Der G7-Gipfel von Elmau – rien ne va plus

Weite Teile des Globus stecken in einer manifesten, ja teils dramatisch eskalierenden Schulden- und Hungerkrise, vor drohenden Staatspleiten und sozialen wie humanitären Katastrophen. Der gerade zu Ende gegangene G7-Gipfel, selbsternannter ehemaliger „Lenkungsausschuss der Weltwirtschaft und Weltpolitik“ der imperialistischen Kernstaaten, hat abermals deutlich gemacht, dass das Kartell des Kapitals und seiner Eliten – wenig überraschend – keine Lösungen zu bieten hat, sondern die G7 und ihre Satelliten-Staaten selbst das Problem sind.

Bereits der Internationalen Schuldenreport 2022 des Bündnisses „Erlassjahr.de“ warnte Mitte Jänner nachdrücklich vor einer Welle an Staatspleiten. Nach medial eher stiefmütterlichen Randberichten über die Pleiten Sambias, Belizes und Surinams hievten die Sozialrevolten im kurz vor dem Kollaps stehenden Sri Lanka das Thema etwas stärker in den Fokus. Freilich nur punktuell. Berichte zu anderen Pleitekandidaten wie Angola oder Tunesien etwa suchte man erfolglos.

Eine drohende Welle an Staatspleiten

Zum aktuellen G7-Gipfel in Elmau schlug das Bündnis nun erneut Alarm: Die Verschuldung der sogenannten 148 Low- und Middle Income Countries (also der gemessen am Pro-Kopf-Einkommen Länder niedrigen und mittleren Einkommens) hat einen neuen Höhepunkt erreicht. 135 der 148 LIC und MIC-Länder weisen „mindestens einen Schuldenindikator [Anm.: öffentliche Schulden, Auslandsschulden, Schulden in Relation zum BIP, Einnahmenstruktur] im kritischen Bereich“ auf. D.h.: stehen vor oder inmitten drastischer staatlicher Einschnitte, sozialer Katastrophen oder überhaupt vor einem Staatsbankrott. „Angesichts dieser Zuspitzung“, so Sebastian Edinger, „warnen mittlerweile sogar der Internationale Währungsfonds und die Weltbank vor einem wirtschaftlichen und sozialen Kollaps sowie einer humanitären Katastrophe.“

Der moderne Zehent – Schuldknechtschaft und Tributzahlungen des Globalen Südens

Diese regelrechte Schuldknechtschaft, deren Schuldendienst heute vielfach rund 10% des BIP der LIC und MIC-Staaten ausmacht, lastet wie ein neuer oder moderner Zehent auf den Ländern des Globalen Südens. Und diese Tributzahlungen und der damit einhergehende Werttransfer an die Weltfinanzzentren fällt aufgrund der ohnehin schon vertrackten Lage und Armut nochmals besonders ins Gewicht. Dazu rattern begleitend die Zinsen für Staatsanleihen hinauf und gesellen sich für jene, die das Geld am dringendsten brauchen, fette Risikoaufschläge für Staatsanleihen hinzu.

Kein Schuldenerlass durch die politischen Prokuristen von BlackRock & Co

Vor diesem Hintergrund der Schuldenkriseneskalation und Finanznot forderten die Mobilisierungen in Elmau vom G7-Gipfel denn auch den Schuldenerlass der Verbindlichkeiten mit Beteiligung privater Gläubiger. Oder Tacheles geredet: Einen Schluss der Tributzahlungen ans internationale Finanzkapital und globale Finanz-Casino.

Denn während BlackRock & Co, herkömmliche Investmentbanken und Superreiche ihren modernen Tribut einfordern und zeitgenössischen Zehent einsacken, und damit überdies die Entwicklungsperspektiven der Länder des Globalen Südens „aushungern“, wenden die hoch entwickelten Staaten der Weltfinanzzentren mit ihren 0,35% an „Entwicklungshilfe“ gerade einmal Peanuts auf und geraten die von der UNO für 2030 gesteckten Millenniums-Entwicklungsziele immer weiter außer Reichweite. Gerade auch die Armut und den Hunger betreffend. Daran ändert auch der von Berlin mit auf die Agenda des G7-Gipfels gesetzte Tagesordnungspunkt Welternährung nichts, dessen Ergebnisse von der bekannten Entwicklungsorganisation OXFAM schlicht als „Blendwerk“ und „historisches Versagen der G7“ charakterisiert wird.

Globale Ernährungskrise

Der Ukrainekrieg und das in seinem Kontext verhängte Sanktionsregime verschärfen die ohnehin dramatische Lage ihrerseits nochmals drastisch. Zumal in den Hauptimporteuren im Nahen Ostens und Nordafrikas. Nicht weniger betroffen sind allerdings auch Afghanistan, Äthiopien, Nigeria, Kenia, Uganda, der Südsudan und Jemen – um nur einige besonders betroffene Staaten zu nennen.Allerdings, wie auch Entwicklungs- und Hilfsorganisationen und das UN-Welternährungsprogramm (WFP) unermüdlich hervorstreichen: „Die Welt steckte schon vor dem Krieg in der Ukraine in einer globalen Ernährungskrise. Die Antworten [hingegen] … sind seit Jahren unzureichend.“ Und während die Afrikanische Union zur Abwendung der Hungerkrise ein Ende und die Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau fordert, beschloss der Club der Zentren des Metropolenkapitalismus demgegenüber vielmehr weitere Verschärfungen im Wirtschaftskrieg gegen den Iwan.

Der Irrsinn des Geschäfts mit und der Wetten auf Nahrungsmittel

Während sich der dadurch feststeckende Weizen mengenmäßig indes dennoch ohne weiteres kompensieren bzw. aus den deutlich über der kritischen Grenze liegenden globalen Lager- und Reservebeständen von ca. 280 Millionen Tonnen ausgleichen ließe, explodierten aufgrund der Nahrungsmittelspekulationen und Wetten auf Lebensmittelpreise allerdings die Getreidepreise auf neue Rekordhöhen. Diese schossen schon letzten Herbst – also lange vor dem Ukraine-Krieg – völlig durch die Decke und erklommen seit dem tobenden Weltordnungskrieg nochmals ein weiteres, für zahlreiche Länder im globalen Süden unleistbares Hoch und damit erzwungene „Knappheit aus Bezahlbarkeit“.

Der Irrsinn des heutigen Nahrungsmittelgeschäftsmodells lässt sich schon daran ablesen, dass eine (aktuelle) Marktabweichung von 1,5% des Verbrauchs schlagartig Preisrallyes befeuert, die jedem Lehrbuch-ABC Hohn spotten. So schwankte der Weizenpreis innerhalb des letzten Jahres zwischen 197 und 438 Euro pro Tonne um über 100%. Folglich kritisiert denn auch das Welternährungsprogramm WFP: „Die humanitären Bedürfnisse übersteigen bei Weitem die Mittel, die wir für dieses Jahr erhalten haben.“ Schon im Vorjahr mussten die Rationen aus dem gleichen Grund drastisch reduziert und vielerorts halbiert werden – während die Weizenbörse in Chicago (CBOT) boomt. An der CBOT wurde bereits vor 10 Jahren das sage und schreibe 73-fache der verfügbaren Weizenmenge gehandelt und damit die Ernährungspreise in unfassbare spekulative Höhe getrieben. Plastisch schreibt der Ökonom, langjährige wirtschafts- und sozialpolitische Berater afrikanischer Regierungen und Institutionen und intime Kenner der Materie Jörg Goldberg dazu:Jedes Weizenkorn wechselte – vermittelt über Derivate und andere Finanzprodukte – 73 Mal den Besitzer, bevor es beim Verarbeiter ankam.“

Ein Irrsinn, an dem sich bis heute nichts geändert hat. Und „diese Zusammenhänge sind Fachleuten und politisch Verantwortlichen durchaus bekannt“, so Goldberg weiter. „Während öffentlich von ‚Hungerkriegen‘ schwadroniert wurde, befasste sich die außerordentliche Zusammenkunft der G7-Finanzminister am 11. März 2022“ denn auch vielsagend hinter verschlossenen Türen viel eingehender genau damit, „unter anderem mit der Rolle ‚spekulativer Verhaltensweisen‘, und der ‚future markets‘ als Preistreiber bei Lebensmitteln“.

Gipfel westlichen Zynismus

Inhaltlich ist das gewissermaßen auch folgerichtig, wächst der Hunger doch bereits seit 2017 – also Zeiten lange vor der Corona- und Wirtschaftskrise, geschweige denn dem Ukraine-Krieg – wieder stetig und seit Krisenausbruch 2020 gar rasant an. In den betroffenen Ländern selbst haben sich die Getreidepreise zum Teil gar verdoppelt und verdreifacht, was für Millionen die Grenze der nackten Existenz überschreitet. Entsprechend schlug denn das UN-Welternährungsprogramm auch schon vor einem Jahr Alarm. Diesem wurde allerdings so wenig Aufmerksamkeit zu teil wie einem knappen Dutzend weiterer größerer Warnaufrufe seit März 2020. Die neuerdings in Pressekonferenzen zur Schau gestellte humanitäre Besorgnis ist als Gipfel westlichen Zynismus kaum mehr zu überbieten.

Dazu kommt: Aus reinem Versorgungsmaßstab wäre gegen die Hungersnot ExpertInnen zufolge ukrainisches Getreide gar nicht nötig. Die Ausfälle der Ukraine sowie auch Australiens ließen sich – ginge es wirklich (vorrangig) um den Welthunger – ohne weiteres durch die höheren Exportmengen Kanadas, Argentiniens und Russlands (bzw. Rückgriff auf die globalen Lagerbestände und Reserven) ausgleichen. Das liefe allerdings dem westlichen Kriegsnarrativ und Wirtschaftskrieg zuwider. Nur, wer Russland ungeachtet dessen mit dem auf den Weg gebrachten, noch nie dagewesenen Sanktionswahn „ruinieren“ will, geht sehenden Auges und buchstäblich über Leichen.

