Mit den USA, wenn nützlich, ohne die USA, wenn möglich und gegen die USA, wenn nötig

Fahnen der SDAJ bei der Demo in Garmisch-Partenkirchen. Foto: RedGlobe
Fahnen der SDAJ bei der Demo in Garmisch-Partenkirchen. Foto: RedGlobe

„So klar es ist, dass Deutschland nicht in Abhängigkeit oder Erpressungen von Russland oder China ausgesetzt sein will, so klar muss aber auch sein, dass der gegenwärtige Rückfall in den Status eines besonders devoten amerikanischen Vasallen keine zukunftssichernde Perspektive für Deutschland sein kann und darf“, heißt es in einem Artikel vom 20.März 2022 auf PI-News, einem rechtsextremen Internetblog.

Diese Theorie, laut der Deutschland lediglich ein stummer Gefolgsmann der USA sei, besagt mit leichten Variationen, dass es keine Konkurrenz imperialistischer Großmächte um die Weltherrschaft gebe, sondern lediglich einen einzigen imperialistischen Block unter der absoluten Führung der USA. Diesem Block gehören neben Deutschland auch beispielsweise Frankreich und Japan an. Von linken Vertretern dieser Theorie wird als Schlussfolgerung für die Arbeiterklasse hierzulande gern abgeleitet, dass für sie genau wie für die Arbeiterklasse der USA der Hauptfeind die Bourgeoisie der USA sei. Dass diese der Hauptkriegstreiber im Kampf um die Neuaufteilung der Welt ist, soll nicht bestritten werden, allerdings wird diese Tatsache mit der Frage danach verwechselt, gegen wen das deutsche Proletariat seinen Hauptschlag im Klassenkampf richten muss- die Frage läge ja anders, wäre die BRD tatsächlich eine Kolonie der USA. Auf reaktionäre Weise weitergetrieben kann daraus die These werden, dass das deutsche Proletariat sogar mit der eigenen heimischen Bourgeoisie zusammen gegen den gemeinsamen Hauptfeind im Westen kämpfen müsse. Faschisten vertraten eine solche sozialdemagogische Auffassung beispielsweise mit der entlarvenden Forderung „Deutsches Blut nur für deutsche Interessen“.

„Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben. […] Deutschland steht immer mehr im Mittelpunkt. Wir sollten diese Erwartungen erfüllen“, drohte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in seiner Rede im Juni. Auch pocht die Bundesregierung offen und handfest auf eine eigenständigere Rolle in der Welt. Klingt und handelt so jemand, der ungeachtet eigener Interessen nur an der Seite des großen Bruders im Westen agieren will?

Historischer Abriß

Um hier genauer die Hintergründe zu verstehen, lohnt sich wiedermal ein Blick in die Geschichte: Nachdem zwei Anläufe zur Eroberung der Weltherrschaft gescheitert waren, folgte der deutsche Imperialismus der US-amerikanischen Vorherrschaft im „westlichen Bündnis“ gegen das sozialistische Lager und bewegte sich damit im „Windschatten“ des US-Imperialismus, durchaus mit dem Ziel, auf diese Weise einen Teil der alten Größe wiederzuerlangen. Nach der Konterrevolution eroberte der deutsche Imperialismus die südost- und osteuropäischen Märkte und trat zunehmend aus dem US-amerikanischen „Windschatten“ heraus. Die NATO, einst in Konfrontation zu den Staaten des Warschauer Vertrages, wurde gegen das „neue Russland“ in Stellung gebracht und bis in ehemalige Sowjetrepubliken expandiert.
Kaum einen der Kriege des neuen Jahrtausends konnten die ökonomisch zunehmend absteigenden USA im Sinne einer dauerhaften Unterwerfung und „Befriedung“ gewinnen. Das deutsche Kapital hat diesen Niedergang der Weltmacht mit angesehen – als Verbündeter, wenn es deutschen Interessen dienlich schien, als „Neutraler“, wenn nichts herauszuspringen schien, wie im Irak. Der in der Europapolitik zu neuem Selbstbewusstsein erwachte deutsche Imperialismus zeigt sich somit wenig bereit, in seiner alten Vasallenposition zu verharren. Unter Trump diente das anhaltende USA-Bashing einer Unterfütterung der Absetzbewegung des deutsch-europäischen Blocks von der Dominanz des Imperiums. Von der Leyen und Merkel beharrten auf der Verfolgung eigener geostrategischer und ökonomischer Interessen.

