8. Oktober 2024

Massenarbeitslosigkeit in Österreich auf Rekordhoch

Allein seit letzter Woche wurden über 180.000 Beschäftigte auf die Straße gesetzt.

Zu Beginn des Ausbruchs der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 lag die Arbeitslosigkeit bei 210.000 und erklomm in deren Gefolge mit einer knappen halben Million Arbeitsloser den bisher traurigen Spitzenwert der Zweiten Republik.

Ende Februar 2020, vor Beginn des Ausbruchs der aktuellen Corona-Krise, betrug die Arbeitslosigkeit mit rund 400.000 beinahe das Doppelte des damaligen Ausgangspunkts. Zu diesem heute nochmals um vieles dramatischeren Niveau des Ausgangssockels stehen neben den bereits fast zweihunderttausend tagesaktuell zusätzlich Rausgeworfenen aufgrund der Kündigungsfristen mit 1.Mai bzw. Juni leicht verzögert noch Zigtausende mehr vor dem bereits definitiven Jobverlust.

Ist die Corona-Pandemie auch der Auslöser, so doch nicht die Ursache: sie fungiert diesbezüglich nur als Nadel, die die (Finanz- und Konjunktur-)Blase der letzten Jahre endgültig zum Platzen brachte. Schon im Herbst 2019 trübten sich die Konjunkturaussichten ein und waren in bestimmten Ländern Rezessionssignale sichtbar. Mit Corona rutscht die Weltwirtschaft nun in die globale Rezession ab. Auch EU-Europa und Österreich. Der europäische Geschäftsklimaindex erlitt gerade den größten Einbruch seiner Geschichte. Und nach den beiden Wirtschaftsforschungsinstituten IHS und WIFO prognostizierte nunmehr auch die OeNB eine, zumal noch schwerere Rezession für Österreich. Was gleichfalls mit voller Wucht auf den Arbeitsmarkt durchschlagen wird.

Strukturbruch und Wendepunkt

Nun sind dem Kapitalismus weder Arbeitslosigkeit noch Krisen neu, sondern sind ihm vielmehr strukturell eingeschrieben. Die seit je unstete, konjunkturelle Entwicklung des kapitalistischen Systems, bezog die durch Produktionssteigerungen sowie während der beständig wiederkehrenden Krisenperioden erzeugten Arbeitslosen mit jedem neuen Aufschwung sowie mit der Ausdehnung der Produktion jedoch (zumindest zu deren größten Teil) wieder in den Reproduktionsprozess ein und setzte die zuvor aus der Produktion Ausgespuckten damit (wenigstens in wirtschaftlichen Aufschwungsphasen) wieder in Beschäftigung und Broterwerb. Marx prägte für sie die Bezeichnung der „industriellen Reservearmee“. Mit der Weltwirtschafts- und Umbruchskrise 1974/75 trat dahingehend jedoch ein grundlegender Wandel und Strukturbruch ein.* Während in früheren Konjunkturzyklen die „industrielle Reservearmee“ im Aufschwung sozusagen aus der Etappe geholt wurde, wurde die Arbeitslosigkeit seither auch im Zuge der Aufschwünge nicht mehr wesentlich abgebaut. Die Arbeitsmärkte erwiesen sich quer durch die kapitalistischen Metropolenländer als nicht mehr aufnahmefähig genug, was zu einer kontinuierlich wachsenden strukturellen Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit in den OECD-Ländern führte, in der sich die „industrielle Reservearmee“ teils überhaupt zum „stehenden Heer“, genannt „Sockelarbeitslosigkeit“, wandelt.

