Das epochale NATO-Desaster Afghanistan

In wenigen Tagen jährt sich das mit panischer Flucht aus Afghanistan beendete, epochale Fiasko des mit 20 Jahren längsten Kriegseinsatzes der Geschichte des US-Imperialismus und seiner westlichen Vasallen. Als Abschiedsgeschenk im hinterlassenen Trümmerhaufen haben die 2001 vertriebenen Taliban am Hindukusch Mitte August 2021 wieder die Macht übernommen. Als offizieller Kriegsgrund wird bis heute fälschlich der Anschlag auf die Twin Towers vom 11. September 2001 vorgeschoben. Umso unumgänglicher ist es gerade in Zeiten wie diesen denn auch, einige für die selbstgefälligen transatlantischen Bellizisten geschichtlich unangenehme Tatbestände auf Tableau zu bringen und zugleich „The Grand Chessboard“ (Zbigniew Brzezinski) des US-Imperialismus und seiner Entourage mit in den Fokus zu rücken. Nicht zuletzt auch dessen penible Vorbereitung, Eröffnungszüge und Spielregeln in dessen globalstrategischem „Grand Chess Game“.

Offiziell firmiert wie gesagt bis heute der Anschlag auf die Twin Towers vom 11. September 2001 als Kriegsgrund gegen Afghanistan. Allerdings, wie der damalige pakistanische Außenminister Naiz Naik früh ausplauderte, konsultierte das Pentagon die Regierung Pakistans (als strategischen Partner Afghanistans) unter Präsident Pervez Musharraf bereits im Juli 2001 über Washingtons geplanten Militärschlag gegen den Hindukusch und Einzelheiten dessen Operationsplans– also gut zwei Monate vor (!) Nine Eleven. Bei diesen Treffen setzte man Naiz Naik auch in Kenntnis, dass die Militäroperation spätestens Mitte Oktober starten sollte.

Bereits im Monat zuvor, im Juni 2001, informierte der seinerzeit noch in den geplanten Waffengang Washingtons eingebundene russische Präsident Putin auf einer Zusammenkunft der GUS-Staaten wiederum deren Repräsentanten vom bevorstehenden Militärschlag. Der heutige „Gottseibeiuns“ unterzeichnete damals beiher sogar eine gemeinsame Solidaritätsadresse mit der NATO und sorgte für die vorübergehende Zurverfügungstellung von Militärbasen für die USA in zentralasiatischen Republiken. Schon Jahre später, der Afghanistan-Krieg tobte noch, war er dann selbst Empfänger eines Twitts aus dem Weißen Haus in Donald Trumps typischer Mafiasprache: „Mach Dich bereit, Russland. Sie [US-Raketen und Bomberstaffeln gegen die Russische Föderation, Anm.] werden kommen, schön, neu und smart.“

Aus Geheimdienstkreisen waren seinerzeit zudem bereits erste Informationen über heimliche Zusammenkünfte hochrangiger Regierungsvertreter mehrerer Staaten unter der Ägide der USA zum Feldzug gegen Afghanistan durchgesickert. Der 11. September diente dann als passgerechte Rechtfertigung des seit Langem vorbereiteten und bereits beschlossenen Kriegs. Am 7. Oktober begann – unter geschichtlich erstmaliger Ausrufung des NATO-Bündnisfalls gemäß Artikel 5 – schließlich der längste Kriegseinsatz der US-Geschichte.

Aufgrund der bereits zuvor immer durchsichtigeren, vorherrschend globalstrategisch-geopolitischen Interessen des Weißen Hauses gegenüber der öffentlich beschworenen Terrorismusbekämpfung, trat in jenen Julitagen der hochrangige Anti-Terrorismus-Spezialagent des FBI, John O’Neill angewidert zurück und heuerte beruflich stattdessen Anfang September als Sicherheitschef im World Trade Center an. Als besonders pikante Note in diesem Kontext starb O’Neill wenig später als Anschlagsopfer des 11. September. Richard Clarke, Koordinator für Terrorismusbekämpfung der Vereinigten Staaten, wiederum, schrieb in seinen Erinnerungen später, dass auch ihm „auf fast körperliche Art schmerzhaft bewusst (wurde)“, dass die Bush-Administration, vorangepeitscht von Rumsfeld und Wolfowitz, die „nationale Tragödie“ von Nine Eleven vielmehr für ihre eigentliche „[Kriegs-]Agenda“ im geopolitischen Schachspiel nutzten.

