Rede von Carola Kieras, VVN-BdA, auf der Demonstration vom 7.11.2018

Guten Tag, liebe Antifaschisten und Antifaschistinnen,

Ich freue mich hier für die Vereinigung des Verfolgens des Naziregimes –Bund der Antifaschisten sprechen zu dürfen. Die Vereinigung wurde gegründet von Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse, sie brachten den zentralen Gedanken des Schwures von Buchenwald mit: „Der Aufbau einer neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unsere Ziel. Das sind wir unseren ermordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“

Das ich mich in der VVN-BdA engagiere, hat für mich einen sehr persönlichen Grund, aber, auch das ist wichtig, dieser Grund ist nicht zwingend erforderlich, um bei uns mitzuarbeiten.

Hier in Hamburg gehörte mein Großvater, Georg Kieras, am 2. Februar 1947 zu den Gründungsmitgliedern der VVN. Er wurde 1935 zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt wegen „Vorbereitung zu Hochverrat“. Was hat er getan? Er hat nach dem Verbot der SPD und der Verhaftung des Parteivorstandes in der zweiten, dann illegalen Parteiführung Hamburgs mitgearbeitet. Und er hat in Dänemark gedruckte Flugblätter angenommen in andere Hamburg Stadtteile weitergeleitet. Zu den vielen Facetten des Faschismus an der Macht gehört eben auch eine massive Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, Meinungsfreiheit, Informationsfreit, demokratische Parteien, Versammlungsfreiheit. Rechte, die wir als ganz selbstverständlich wahrnehmen und heute bei dieser Demo für uns nutzen.

Mein Großvater musste diese vier Jahr in Lager Aschendorfer Moor, im Emsland verbringen, war ein „Moorsoldaten“. Die Zustände werden heute von den Historikern als KZ-ähnlich beschrieben. Die Verwaltung dieses und einiger anderer „Emslandlager“ unterstand nicht der SS, auch die Wachmannschaften nicht, sondern der gleichgeschalteten nationalsozialistischen Justiz, die Wachen waren zumeist ehemaliger SA-Mitglieder, für die Schläge und Folter zum Verhaltens Repertoire dazugehörten.

Was bedeutet diese Verurteilung für meine Familie?

Zunächst stand meine Großmutter mit 2 kleinen Kindern alleine dar. Sie wurde „dienstverpflichtet“ wie es damals hieß, aber Kindergartenplätze gab es natürlich nicht. Sie war einem massiven Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt, sich doch bitte von diesen „Verbrecher“ scheiden zu lassen, was sie schließlich tat. Das war der Preis für die lebenswichtige Unterstützung durch die Familie. Auch die Zerstörung von Familien gehört zu den Folgen der Verfolgung.

Übrigens waren beide, meine Großmutter und mein Großvater von der Gestapo ins Stadthaus gebracht worden. Was genau sie dort erlitten, weiß ich nicht, keiner hat mit mir darüber gesprochen, ich war damals auch noch zu klein, um es zu verstehen. Ich weiß aber, die Gestapo hat öfters mal jemanden, der trotz Schläger und Folter nicht reden wollte, damit unter Druckgesetzt, dass er zusehen musste, wie seinen Angehörigen Schläge und Folter drohten. Vielleicht ist den beiden auch so etwas wiederfahren.

Das was dort heute als „Gedenkort“ angeboten wird, ist schrecklich. Die Änderung des Namens des Ortes, aus Stadthaus wurde Stadthöfe, die rudimentäre Information auf wenigen, billiggemachen Tafeln, die Café-Atmosphäre, die damit verbundenen Geräuschkulisse, der kommerzielle Rahmen einer Buchhandlung, das alles empfinde ich als eine Verhöhnung der Opfer. Das schmerzt.

 Deshalb möchte auch ich Euch ich alle auffordern morgen ab 17 Uhr zur Mahnwache an das Stadthaus zu kommen und unsere Forderung nach einem angemessenen Gedenk – und Lernort zu unterstützen, der die Bedeutung der Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen würdigt.

