Frankreichs Neokolonialismus in Afrika vor dem Ende?

Mit seiner formalen Unabhängigkeit 1960 – von so elementarer historischer Bedeutung diese für das Land war und ist – erlangte Gabun zunächst gleichwohl nur die notwendige Rahmenbedingung einer eigenständigen Entwicklung, welche schon anfänglich mit einer schweren politischen Bürde belastet war. Zwar hatte sich die vormalige Kolonialmacht Frankreich auch in anderen Teilen seines afrikanischen Imperiums durch Verträge eines privilegierten Zugangs zu Rohstoffen und mit bilateralen Militärverträgen schon lange vor deren formalen Unabhängigkeiten seine Vorherrschaft gesichert, aber in Gabun zudem auch besonders loyale politische Stützen. Wie bröcklig das neo-koloniale Dominanz- und Ausplünderungssystem indes ist, zeigt sich nicht erst in den jüngsten Staatsstreichen und den rapid zunehmenden Kritiken an der Anwesenheit der französischen Armee. Im kollektiven Bewusstsein des Westens weitgehend erfolgreich getilgt, hat Frankreich seit der Unabhängigkeit seiner afrikanischen Kolonien in diesen seither rund sechzig Mal militärisch interveniert. Statistisch also ziemlich genau einmal pro Jahr. Auch schon in Gabun.

Der 1946 als Interessensvertretung städtischer Kreise Gabuns entstandene, einem pro-französischen Kurs verpflichtete Bloc Démocratique unter Léon M‘Ba (zunächst unter dem Namen Mouvement Mixte firmierend), avancierte noch in der Kolonialära zur stärksten politischen Organisation des Landes. Die zwei Jahre später gegründete Union Démocratique et Sociale war in Gabun seinerzeit nur zu anfangs die stärkere Kraft.

Mit der Unabhängigkeit Gabuns am 17.8. 1960 wurde Léon M‘Ba am 12.2. 1961 dann auch erster Präsident der nunmehrigen unabhängigen Republik Gabun. M’Ba steuerte auch im Anschluss einen strikt pro-französischen Kurs mit Orientierung auf das Auslandskapital der ehemaligen Kolonialländer. Die soziale Frage spielte in seinem hart geführten Regime, das keine oppositionelle Regung duldete, ebenso wenig eine Rolle, wie eine Entwicklung der weitgehend noch naturalwirtschaftlichen Landwirtschaft Gabuns.

In jener Phase 1958 – 1960 (als der französischen Kolonialmacht keine andere Möglichkeit mehr blieb, als die immer vehementer und kämpferischer eingeforderte Unabhängigkeit unter kontrollierten Bedingungen zuzulassen um Revolutionen zuvorzukommen – natürlich mit Ausnahmen, Stichwort: etwa Algerien) erlangten u.a. auch die heute im Sahel im Fokus der Berichterstattung stehenden afrikanischen Länder Mali, Niger, Guinea, Burkina Faso (damals noch als: Obervolta) ihre Unabhängigkeit von Frankreich, blieben strukturell aber ebenfalls durch das von Paris gestrickte neokoloniale Vertragssystem unter französischer Dominanz. Allerdings gab es in diesen, man denke nur an Mali unter Modibo Keïta oder insbesondere Burkina Faso unter Thomas Sankara, auch Ausbruchsversuche aus der neo-kolonialen Anbindung an Frankreich und den Westen, ja unter „Afrikas Che“ Sankara einen strahlkräftigen sozialistisch inspirierten Umgestaltungsversuch. Sämtlich genannte Länder unterliegen zudem dem neo-kolonialen „Françafrique“ genannten Währungs- und Ausplünderungssystem (die besondere Währungszone des Franc CFA, Communauté Financière d‘ Afrique, und deren Abhängigkeit von der französischen Nationalbank), durch das selbst noch die geldpolitischen Entscheidungen dieser Länder in Paris (resp. heute: Paris-Brüssel-Frankfurt) gefällt werden und die Staaten der France CFA-Zone die Hälfte ihrer Währungsreserven bei der französischen Nationalbank zu hinterlegen haben. Trotz der 2019 mit Paris vereinbarten Reformen hat sich seit der politischen Unabhängigkeit bislang lediglich der Name der 1945 geschaffenen Währung von „Colonies Françaises d‘ Afrique“ zu „Communauté (bzw.: Coopération) Financière d‘ (en) Afrique“ ‚dekolonisiert‘, ohne etwas an diesem geldpolitischen Regime, seiner kolonialen Kontinuität und seinen Profiteuren zu ändern. Entsprechend haben in den letzten Jahren unter der Losung „Y’en a marre!“ (Uns reicht’s!) auch die Proteste gegen diese neo-koloniale Bindung an Frankreich und fortbestehende Entsouveränisierung (samt darin verflochtener nationaler Langzeitherrscher), quer durch die 14 der 17 ehemaligen französischen Kolonien in West- und Zentralafrika in den der Franc FCA die offizielle Währung ist, breit zugenommen. Von kritischen ÖkonomInnen, über Bewegungen die gegen die kolonialen Erbschaften ankämpfen und aufbegehren, bis hin zu Protestvideos bekannter junger west- und zentralafrikanischer RapperInnen.

