„Kümmert euch um die sozial Benachteiligten, die Armen, die Arbeitslosen, die Obdachlosen…”
Übernommen von KPÖ:
Ein Beitrag von Walter Baier zum Tod von Papst Franziskus, Jorge Mario Bergoglio SJ, 1936–2025
Wer war, wer ist dieser Papst, dem Übelmeinende mehrmals vorwarfen, er wäre Kommunist?
»Am Anfang war der Schrei«, definiert Leonardo Boff den Ausgangspunkt der Theologie der Befreiung. Am Anfang steht die Katastrophe, scheint uns Franziskus zu sagen, indem er seine Autobiografie durch die Schilderung des Untergangs »Principessa Mafalda« mit 1200 italienischen Migrant:innen vor der Küste Brasiliens am 25. Oktober 1927 einleitet.
Für manche Vatikanist:innen überraschend, aber konsequent franziskanisch war es, dass seine erste Pilgerreise als Papst ihn in das Flüchtlingslager auf der Insel Lampedusa führte. Im Lager Moria auf Lesbos erkannte er eine Schande der Europäischen Union, durch die das Mittelmeer, das über Jahrtausende verschiedene Völker und weit voneinander entfernte Länder vereinte, zum kalten Friedhof ohne Grabsteine wurde, zum Meer der Toten.
Jorge Marios Großeltern mütterlicherseits waren dem Untergang der »Malfada« durch glückliche Fügung entkommen. Ihre Tochter heiratete einen italienischen Einwanderer, den die große Krise Ende der 1920er-Jahre über den Ozean getrieben hatte. Am 17. Dezember 1936 wurde Jorge Mario geboren und wuchs in prekären, kleinbürgerlichen Verhältnissen in Buenos Aires auf. Nach Abschluss einer Ausbildung als Chemietechniker entschied er sich, jesuitischer Ordensmann zu werden. Studien der Philosophie und Theologie folgten. 1973 wurde er Provinzial der argentinischen Provinz des Jesuitenordens, 1992 Bischof und 1998 Erzbischof von Buenos Aires. Der später gegen ihn erhobene Vorwurf, er habe mit der argentinischen Militärjunta (1976 bis 1983) kollaboriert, wurden unter anderem vom Bürgerrechtler Adolfo Pérez Esquivel und vom Befreiungstheologen Leonardo Boff zurückgewiesen.
Erster lateinamerikanischer Papst
Bleibende Gipfelpunkte der sozialen Theologie Franziskus bilden die Enzykliken Laudato si’ (2015) und Fratelli tutti (2020), in denen er eine integrale Ökologie, also weltweite soziale Gerechtigkeit und Bewahrung der Natur, forderte. Dabei sei, so mahnte er, mit Widerständen zu rechnen: »Wenn die Natur einzig als Gegenstand des Profits und der Interessen gesehen wird, hat das auch ernste Folgen in der Gesellschaft. Die Sichtweise, welche die Willkür des Stärksten unterstützt, hat für die Mehrheit der Menschheit zu unermesslich viel Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gewalt geführt, denn die Ressourcen gehen dann in den Besitz dessen über, der zuerst ankommt oder der mächtiger ist: Der Sieger nimmt alles mit.«
Ein Kommunist?
Darin rief er zu einer transversalen sozialen Ethik auf: Brecht im Dialog die überkommenen Schemata, kümmert euch um die sozial Benachteiligten, die Armen, die Arbeitslosen, die Obdachlosen, die die Kultur der Verschwendung zu Abfall degradiert, und bekämpft das Übel der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Missachtung des Rechts.
Die Kirche ist Menschenwerk. Papst Franziskus war nicht unfehlbar und wollte nicht so gesehen werden. Die Fortschritte der Frauenemanzipation blieben auch unter ihm hinter dem Notwendigen zurück. Doch anders als viele Kleriker erkannte er den Widerspruch und schrieb in seiner Autobiografie die bemerkenswerten Sätze: »Die Kirche ist eine Frau, kein Mann. Wir Kleriker sind Männer, aber wir sind nicht die Kirche.«
Auch Franziskus war nicht die Kirche, sondern ihr Oberhaupt, und zu manchem Kompromiss mit beharrenden Kräften gezwungen. Doch die Spuren, die er hinterlässt, weisen darüber hinaus und lassen die Utopie einer Kirche an der Seite der Armen erkennen, in der Männer und Frauen gleichberechtigt gemeinsam mit allen Menschen guten Willens um die Bewahrung der gemeinsamen Welt ringen.
Quelle: KPÖ