12. Oktober 2024

PRO ASYL ist entsetzt über die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz

Laut Medienberichten haben Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsident*innen in der vergangenen Nacht einen ganzen Katalog mit verschärfenden Maßnahmen in der Asylpolitik getroffen: Einen längeren Bezug von Leistungen nach dem diskriminierenden und verfassungsrechtlich fragwürdigen Asylbewerberleistungsgesetz, die Einführung einer Bezahlkarte statt Bargeld, Verlängerung der Grenzkontrollen und vor allem eine ernsthafte Prüfung der hoch umstrittenen Auslagerung von Asylverfahren an außereuropäische Staaten.


Zu den sozialrechtlichen Verschärfungen

„Die beschlossene Verlängerung gekürzter Sozialleistungen für Geflüchtete ist nichts anderes als ein politischer Tritt nach unten – mit beifallheischendem Blick auf die verunsicherten und ressentimentgeladenen Teile der Bevölkerung“, kommentiert Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Mit Blick auf die Menschenwürde in unserer Verfassung ist dies ein beschämender Schritt – zumal die beschlossene Änderung an den aktuellen Flüchtlingszahlen absehbar überhaupt nichts ändern wird.“

Mit dem Kürzungsbeschluss ignorieren die Ministerpräsident*innen von Bund und Ländern auch die Expertise und einmütige Einschätzung von Fachorganisationen. Die Kürzungen sind in verfassungsrechtlicher Hinsicht fraglich und zeugen von Empathielosigkeit und Unkenntnis der Lebensrealität geflüchteter Menschen. Über 150 Fachverbände und soziale Organisationen hatten sich Anfang November gemeinsam gegen Kürzungen am Existenzminimum ausgesprochen und stattdessen für die sozialrechtliche Gleichstellung Geflüchteter geworben. PRO ASYL kritisiert Kürzungen am Existenzminimum als Angriff auf die Menschenwürde.

Wer Integration erwartet, tut sich keinen Gefallen damit, ankommende Geflüchtete lange Zeit erst einmal vor den Kopf zu stoßen und ihnen zu signalisieren, dass sie nicht erwünscht sind, indem man sie mit geringeren Sozialleistungen ausgrenzt. Die weitere Kürzung der monatlichen Leistungen, schließt Geflüchtete von Maßnahmen oder Leistungen aus, die für ihr Leben essentiell sind. Der verlängerte Ausschluss von Analogleistungen zum Bürgergeld schließt Menschen von Maßnahmen zur Vorbereitung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt aus und behindert ihre Vermittlung in Arbeits- und Ausbildungsstellen. Zudem wird ihnen im Asylbewerberleistungsgesetz eine angemessene Gesundheitsversorgung verwehrt, die für Asylbewerber*innen, die oft traumatische Gewalt im Herklunftsland oder auf der Flucht erleiden mussten, von erhebliche Bedeutung sind. „Wenn die Bundesregierung es mit dem Arbeitsmarktintegration ernst meint, dann sind diese Kürzungen der falsche Weg. Stattdessen müssen alle Arbeitsverbote aufgehoben und die unterstützenden Maßnahmen ausgeweitet werden“, so Tareq Alaows.

Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass Kürzung von Sozialleistung und der Umstieg auf mehr Sachleistungen für die Kommunen keinen positiven Effekt, dafür aber viele negative Folgen haben: Menschen werden durch Sachleistungen entwürdigt und gedemütigt, aber nicht von der Flucht vor Krieg und Vertreibung oder der Obdachlosigkeit in anderen Teilen Europas abgehalten. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes, zeigen: Das Vorhandensein von Rechtsstaatlichkeit, Freunden und Familie oder die Arbeitsmarktbedingungen sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Einführung einer Bezahlkarte wird an dem Fluchtweg von Menschen nichts ändern.

Zu der Auslagerung von Asylverfahren

„Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz, die die Prüfung von Asylanträgen in Drittstaaten vorsehen, sind brandgefährlich. Anstatt pragmatische Maßnahmen für die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen zu treffen, soll die Lösung der deutschen Herausforderungen wohl in der Türkei oder in Nordafrika gesucht werden. Es ist absolut realitätsfern, dass solche Deals wirksam und vor allem menschenrechtskonform umgesetzt werden. Stattdessen hat jeder Versuch der Auslagerung gezeigt, dass diese immenses Leid produziert – von Nauru bis nach Moria. Wenn die Bundesregierung diesen Beschlüssen folgt, dann steigt sie ein in die rechtspopulistische Geisterfahrt der britischen oder dänischen Regierung – und wird spätestens vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf den Boden der Tatsachen zurück geholt werden. Den Kommunen hat diese Zeit- und Energievergeudung dann jedenfalls nicht geholfen“, sagt Tareq Alaows.

Vorschläge für die Auslagerung von Asylverfahren gibt es schon lange, funktionierende Modelle aber kaum und ohne massive Menschenrechtsverletzungen keine. Ansätze wie der EU-Türkei-Deal, die die Flucht über bestimmte Routen verhindern wollen, führen aber primär dazu, dass fliehende Menschen andere und oft gefährlichere Routen nehmen. So haben sich zwar die Ankunftszahlen in der EU seit 2016 verringert, doch gleichzeitig sind die Grenzen tödlicher geworden.

Hintergrund zu verringerten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz:

Bei der Erfindung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor genau 30 Jahren hielten Bundesregierung und Parlament eine Kürzung des sozialrechtlichen Existenzminimums für zwölf Monate vertretbar, darüber hinaus aber für unzumutbar. Es könne dann mangels „noch nicht absehbarer weiterer [Aufenthalts-]Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden […]. Insbesondere sind nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet sind.“ (Bundestagsdrucksache 12/5008 vom 24.5.1993). Derlei Überlegungen hielten die Regierungen dennoch nicht davon ab, die gekürzten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beständig zu verlängern.

Nach dem Bundesverfassungsgericht hat jeder Mensch das Recht auf ein menschenwürdiges physisches, aber auch soziokulturelles Existenzminimum, das die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll. Ob die gegenüber dem sozialrechtlichen Existenzminimum gekürzten Grundleistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes überhaupt mit dem Verfassungsrecht vereinbar sind, ist fraglich. Nachdem das Verfassungsgericht konkrete Leistungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes bereits mehrfach nach oben korrigierte und Kürzungen widersprach, ist aktuell ein weiteres Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig.

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Quelle: Pro Asyl

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