6. November 2024

Nahostkonflikt und Antisemitismusdebatte: KZ-Verband Wien weist Diffamierung der KJÖ zurück

„Nahostkonflikt und Antisemitismusdebatte“, so lautete bereits vor zwei Jahrzehnten (2002) ein grundsätzlicher Artikel des bekannten, deutsch-jüdischen kommunistischen Widerstandskämpfers und unermüdlichen Aufklärers Peter Gingold. 2005 erfolgte historisch dann als erster internationaler Entwurf einer „Arbeitsdefinition“ bekanntlich die „Working Definition of Antisemitism“. Kenneth Stern (seinerzeitiger Antisemitismusexperte des American Jewish Committee und maßgeblicher Autor des Entwurfs) beklagte in Folge, dass die „Working Definition“ entgegen der ursprünglichen Intention mehr und mehr dazu missbraucht worden ist, Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern durch den Vorwurf des Antisemitismus verächtlich zu machen und zu unterdrücken. Stern gilt heute namentlich als einer der schärfsten Kritiker ihres Missbrauchs. Im März 2021 nahmen dann auch über 200 Wissenschaftler, Professoren und Institutsleiter der internationalen Antisemitismus- und Holocaust-Forschung und verwandter Themen aus Europa (darunter auch aus Deutschland und Österreich), Israel, Kanada und den USA mit der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ zur Kontroverse Stellung, die sich der Gleichsetzung einer Kritik an Israel und der israelischen Politik im Palästinakonflikt mit Antisemitismus (gar in Anspielung auf das Jahrtausendverbrechen des Holocausts des Nazi-Faschismus) verwehren. Moshe Zuckermann charakterisierte diesen Karriere machenden, heute ebenso inflationären wie vielfach missbräuchlichen Vorwurf in diesem Zusammenhang als „Herrschaftsinstrument“, der den Begriff des Antisemitismus darüber hinaus auch seiner historischen Bedeutung, seinem theoretischen Skopus, seiner analytischen Schärfe und politischen Funktion beraubt. Dass auch die elaboriertere Diskussion und präzisere Definitionen gegen begriffliche Unschärfen indes offiziöse Stellen bzw. wissenschaftlich mit dem Thema Befasste nicht von Diffamierungen abhalten, musste jüngst sogar die KJÖ erfahren. Der KZ-Verband/VdA Wien hat dazu klar Stellung bezogen:

Stellungnahme zum Vortrag der PH Wien

Sehr geehrte Frau Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Barbara Herzog-Punzenberger,
sehr geehrter Herr HS-Prof. Mag. Dr. Norbert Kraker,
sehr geehrte Frau HS-Prof.in Mag.a Dr.in Elisabeth Sieberer,

Ebenso überraschend wie schockierend erlangte uns die Information, dass bei einer Informationsveranstaltung der Pädagogischen Hochschule Wien die Kommunistische Jugend Österreichs als ein Beispiel und eine Vertreterin „antisemitische[r] Perspektiven von Links“ dargestellt und ihr „Relativierung, Rechtfertigung, [und] Glorifizierung antisemitischen Terrors“ vorgeworfen wurde.

Hier ist nicht der Platz, den antifaschistischen Widerstand und die Opfer der KJÖ bzw. deren Vorgängerorganisation des seinerzeit illegalen Kommunistischen Jugendverbands Österreich (KJVÖ) – welcher aufgrund seines ausgeprägten Antifaschismus im Austrofaschismus bereits am 23.9. 1931 (!) verboten wurde – historisch im Detail nachzuzeichnen oder in Erinnerung zu rufen. Als Beispiel für diese Arbeit im Widerstand der KJVÖ dürfen wir Ihnen hier die Biographie von Fritz Probst, maßgeblich beteiligt an der Gründung der Young Austria und als Soldat der britischen Armee an der Befreiung Österreichs beteiligt empfehlen. Fritz war jüdischer Abstammung und zeitlebens ein hochangesehener Zeitzeuge in Schulen und Jugendeinrichtungen österreichweit.

Diesbezüglich mag im hiesigen Kontext die Feststellung aus dem Präludium der Dissertation von Walter Göhring „Der illegale Kommunistische Jugendverband Österreich“ von 1971 genügen: Der KJV wurde „vor allem im bedingungslosen Kampf und Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu einer der dominierenden Widerstandsorganisationen zur Befreiung Österreichs.“ (Vgl. ebenso: Dr. Willi Weinert, „Der Kommunistische Jugendverband in der Illegalität vor 1938“ und „Der Kampf um Österreichs Freiheit – der KJV 1938–1945“, in: „Beiträge zur Geschichte der kommunistischen Jugendbewegung in Österreich“, Kapitel. 4 bzw. 6, Wien 1981). Ein Konstitut der KJÖ, dass sie auch seit ihrer Wiedergründung (am 10.5. 1970 aus der FÖJ) geradezu wesensmäßig charakterisiert.

Dementsprechend war und ist die KJÖ auch durch die Jahrzehnte, die letzten Jahre und aktuell ein Motor des Antifaschismus und Kampfes gegen Rassismus und Antisemitismus im Land. Sowohl gegen deren Erscheinungen alten Stils, wie gegen deren Aufritt in neuem Gewand, und deren brandgefährlicher gegenwärtiger Potentiale. In diesem arbeiten wir als KZ-Verband/VdA Wien auch eng mit der KJÖ zusammen und engagieren sich zugleich viele Mitglieder des kommunistischen Jugendverbandes aktiv im KZ-Verband/VdA und an dessen Aktivitätsfeldern. Gemeinsam arbeiten wir auch in antifaschistischen Bündnissen, die maßgeblich an der Bewusstseinsbildung der letzten Jahrzehnte beigetragen haben. So haben wir unter anderem die Proteste gegen das alljährliche „Totengedenken“ der deutschnationalen, schlagenden Burschenschaften – gemeinsam mit vielen Antifaschist:innen, unterschiedlichster parteipolitischer Zugänge – endlich beendet.

Entsprechend hängt sich die oben genannte Punzierung der KJÖ auch am Nahostkonflikt auf. Die darin virulente Gleichsetzung einer Kritik an Israel und der geschichtlichen wie aktuellen israelischen Politik im Palästinakonflikt als ‚Antisemitismus‘, genauer: „antisemitische Perspektive von links“, stellt nicht nur eine Missdeutung des Begriffs dar (um es mit Moshe Zuckermann und der AutorInnen und UnterzeichnerInnen der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ vom 26.3. 2021 nicht strenger zu formulieren), sondern, – auch darin ist der KJÖ zuzustimmen –, beraubt den Begriff des Antisemitismus auch seiner historischen Bedeutung, seinem theoretischen Skopus, seiner analytischen Schärfe und politischen Funktion. Im Kern gilt unverändert, was Peter Gingold (deutsch-jüdischer kommunistischer Widerstandskämpfer, bis zu seinem Ableben politisch aktiv in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) und gefragter Zeitzeuge in der Gewerkschaftsjugend, in Antifagruppen und an Schulen), bereits vor zwei Jahrzehnten über die Thematik „Nahostkonflikt und Antisemitismusdebatte“ reflektierend schrieb: „Wenn ich über meine Lebensgeschichte spreche, komme ich nicht umhin, auch meine jüdische Herkunft zu erwähnen. Erwartungsgemäß groß ist deshalb die Neugierde, was ich zum Nahostkonflikt und zur Antisemitismus-Debatte zu sagen habe. … Da habe ich immer viel Mühe, den Irrtum auszuräumen, Kritik an Israel sei ein Tabu. … Gewiss haben die Deutschen [resp. Österreicher] besonders darauf zu achten, dass der Nahostkonflikt nicht benutzt wird, um den Antisemitismus, der stets in einem Teil der Bevölkerung virulent ist, wiederzubeleben. Antisemitisch wäre es, wenn nicht nur die Politik Scharons [heute des rechten Kabinetts Netanjahus] verurteilt, sondern ganz Israel in Frage gestellt wird …Wer sich dessen bewusst ist … dem darf die Verurteilung“ der Politik Israels „niemals als antisemitisch ausgelegt werden.“ (MB, 6-02, November/Dezember 2002, Essen)

Dem würde auch die FIR (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer. Bund der Antifaschisten) sowie – eingedenk der schockierenden Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober auch aktuell – hunderte jüdische Intellektuelle beipflichten. Unter ihnen, um nur einige beispielhaft zu nennen, etwa der arrivierte israelische Holocaust- und Genozidforscher Raz Segal oder die jüdisch-US-amerikanische Politikwissenschafterin Rosalind Petchesky, die im Rahmen der „Not In Our Name“-Kampagne jüngst eindringlich formulierte: „Ich heiße Rosalind Petchesky. Ich bin hier mit vielleicht tausend anderen, viele von uns Juden. Aber wir sind hier, um gegen“ die israelische Militäroffensive [sie formulierte die ‚Vergeltungsschläge‘ drastischer] „zu protestieren, der in unserem Namen stattfindet. Es muss aufhören. … Wir glauben an Gerechtigkeit und das Recht, für alle zu leben. Aber die Palästinenser sind seit 75 Jahren Opfer der Unterdrückung [was als Position den letztlich inkriminierenden Punkt gegen die KJÖ bildet], und sie muss aufhören. Deshalb sind wir hier, um zu sagen: ‚Nicht in unserem Namen‘. Ich bin älter als der Staat Israel.“ Anknüpfend an den jüdisch-led Sit-in im Grand Central von New York City bei welchem Rosalind Petchesky diese Worte äußerte, formulierte Craig Mokhiber – der am 28. Oktober 2023 aufgrund der Reaktionen auf den Gaza-Krieg bekanntlich als Direktor des New Yorker Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte zurücktrat – den hiesigen Kontext betreffend tags drauf ebenfalls: „Gestern, nur wenige Straßen von hier entfernt, wurde die New Yorker Grand Central Station von Tausenden jüdischen Menschenrechtsaktivist*innen besetzt, die sich mit dem palästinensischen Volk solidarisierten und ein Ende der israelischen Tyrannei forderten (viele riskierten dabei ihre Verhaftung). Damit haben sie die israelische Hasbara-Propaganda (und die alte antisemitische Floskel), dass Israel das jüdische Volk repräsentiert, mit einem Schlag entkräftet. Das tut es nicht. Israel ist allein für seine Verbrechen verantwortlich.“ (juedische-stimme.de, 3.11. 2023)

Deshalb fordern auch wir als KZ-Verband/VdA Wien auch unsererseits die PH Wien auf, erstens etwaige eventuell noch verfügbare Vortragsunterlagen zu diesem Vortrag, welche die Falschaussagen über die KJÖ enthalten, nicht länger der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zweitens drängen wir eindringlich darauf, künftig darauf zu achten, dass in den auf der PH Wien stattfindenden Vorträgen keine derartigen Unwahrheiten verbreitet werden. Erwarten uns drittens darüber hinaus allerdings nicht minder eine öffentliche Klarstellung der PH bezüglich dieser Punzierung der KJÖ.

In diesen herausfordernder Zeiten, gerade nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, wäre es wichtig sensibel und objektiv zu reagieren.
Einladungen zu Gesprächen, was unsere Forderungen betrifft nehmen wir gerne an.

www.kz-verband-wien.at/

Quelle: KOMintern

KJÖKomIntern