam klassisch verdichteten Passage endet er in seiner Schrift „Lohn, Preis, Profit“:„Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d. h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“

Denn aus den Wolfsgesetzen des Kapitals ergibt sich für die Arbeitenden die Unumgänglichkeit der gewerkschaftlichen Organisierung und des gewerkschaftlichen Kampfes zunächst vor allem a) zur Sicherung bzw. zur Erhöhung der Löhne, wie b) der gesellschaftlichen resp. gesetzlichen Regulierung der Arbeitszeit bzw. ihrer Verkürzung, sowie c) des Ringens um die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. In dieser kollektiven Interessensvertretung vermögen die Werktätigen die durch den individuellen Arbeitsvertrag (als der rechtlichen Grundform der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit) bedingte Vereinzelung und Konkurrenz unter den Arbeitenden aufzuheben. In diesem Sinne haben Gewerkschaften denn auch vorab eine Schutzfunktion. Nur der solidarische, kämpferische Zusammenschluss der Arbeiter kann der „allgemeinen Tendenz“ des Kapitals „den durchschnittlichen Lebensstandard nicht zu heben, sondern zu senken“ entgegenwirken. Eine Klassenauseinandersetzung, die sich in ihrem Verlauf noch um den Kampf um innerbetriebliche ArbeiterInnenrechte erweiterte, nicht zuletzt des demokratischen Rechts auf innerbetriebliche Belegschaftsvertretungen (Betriebsräte).

Der Lohnstreit sowie die Arbeitszeitverhältnisse, oder Anspruch der Arbeitenden auf die Sicherung und Erhöhung ihres Lebensniveaus, sind ihrem Kern nach damit auch vor allem eine Frage der Klassenkräfte- wie gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse insgesamt, der Konfliktbereitschaft der Gewerkschaften und Werktätigen, sowie ihrer Kampfformen. Flankierende Argumente wie ‚Konjunkturlage‘, ‚Stärkung des Binnenkonsums‘ etc. bilden in diesem Zusammenhang (im Unterschied zu den aktuellen inflationären Teuerungsschüben) sonach auch nur nachgelagerte Zusatzargumente. Den damit benannten Dreh- und Angelpunkt würde unser Jubilar der aktuellen gewerkschaftlicher Lohnpolitik unter den Auspizien der höchsten Inflation seit Dekaden und entfesselter geopolitischer Wirtschaftskriegsbedingungen wohl nochmals gesondert ins Stammbuch diktieren.

Mit dem ÖGB würde Marx zudem aber auch, zumal nach dem weltgeschichtlichen Sündenfall der Zustimmung der führenden Sozialdemokratie zum Ersten Weltkrieg, ob der neuerlich verkappten Rolle der Gewerkschaften als abermalige „Kriegspartei“ im imperialistischen Interesse hart ins Gericht gehen und seine Worte ins Gedächtnis rufen: Eine konsequente Friedenspolitik gegen jedwede „frevelhafte“, sprich: imperiale, „Zwecke“ kann nur in Auseinandersetzung mit der Globalstrategie der imperialistischen Kernländer geführt werden. „Der Kampf für solch eine auswärtige Politik“, so Marx in seiner „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation“, dazu noch unter Neutralitätsperspektive Österreichs, „ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse“.

Gewerkschaften haben für Marx darüber hinaus jedoch auch eine politische Gestaltungsfunktion sowie die revolutionäre Funktion der Aufhebung des kapitalistischen Lohnsystems als solchem. In historischer Perspektive macht Marx die voll entfaltete Funktions-Erfüllung der Gewerkschaften daher auch vom Kampf gegen das kapitalistische Lohnsystem und der „endgültigen Abschaffung des Lohnsystems“ abhängig. Und unter diesem umfassenden Blickwinkel haben für ihn die Selbsttätigkeit der Werktätigen, ihre Arbeits- und Gewerkschaftskämpfe auch die doppelte Bedeutung: einerseits des „unvermeidlichen Kleinkriegs“ zur Behauptung ihre Arbeits- und Lebensinteressen im Kapitalismus und andererseits als eine Art „Kriegsschule“ zur Vorbereitung auf die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems. Denn erst in ihrer Selbsttätigkeit und ihren Kämpfen konstituiert sich die Arbeiterklasse als soziales Subjekt der menschlichen Emanzipation und wird sich ihrer revolutionären Kraft bewusst.

Quelle: KOMintern