Geschichtsvergessenheit in Ost- und Südeuropa

Immer wieder hat sich die FIR mit klaren Worten gegen die Umschreibung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes und die Rehabilitierung von Naziverbrechern und Kollaborateuren als „Freiheitskämpfer“, wie sie in den vergangenen Jahren insbesondere in den Baltischen Republiken praktiziert wird, ausgesprochen.

Auch in diesem Jahr fand Mitte März in Riga am Nationalfeiertag ein Aufmarsch der „Freunde der lettischen SS-Veteranen“ unter massivem Polizeischutz statt. Offenkundig wollte der Staat verhindern, dass – wie in vergangenen Jahren – Antifaschisten gegen diese Form von Umschreibung der Geschichte öffentlich auftreten. Schon früher wurde behauptet, wer sich gegen diesen SS-Veteranen-Aufmarsch stelle, sei ein „Parteigänger Putins“, womit in Lettland nicht nur die russischstämmige Minderheit, sondern auch antifaschistische Letten denunziert wurden.
Vor wenigen Tagen setzte die Ukraine ihre „De-Russifizierung“ mit einem Beschluss des ukrainischen Parlaments zur Umbenennung von fünf Städten und über 100 Dörfern fort. Dass dabei russische Namen nicht nur ukrainisiert, sondern gleich komplett verändert wurden, überrascht nicht. So adaptierte man selbst Dorfnamen deutscher Kolonisten für Orte, die erst in den 1970er Jahren entstanden sind. Aber vielleicht glaubt man damit die deutsche Regierung zu beeindrucken, ebenso wie z.B. amerikanische Politiker mit der Benennung einer Hauptstraße in Kiew nach dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald-Reagan. Der ukrainische Antifaschist Wjatscheslaw Asarow kritisierte, die Regierung würde Straßen zu Ehren westlicher Politiker und Monarchen benennen, in der Hoffnung, so den Verbündeten irgendwelche Almosen „aus dem Kreuz zu leiern“.

Mit Beginn des Krieges vor zwei Jahren gewann der Prozess an neuer Dynamik. Im ersten Kriegsjahr erhielten fast 10.000 Orte einen neuen Namen, 145 sowjetische Denkmäler wurden beseitigt, selbst Schriftsteller wie Alexander Puschkin sind nicht mehr sichtbar. An deren Stelle werden nun Kollaborateure geehrt. Anfang März erhielt eine Straße in Nikopol den Namen des Offiziers Petro Djatschenko, der als Bandera-Gefolgsmann im Zweiten Weltkrieg mit Nazideutschland kollaborierte. Auch Erzbischof Andrej Scheptyzkyj, nach dem jetzt ein ganzer Ort benannt wurde, hatte die deutschen Invasoren als „Befreier von der Sowjetherrschaft“ begrüßt und die Aufstellung einer ukrainischen Waffen-SS-Division befürwortet.

Wer aber diese Tendenz der Umschreibung der Geschichte nur in Osteuropa glaubt verorten zu können, der wurde am vergangenen Wochenende eines Schlechteren belehrt. Anlässlich des staatlichen Gedenkens des Massenmorde in den Ardeatinischen Höhlen in Rom verbreitete Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Erklärung, in der sie das Massaker als “eine der schmerzhaftesten Wunden, die unserer nationalen Gemeinschaft zugefügt wurden”, bezeichnete. Als habe der Mussolini-Faschismus, aus dessen Erbe sich Melonis Partei speist, damit nichts zu tun gehabt. ANPI kritisierte in aller Schärfe diese historische Heuchelei. Das ähnelt der Haltung von Viktor Orban, der bei seiner Rehabilitierung des Horthy-Regimes Faschismus erst mit der deutschen Besetzung sehen will und Ungarn gerne als „Opfer“ stilisiert.

Eine andere Form der Geschichtsvergessenheit zeigte die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie sprach in Rom von einem “monströsen Verbrechen”, bei dem 335 italienische Zivilisten, darunter Partisanen, antifaschistische Widerstandskämpfer und 75 Juden aus Italien und Europa von der SS erschossen worden seien. Das Verbrechen sei „Teil einer furchtbaren Spur moralischer und materieller Verwüstung, die das nationalsozialistische Deutschland durch ganz Europa gezogen hat.“ Dann fügte sie hinzu, es sei ihr wichtig, „heute in Rom an dieses schreckliche Verbrechen zu erinnern – Seite an Seite mit meinem italienischen Amtskollegen“, der eben jener neofaschistischen Regierung unter Meloni angehört.

Gleichzeitig „vergaß“ zu erwähnen, dass den Befehl für dieses Massaker die Wehrmachtsgeneräle Kesselring, von Mackensen und Mälzer gegeben haben. Es war also eines der vielen Verbrechen der Wehrmacht, die insbesondere im „Vernichtungskrieg“ gegen die UdSSR stattfanden, selbst wenn diesmal die SS das Massaker verrichtete.

Stattdessen besuchte Frau Roth nach der Gedenkveranstaltung das jüdische Viertel in Rom und legte im ehemaligen Ghetto einen Kranz nieder zum Gedenken an die 1943 deportierten Juden. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass selbst bei solchen Gelegenheiten von deutscher Seite eine Verschiebung des Fokus in Richtung Shoah stattfindet, während der antifaschistische Widerstand sowie der faschistische Krieg und seine Träger verdrängt werden.