Afghanistan fungierte in diesem globalstrategischen „Grand Chess Game“ für Washington, London, Brüssel und den „Kollektiven Westen“ lediglich als strategisches Feld und Brückenkopf. Die AfghanInnen einzig als Schachfiguren, Bauernopfer oder Leichtfiguren auf dem „großen Schachbrett“ der Geopolitik des Westens, wie als Denkweise vom berühmt-berüchtigten US-Strategen Zbigniew Brzezinski bereits 1997 kurz und trocken auf den Punkt gebracht. Dass dann beispielsweise Prinz Harry vor kurzem die von ihm aus einem Apache-Kampfhubschrauber erschossenen 25 Talibankämpfer mit vom Spielbrett geworfenen „Schachfiguren“ verglich, fügt sich – gegen alle sich davon kurzzeitig moralisch erschüttert generierenden Führungsfiguren des Westens – darin nur folgerichtig ein. Dasselbe gilt für die seinerzeitige US-Eröffnungsvariante des seit Langem vorbereiteten Kriegs der USA und ihrer nibelungentreuen Vasallen gegen Afghanistan, sowie die schier unvorstellbaren Zustände in den weltweit verteilten Folterkellern und Folterpraktiken Washingtons. Oder wie US-Vizepräsident Cheney lapidar bemerkte: „Was das Gewissen schockiert … hängt vom Standpunkt des Beobachters ab.“

Denn die einzige Spielregel auf dem globalen „Großen Spielbrett“ ist, dass nach imperialistischen Regeln ‚Made In USA‘ gespielt wird (oder werden soll). Nicht zuletzt, wann die USA den Eröffnungszug beginnt und mit wie vielen Opfern auf dem Weg zum jeweils ultimativ angestrebten Schachmatt sie ihren Angriff vorträgt.

Entsprechend hat US-Präsident George W. Bush mit der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ im Herbst 2002 dem Empire auch das Recht auf Angriffs- und Präventivkriege unter dem Sternenbanner zuerkannt und die Selbstmandatierung zum Krieg auch ohne UN-Mandat zur offiziellen neuen Militärstrategie erhoben. Bereits zuvor, im Zuge des startenden „Kriegs gegen den Terror“, holte sich der US-Präsident die Zustimmung des Kongresses für die globale Verhängung des Kriegsrechts unbestimmter Geographie und unbestimmter Dauer seitens Washingtons. „Von heute an“, so der Repräsentant der Führungsmacht des Westens, „werden die Vereinigten Staaten, jede Nation, die weiterhin Terroristen Unterschlupf gewährt oder unterstützt [welche Washington natürlich souverän entlang seiner berüchtigten „Terrorismus-Liste“ bestimmt, Anm.], als feindliche Nation behandeln. (…) Unser Krieg beginnt gegen Al-Qaida, hört aber dort nicht auf. Er wird dort nicht aufhören, ehe jede Terrorgruppe von weltweiter Ausdehnung [was natürlich ebenso im souveränen Ermessen Washingtons liegt, Anm.] gefunden, gestoppt und geschlagen ist“. Damit haben die USA für sich selbst offiziell nicht weniger als ein das Völkerrecht zertrümmerndes Faustrecht der Selbstmandatierung zum Krieg gegen jedes Land, jede Organisation und jede Person des Globus, die ihres Erachtens irgendetwas mit Terrorismus zu tun haben oder als solche von Washington auch kurzerhand bloß so rubriziert zu werden brauchen, etabliert. Oder in anderen Worten: für sich das „ius ad bellum“ (Recht zum Krieg) reformuliert.

Quelle: KOMintern