Nicht gegeneinander ausspielen lassen

Horst Schmitthenner, ehemaliges geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, ging in seiner Rede auf der Kundgebung von DGB und VVN-BdA zum Antikriegstag 2023 am 1. September in Stuttgart auf Zusammenhänge zwischen Aufrüstung, Sozialkahlschlag und Aufstieg der AfD ein. Wir dokumentieren seine Rede hier:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Kriege und bewaffnete Konflikte wie in Syrien, in Kurdistan, im Irak, in Afghanistan oder der Ukraine scheinen kein Ende zu nehmen. 1,8 Billionen Euro werden jährlich für Rüstung und Krieg ausgegeben. Gleichzeitig steigen die Rüstungsexporte.

Über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Grenzen Europas und Deutschlands sind wieder abgeschottet. Auf der Suche nach Sicherheit ertrinken tausende Menschen im Mittelmeer, das zur tödlichsten Grenze der Welt geworden ist.

Rassismus und offener Hass nehmen in vielen Ländern der Welt zu – auch in Deutschland. Die Wahrheit ist kein Kriterium mehr, alles wird behauptet und herbei gelogen, wenn es nur Ängste und Vorurteile schürt. Die herrschende Politik gibt diesen Stimmungen nach und befeuert sie noch. Inzwischen werden Geflüchtete sogar in Kriegsgebiete wie nach Afghanistan abgeschoben.

Die Bundesregierung setzt sich offiziell für eine atomwaffenfreie Welt ein, will sich aber nicht an den internationalen Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot beteiligen. Das ist schizophren.

Denn ohne die Ächtung von Atomwaffen ist der Atomwaffensperrvertrag ein stumpfes Schwert.

Das muss nun auch die Bundesregierung einsehen. Die Kritik der Bundesregierung, dass ein Vertrag wirkungslos bleibe, sofern die Atomwaffenstaaten nicht eingebunden sind, ist absurd. Die Ächtung der Atomwaffen ist ein unabdingbarer Schritt, die Abrüstung hin zu einer atomwaffenfreien Welt voranzubringen – auch, wenn nicht alle Staaten diesen Schritt von Anfang an mitgehen, wie es bei den Verboten von Bio- und Chemiewaffen auch der Fall war.

 

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Horst Schmitthenner während seiner Rede

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen und der zunehmenden Militarisierung der Politik hat gleichzeitig die soziale Spaltung dramatische Ausmaße erreicht. Gerade einmal 45 Superreiche haben mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Deutschen.

Diese Spaltung gibt es nicht nur im globalen Maßstab, sie durchzieht nahezu alle Gesellschaften, auch die deutsche. Millionen Menschen müssen sich mit Niedriglöhnen durchschlagen, haben keinerlei Aussicht auf eine existenzsichernde Rente, müssen um die wenigen bezahlbaren Wohnungen konkurrieren.

Anstatt diese Probleme anzugehen, werden immer mehr Mittel für Waffen und Militär ausgegeben. Die Regierung plant bis im Jahr 2030 130 Milliarden Euro zusätzlich für Rüstung auszugeben. Gleichzeit fehlen überall Gelder für Bildung, Soziales und ökologischen Umbau. Das ist desaströse, verachtenswerte Politik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir können nicht nur über Krieg und Frieden in der Welt reden. Wir müssen auch über die Aggressionen, die aggressiven Auseinandersetzungen bis hin zu Gewalttaten, bei denen Menschen wie in Hanau getötet werden, in unserer Gesellschaft reden.

Aus dem Stand kommt die AfD mit zweistelligen Prozenten in die Landtage. Bei der Bundestagswahl 2021 erhält sie 10,3 Prozent. Das ist zwar merklich weniger als 2017, da hatte sie 12,6 Prozent, aber immer noch 10,3 Prozent zu viel.

Eine Partei, die offen sagt, sie will keine Flüchtlinge in Deutschland haben und fordert, auf Flüchtlinge an der Grenze zu schießen, um sie an der Einwanderung zu hindern.

Pfui Teufel, das hat uns gerade noch gefehlt.

Diese rassistische, nationalistische, antidemokratische, kurz, diese faschistoide Partei ist überflüssig wie ein Kropf.

Aber wer die Wahlerfolge der AfD auf die Flüchtlingspolitik und ihre Verweigerung von Asyl beschränkt, der springt zu kurz. Ihre Wähler sind nicht nur die ökonomisch Abgehängten. Es sind die noch gut situierten Bürger, die Angst haben, auch an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Es sind also jene, die mitansehen müssen, das Politik nahezu ausschließlich für die Finanzmärkte und die Besserverdienenden gemacht wird. Die erfahren müssen, das Politik und Politiker sich nicht um sie und auch nicht um die Angst der Bürger vor sozialem Abstieg kümmern. Es ist also vor allem die dadurch geschaffene Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in Oben und Unten, die die Wahlerfolge der AfD ausmacht.

Wer die jetzt und in Zukunft bekämpfen will, muss nicht das Asylrecht zu Grunde richten, muss nicht die Flüchtlinge bekämpfen.

Er muss Sicherheit wieder herstellen, und zwar soziale Sicherheit für alle.

Er muss den seit langem abgebauten, geschundenen Sozialstaat wieder aufbauen und dadurch die Spaltung der Gesellschaft abbauen.

Er muss Arbeit, bezahlbare Wohnungen, Bildung, Ausbildung und soziale Sicherung für alle, die das nicht oder nicht ausreichend haben, schaffen. Für Einheimische und für Flüchtlinge.

Lassen wir uns – Erwerbslose, abhängig Beschäftigte und Flüchtlinge – nicht gegeneinander ausspielen. Das nutzt nur denjenigen, die von den bestehenden Verhältnissen profitieren, und es nutzt der AfD. Schon bevor viele Flüchtlinge kamen, fehlten massenhaft bezahlbare Wohnungen, Kitaplätze und gute Arbeitsplätze. Diese Probleme sind hausgemacht.

Wenn nun mehr Menschen eine Arbeit suchen und eine Wohnung brauchen, wird der Mangel noch größer. Also: „Klotzen statt Kleckern!“ ist angesagt. Geld ist genug da – es ist nur in den falschen Händen und wird für die falschen Dinge ausgegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nicht nur unsere Gesellschaft ist weniger friedlich, sondern rechtslastiger und aggressiver geworden. Die ganze Welt ist nicht friedlicher geworden in den letzten Jahrzehnten. Im Gegenteil. Es gibt nur 200 Staaten auf der Welt, aber aktuell mehr als 400 zwischenstaatliche und innerstaatliche Auseinandersetzungen und politische Konflikte. Viele davon werden, Gott sei Dank, gewaltfrei ausgetragen. Viele aber gewalttätig, 46 hoch gewalttätig, darunter 21 breit angelegte und 25 regional begrenzte mörderische Kriege. Eine Horrorvorstellung und für uns noch mehr Ansporn, Kriege zu ächten.

Eine Möglichkeit, Kriege zu verhindern, ist auch unser Kampf für eine Beendigung der Rüstungsproduktion. Denn ohne Waffen und militärisches Gerät könnten die Kriege, die überall in der Welt geführt werden, nicht stattfinden. Es ist ein Skandal, das Deutschland nach den USA und Russland inzwischen der drittgrößte Waffenexporteur der Welt ist.

Bei Panzerlieferungen nimmt Deutschland sogar den zweiten Platz ein, und bei U-Booten den ersten Platz. Besonders skandalös ist auch der Export von Kleinwaffen, durch die weltweit die meisten Menschen, vor allem auch bei nicht staatlich geführten Konflikten (Bürgerkriegen), ums Leben kommen. Wir wollen, das damit Schluss gemacht wird.

Wir brauchen keine Drohnen, wir brauchen auch keine milliardenschweren Rüstungsgüter wie Eurofighter, Military-Airbusse, Atombomber, Raketenabwehrsysteme, Kampf- und Transporthubschrauber, Marschflugkörper, Schützenpanzer, Fregatten und Korvetten, U-Boote, Laser- und Streubomben. Nein, das alles brauchen wir nicht.
Wir brauchen Abrüstung und Rüstungskonversion.

Oft wird die Forderung nach Einstellung der Rüstungsexporte und der Rüstungsproduktion mit dem notwendigen Erhalt der Arbeitsplätze in diesem Bereich zurückgewiesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
müssen wir wirklich auf Rüstungsproduktion setzen, um Beschäftigung zu sichern? Die Fakten jedenfalls sprechen dagegen. Lediglich 100.000 Arbeitsplätze sind direkt von der Rüstungsproduktion abhängig. Das ist schon angesichts der 3,4 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie sehr überschaubar und alternativ zu bewältigen. Und angesichts der gut 45 Millionen Beschäftigten in der Gesamtwirtschaft ist leicht denkbar, das qualifizierte Ersatzarbeitsplätze zu schaffen sind.

Und der Anteil der Rüstungsexporte an allen Ausfuhren liegt unter 1 Prozent. Der Titel des Exportweltmeisters ließe sich locker ohne Rüstung holen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es stimmt, Wohlstand und Arbeitsplätze hängen in diesem Land nicht von der Rüstungsindustrie und nicht vom Export von Waffen ab. Was fehlt, ist der entschiedene Wille der Politik, aber auch der Gewerkschaften, die Rüstungskonversion wirklich ernsthaft zu betreiben. Wir werden weiter dafür sorgen müssen, dass sich das ändert und der Wille, Rüstung und somit Kriege zu beenden, sichtbar stark und bestimmend wird.

Also: Abrüsten statt Aufrüsten, Atomwaffen abschaffen, Friedenspolitik statt Konfrontation.

Vielen Dank.

Quelle: Unsere Zeit