Damit einher ging ein zweites Unikum in der Konjunkturgeschichte: das Phänomen, dass in den kapitalistischen Hauptländern die Reallöhne teils sogar in der Hochkonjunktur stagnierten bzw. absanken und die Armut auch in Aufschwungsphasen zunahm. Insgesamt ging der Anteil der Löhne und Gehälter am BIP seit den 80er Jahren so bspw. schon bis zu Beginn der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08 in den reichsten 15 EU-Staaten um 13% zurück. In Österreich seit 1978 um 12,4% ebenfalls um diese Größenordnung, und seit 1981 kontinuierlich absinkend. Das auf den Arbeitsmarkt drückende Heer der Arbeitslosen bedeutet denn auch nicht „nur“, dass mehr als jede/r zehnte Werktätige im Land erwerbslos ist, gerade noch so über die Runden kommt, in entwürdigenden Abhängigkeiten steht und vielfach von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen ist. Die wachsende strukturelle Massenarbeitslosigkeit schlägt darüber hinaus auch mit ihren Begleiterscheinungen mit voller Wucht zu: Lohndruck und Lohndumping, zunehmender Druck auf die bestehenden Arbeitsverhältnisse, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Aushöhlung erkämpfter sozialer Rechte, erzwungene Teilzeitbeschäftigungen, Flexibilisierung, sich auf breiter Front durchsetzende Prekarisierungen und immer mehr „McJobs“, von denen die Menschen nicht leben können.

Die Entwicklung des Nachkriegskapitalismus als Vergleichsfolie des Strukturbruchs

Um diesen gravierenden Strukturbruch nochmals plastischer in den Blick zu rücken, sei als Vergleichsfolie kurz an die Entwicklung des österreichischen Nachkriegskapitalismus erinnert. Die ebenso kontinuierliche wie dynamische Abnahme an selbständigen bäuerlichen Existenzen (noch Ende der 50er Jahre zählte die Landwirtschaft in Österreich über 23% aller Berufstätigen) konnte durch eine stetige Ausdehnung der Produktion (und begleitender politischer Maßnahmen) am Arbeitsmarkt im Großen und Ganzen ohne größere Friktionen aufgefangen werden. Gleiches kann grosso modo auch hinsichtlich der im Nachkriegskapitalismus aufgrund der Produktivitätssteigerungen, wirtschaftlicher Strukturwandel und Strukturkrisen je aus dem Arbeitsprozess ausgespuckten Beschäftigten konstatiert werden. Parallel hierzu setzte in den 50er und 60er Jahren zudem ein kontinuierlicher Anstieg der Frauenerwerbsarbeit ein (und stieg bis 1971 auf bereits 37% aller unselbständig Erwerbstätigen). Zeitgleich wurden ab Mitte der 60er Jahre noch eine Reihe von Anwerbeabkommen geschlossen. Gleichwohl lag die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt 1970 bei lediglich 59.000 und sank im Jahr 1974 sogar auf bloße 36.000 ab (bei gegenüberstehenden rd. 57.500 gemeldeten offenen Stellen) – womit die Zahl der offenen Stellen zugleich noch jene der Arbeitslosen überstieg. Im Gefolge der Wirtschaftskrise 1982/83 schlug der Strukturbruch in der Entwicklung des Kapitalismus dann auch in Österreich mit voller Wucht durch. Die Arbeitslosigkeit stieg von 1,9% im Jahr 1980 in den Jahren 1983/84 auf 4,5% und mit 1985 bereits auf über 5% – und kletterte danach selbst im Aufschwung und in Phasen der Hochkonjunktur weiter empor, um mit über 360.000 Arbeitslosen Anfang 2013 dann auch in Österreich endgültig durch die Decke zu schießen und mit den zwischenzeitlich knapp 500.000 im Jahr 2017 auf ein neuerliches Rekordhoch hochzuschnellen, das gerade nochmals übertroffen wird.

Das etablierte, kapitalistische Entwicklungs- und Globalisierungsmodell hat sich strukturell erschöpft. Um der immer weiter explodierenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden, braucht es denn auch eine grundlegende gesellschaftliche Wende, tiefgreifenden Umbau und eine weitreichende Umwälzung der Verhältnisse.

*Zur theoretischen Grundlegung der dahinter liegenden strukturellen Überakkumulation des Kapitals, damit einhergehenden Modifizierungen des Krisenzyklus und etablierten kapitalistischen Entwicklungs- und Globalisierungsmodells siehe: So kann Arbeitslosigkeit nicht überwunden werden

Quelle:

KOMintern

Österreich