In Folge der erwachsenen und sich mehr und mehr zuspitzenden sozialen Spannungen kam es in Gabun schon am 18.2. 1964 zu einem ersten Militärputsch junger Offiziere sowie zur Absetzung M‘Bas. Mit Unterstützung eingeflogener französischer Militäreinheiten und Fallschirmjäger wurde dieser Umbruchsversuch jedoch rasch niedergeschlagen und M´Ba wieder an die Macht gebracht oder besser: als Frankreichs neo-kolonialer Parvenü wiedereingesetzt.

Denn das rohstoffreiche Gabun (Öl, Uran, Mangan, Gas …) gilt der Grande Nation seit je als einer der Dreh- und Angelpunkte seiner Interessen in Afrika und stand auch bis zuletzt unter striktem politischem Einfluss des Élysée-Palasts.

Als Léon M´Ba 1967 in einem Pariser Krankenhaus im Sterben lag, setzte er akkordiert mit dem Élysée-Palast unter Charles de Gaulle (nach dem bezeichnender Weise auch einer der Militärstützpunkte Frankreichs in Gabun benannt ist) Albert-Bèrnhard Bongo (später: Omar Bongo) als Vizepräsidenten ein, der ihm am 2.12. 1967 als neuer Staatspräsident nachfolgte und die 56jährige Ära des gleichermaßen korrupten wie infolge schwerreichen und Frankreich besonders loyalen Bongo-Clans begründete.

Als der Langzeitdiktator 2009 verstarb wurde unter Nicolas Sarkozy mit wohlwollender Billigung Paris‘ in Libreville am 16. Oktober wiederum sein nun gestürzter Sohn Ali-Ben Bongo in den Sattel gehoben. Um einen Eindruck zu gewinnen, in welcher gleichzeitig auch geistigen kolonialen Denkmustern, Kontinuitäten und Mentalitäten dabei die Amtsträger unter dem Eiffelturm bis heute stehen, sei dem Adelsspross Sarkozy betreffend einzig auf dessen Grundsatzrede an die afrikanische Jugend zwei Jahre zuvor in Dakar erinnert, die quer durch Afrika einen Sturm der Entrüstung auslöste und unter anderem im Sammelband „Afrika antwortet Sarkozy. Afrikanische Antworten auf europäische Bevormundung“ ihre Replik fand. Und dies anlässlich einer einem vermeintlichen Neuanfang der französisch-afrikanischen Beziehungen gewidmeten Rede. Umso freimütiger angesichts der mittlerweile geradezu mit Paukenschlägen schwindenden politischen Kontrolle Frankreichs über seine ehemaligen Kolonien, fiel denn auch die jüngste an Allüren eines „neuen Sonnenkönigs“ gemahnende Brandrede Emmanuel Macrons nach Kolonialherrenart aus: Frankreich darf keine „Schwäche“ zeigen, „weil wir [also: die Grande Nation] sonst nirgendwo mehr sind.“ Viel offener lässt sich Frankreichs neo-koloniale Sicht auf den Brennpunkt Afrika kaum auf den Punkt bringen. Macrons Rede zeigt vielmehr wie durch ein Brennglas, dass der Élysée-Palast bis heute dem Diktum Charles de Gaulle verpflichtet ist, wonach „Frankreichs Macht in der Welt und Frankreichs Macht in Afrika untrennbar miteinander verbunden“ sind.

Mit den Interessen der Bevölkerung Nigers hat das freilich ebenso wenig zu tun wie mit jenen der Bevölkerung Gabuns. Denn während das statistische Pro-Kopf-Einkommen Gabuns beim Sechsfachen des afrikanischen Durchschnitts liegt, leben rund 80% der GabunerInnen in Frankreichs bisherigem verkappten Protektorat an oder unterhalb der Armutsgrenze. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat überdies keinen Zugang zu sauberem Wasser und Strom.

Mit dem nunmehrigen Staatsstreich in Gabun dürfte die fast 60jährige Residenz des Bongo-Clans als einem der notorischsten Parteigänger Frankreichs, mit gleichzeitiger Anhäufung geradezu absurder Reichtümer wie bspw. Schlösser in der Grande Nation, allerdings Geschichte sein. Auch wenn Paris den Militärputsch umgehend verurteilte und bis zuletzt seine schützende Hand über Ali-Ben Bongo und die Bongo-Dynastie hielt. Ob dem Umsturz in Libreville auch ein Ausbruchsversuch aus dem korrupten, neo-kolonialen französisch-gabunischen Macht- und Interessensgeflecht folgt oder nur ein Machtkampf zwischen rivalisierenden Fraktionen in der herrschenden Elite ist (so ist der nunmehrige „Übergangspräsident“ General Oligui kein unbeschriebenes Blatt und sowohl in offener Fehde mit Ali-Ben Bongos Halbbruder Frédéric Bongo wie Ali-Ben Bongos Sohn Noureddin), ist indes noch offen. Ein näheres Programm haben die neuen Machthaber bislang noch nicht verkündet. General Oligui nannte als Punkte gestern vorerst eine Neuorganisation und Demokratisierung der staatlichen Institutionen, Eindämmung der Korruption und stärkere Verwendung der Rohstofferlöse für „die Entwicklung des Landes“. Damit noch unausgemacht, aber gut möglich, dass das Aufbegehren gegen Frankreichs Neokolonialismus darin von Westafrika zugleich auf Zentralafrika überschwappt. Büßt Frankreich ökonomisch seine dominierende Stellung in seinem einst fest im Griff geglaubten afrikanischen „Hinterhof“ bereits seit den 1990er Jahren zunehmend ein, könnte es dem neo-kolonialen französischen Dominanz-, Militär- und Ausplünderungssystem in Afrika nun regelrecht an den Kragen gehen. Während Algerien gegen die Xte militärische Intervention Frankreichs in „seinem Hinterhof“ derzeit auf Vermittlungsmission zu Niger ist, um einen militärischen Flächenbrand in Westafrika und dem Sahel abzuwenden, ist Paris schon einmal mehr auf Kolonialkrieg gebürstet – im Fall der Fälle (oder wie es aus Paris heißt : „bis sich die politische Lage“, sprich: inwieweit der Umsturz französische Hegemonialinteressen tangiert, „klärt“) jetzt wohl bis nach Zentralafrika.

Quelle: KOMintern