US-Ökonom Michael Hudson: „Sorgen die USA und die NATO für eine Hungersnot im globalen Süden?“

Entsprechend dieses „Whatever it takes“ fragte sich denn bereits Anfang des Monats der bekannte US-Ökonom Michael Hudson völlig konträr zum täglichen Narrativ der westlichen Leit-Medien: „Sorgen die USA und die NATO für eine Hungersnot im globalen Süden?“ oder nehmen diese für ihren Kampf um die globale Vorherrschaft zumindest billigend in Kauf? Denn, die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge in der Zunft als allbekannt in Rechnung stellend, ist der Ökonomie-Professor, Wall Street-Berater und gleichzeitig kritische Kopf der Überzeugung: „Es ist unvorstellbar, dass die Konsequenzen für Länder außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten nicht berücksichtigt wurden, denn die Weltwirtschaft ist ein miteinander verbundenes System. Die meisten Störungen bewegen sich in einer Größenordnung von zwei bis fünf Prozent, aber die heutigen Sanktionen von USA und NATO sind so weit jenseits der historischen Norm, dass die Preissteigerungen weit über diese historische Spanne steigen werden. In jüngerer Zeit hat es nichts Vergleichbares gegeben.“

Indes wäre der Kampf gegen den Hunger leicht zu gewinnen

Dabei, wie wiederum Jörg Goldberg vermerkt: „Der Kampf gegen den Hunger in der Welt wäre leicht zu gewinnen, würde die ‚internationale Gemeinschaft‘ richtige Prioritäten setzen. Das International Institute for Sustainable Development (IISD) legte 2020 eine Studie vor, in der es berechnete, ‚was es die Regierungen (kostet), bis zum Jahr 2030 den Hunger zu beenden, die Einkommen der Kleinerzeuger zu verdoppeln und das Klima zu schützen.‘

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die entwicklungspolitischen Geber im Agrarbereich in der laufenden Dekade zusätzlich 12 Milliarden US-Dollar jährlich aufbringen müssten, um 490 Millionen Menschen vom Hunger zu befreien und die Einkommen von 545 Millionen Kleinerzeugern zu verdoppeln. Weitere 19 Milliarden jährlich müssten von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen über Steuern erbracht werden. Zusammengerechnet wären also im laufenden Jahrzehnt rund 300 Milliarden US-Dollar zusätzlich erforderlich – eine gemessen an den mehr als 20 Billionen, die im gleichen Zeitraum weltweit für Rüstung ausgegeben werden, geradezu lächerliche Summe.“

Um der aktuellen Hungerkrise wirksam zu begegnen, bräuchte es aufgrund der dramatischen Notsituation heuer freilich etwas mehr, nach OXFAM ungefähr des Doppelten, genauer: an die 28 Milliarden US-Dollar. Weit davon entfernt brüstet sich der G7-Gipfel mit der Bereitstellung lächerlicher 4,5 Milliarden Dollar für die weltweite Ernährungssicherheit. Davon etwa die Hälfte aus den USA.

Zum Vergleich: während für die annähernd 345 Millionen Menschen in akuter Hungersnot und 750.000 schlicht unmittelbar vor dem Hungertod Stehenden bloße 4,5 Milliarden US-Dollar mobilisiert werden, sicherten die G7 der Ukraine alleine für heuer zusätzliche Finanzhilfen von 29,5 Milliarden Dollar zu. Kurz vor dem Gipfel verabschiedete der US-Kongress nach Vorgängerpaketen noch ein weiteres 40-Milliarden-Dollar-Militärhilfepaket für Kiew. Und auch der NATO-Gipfel wird nochmals nachlegen. Ja, für den Kampf um die westliche Vorherrschaft in der Welt, sollen bis 2027 überhaupt gleich runde 600 Milliarden Dollar mobilisiert werden. Der Zynismus des Gipfels springt damit auch ohne Einrechnung sämtlicher Finanz- und Militärhilfepakete im Wirtschafts- und heißen Krieg gegen Russland grell ins Auge.

Selbes gilt auch für die Um- und Entschuldung der Länder und einer Streichung der Schulden mit Beteiligung privater Gläubiger auf Kosten von BlackRock & Co, um die Länder des Globalen Südens vor dem Kollaps zu bewahren und ihnen zugleich Raum für Entwicklung zu verschaffen.

Aber während wir im Kampf um die hegemoniale Vorherrschaft des Westens auf mehrjährige Entbehrungen und eine „ernstzunehmende Wirtschaftskrise“ eingeschworen werden, in denen es gälte den Gürtel enger zu schnallen, stehen eine Vielzahl der Länder weltweit nach dem G7-Gipfel unverändert vor der Staatspleite und für Hundertausende, ja Millionen Menschen im Globalen Süden mehr denn je ihre nackte Existenz auf dem Spiel.

Quelle: KOMintern