Ich habe in meiner Familie, die heute in 4 Ländern auf 2 Kontinenten lebt, eines gelernt, dass mir ungeheuer wichtig ist:

Ich habe gelernt Menschen als Individuen zu sehen, nicht Gruppen zuzuordnen, die sich aus der Herkunft zufällig zusammensetzten.

Haut -, Haar- und Augenfarben spielen keine Rolle bei der Beurteilung eines Menschen. Auch nicht ob jemand an einen Gott glaubt, oder nicht und ob er oder sie sich zum Beten gen Mekka wenden oder Gebetsriemen anlegen, das ist uns völlig egal.

Stichwort Religion. Religiöse Gesetze sind entstanden, um das Zusammenleben in größeren Gemeinschaften zu regeln, bevor sich Nationalstaaten und deren Justiz ausbildeten. In jeder, absolut jeder Religion finden wir Verbote von Mord, Vergewaltigung, Raub und Betrug. Das heißt doch nichts anderes, als das es zu jeder Zeit und in jedem Landstrich diese Erde diese Probleme gab. Und dass es keine Bevölkerung auf diese Welt gibt, die besser oder schlechter ist als die anderen. Überall gibt es solche und solche. Und meistens überwiegen sogar die Guten.

Es müssen Wege gefunden werden, mit Verbrechen umzugehen. Immer und überall. Gute Lebensbedingungen und Perspektiven für alle, nicht nur für eine kleine wohlhabende Schicht, schaffen eine erste Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.

Kann man aus der Geschichte lernen?

Ich glaube, das geht nur sehr eingeschränkt. Aber es gibt einen Aspekt, den wir der Weltgeschichte entnehmen können. Da ich mich sehr darüber ärgere, dass das in keinem Geschichtslehrbuch steht, möchte ich die Gelegenheit nutzen, diesen Gedanke heute mit Euch und Ihnen zu teilen.

In der Weltgeschichte gab es immer sogenannte „Hochkulturen“ die prägend für Kultur und Wissenschaft ihrer Zeit waren. Träger von Kultur sind immer Menschen. Diese Hochkulturen, seien es die Sumerer im heutigen Irak, die alten Ägypter, Griechen, Römer, das britische Empire oder die Vereinigten Staaten von Nordamerika, waren immer durch den Zuzug und die Integration vieler sehr verschiedener Bevölkerungen und Ethnien entstanden. Immer. Meistens dauerte es eine Zeit, oft 2- 3 Generationen, bevor ein relativ gleichberechtigtes Zusammenleben möglich war. Aber es brachte langfristig Gewinn und Fortschritt. Durch Abschottung jedoch kann indes ein kultureller und wirtschaftlicher Niedergang eingeleitet werden.

Ich frage mich immer, ob die rechten Demonstranten gewillt wären, auf alle Güter und Gewohnheiten des täglichen Lebens zu verzichten, die nicht explizit aus Deutschland stammen:

Keine Zigaretten, keine Jeans, kein Fußball, keine Pizza oder Spaghetti, keine Hamburger mit Pommes, kein Eis, kein Kaffee mehr, keine Schokolade, keine Handys, um nur die zu nennen, die mir spontan eingefallen. Bier bliebe ihnen jedoch erhalten.

Die Erkenntnis, dass Wanderbewegungen seit Anbeginn zur Menschheitsgeschichte gehören, die meisten Kontinente sind schließlich so besiedelt worden, und dass Gesellschaften nie so bleiben, wie sie sind, sondern sich stetig weiterentwickeln und durch Austausch gewinnen, müssten in die Lehrpläne und in allgemeinen Diskurs in unseren Medien aufgenommen werden. Dann würden bei der rechten, antidemokratischen Kundgebung bestimmt noch weniger Menschen stehen, als sie es ohnehin schon tun und rechte Demagogen würden weniger Zustimmung bei Wahlen erhalten.

Ich danke für Eure und Ihre Aufmerksamkeit.

Quelle:

VVN-BdA Landesvereinigung Hamburg