Alles anders seit dem 24.02.2022?

Nun muss man sich angesichts der aktuellen Entwicklungen natürlich fragen, ob der deutsche Imperialismus seine eigenen Interessen plötzlich vergessen hat. Hier kommen die verschiedenen Fraktionen innerhalb des deutschen Monopolkapitals ins Spiel: F ür die chemische Industrie, die meisten Energieversorger und energieintensive Industrien wie die Automobilindustrie ist ein Gas-Embargo ein Problem. Der CEO des Chemiegiganten BASF warnte eindrücklich vor den Konsequenzen eines Endes der russischen Energielieferungen. Die Rüstungsindustrie auf der anderen Seite frohlockt über jede Zuspitzung. Gleichzeitig gibt es übergeordnete Interessen. Sicherlich ist den Regierenden und dem Monopolkapital klar, dass der Ersatz von Erdöl und Erdgas aus Russland durch Fracking-Gas aus den USA in eine stärkere Abhängigkeit von einem Konkurrenten führt. Möglicherweise ist aber die Stoßrichtung über Russland gegen China das dominierende gemeinsame Interesse der westlichen Imperialisten, das dann vom Staat auch gegen Widerstand von mächtigen Kapitalfraktionen durchgesetzt werden muss, weil erkannt wurde, dass die Verteidigung der westlichen Hegemonie nunmehr nur noch im offenen Kampf, nicht mehr im „Handel und Wandel“ stattfindet.

Guten Freunden gibt man ein Bündnis

Man kann also sagen, Deutschland an der Spitze der EU erstrebt eine Veränderung der Kräfteverhältnisse, ohne die Überlegenheit der USA in naher Zukunft in Frage stellen zu können. Unter der europäischen Flagge erhöht Deutschland sein eigenes Gewicht in der Weltpolitik und auf den Weltmärkten. Oder mit Klingbeils Worten: „Als Führungsmacht muss Deutschland ein souveränes Europa massiv vorantreiben. Deutschland kann nur stark sein, wenn Europa stark ist.“ Der Ausbau der eigenen Militärkapazitäten und -infrastruktur im Rahmen des EU-Abkommens PESCO ist in der Erkenntnis der deutschen Monopolbourgeoisie begründet, dass die uneingeschränkte Vormachtstellung des US-Imperialismus ihren Zenit überschritten hat. Deshalb setzt der deutsche Imperialismus auf eine eigenständige, aber eben auch kompatible Aufrüstung mit der NATO in Europa. Dazu passt auch, dass Deutschland Militärtechnik aus den USA bezieht und die US-Atomwaffenstationierung auf eigenem Boden duldet – einerseits unterwirft sich die Bundesregierung hier einer Forderung der USA, andererseits wird somit auch die nukleare Teilhabe Deutschlands ermöglicht.

Die These von Deutschland als bloßem Anhängsel der USA nützt letztendlich den Herrschenden, da sie die Großmachtambitionen der deutschen Monopolisten hinter dem Interesse des US-Imperialismus versteckt. Die von Deutschland geführte EU will bis zu 300 Milliarden Euro ausgeben, um die Energiewirtschaft von russischen Rohstoffen wegzubringen. 100 Milliarden Euro fließen in das Sondervermögen für Aufrüstung, die Erfüllung des 2%-Ziels der NATO, Waffen für die Ukraine – all das sollen wir zahlen und tun es bereits mittels rasanter Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln.
Fallen wir den Preis- und Kriegstreibern, unserer heimischen Bourgeoisie und ihrer Regierung nicht nur in einem heißen Herbst in die Arme, so schwächen wir damit auch den Hauptkriegstreiber im Westen.

Von Sophia Autenrieth
Die Autorin ist Mitglied der Geschäftsführung und des Bundesvorstands der SDAJ

Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus.