Dauerstillstand macht krank

Bereits bei den ersten Ankündigungen, die Schulen im Mai wieder öffnen zu wollen, hatte es, insbesondere in den sozialen Medien, eine große Ablehnung gegen diese Maßnahme gegeben. Die Schüler sind nun seit dem 16. März zuhause und werden digital so weit und so gut dies eben möglich ist, mit Aufgaben versorgt.

Nun gibt es gegen den sinnvollen Einsatz digitalen Lernens sicherlich wenig einzuwenden, und die Umstände der Pandemie geboten auch eine gewisse Experimentierfreudigkeit, aber es zeigt sich nach nunmehr, Ferien inbegriffen, fast sechs Wochen, daß auch die Kinder und Jugendlichen langsam »am Rad drehen«, wie man es ausdrückt.

Wir haben im Rahmen der aktuellen Gesundheitskrise gelernt, wie viel sich tatsächlich im Home Office arbeiten läßt, obwohl zu normalen Zeiten immer erklärt wurde, dies sei nicht realisierbar. Die Lehren aus diesen Erfahrungen sollten auch für die Nach-Corona-Zeit dienen. Es würde helfen, Arbeitsvorgänge vom Anwesenheitsfetisch abzukoppeln und damit der Umwelt und der Gesellschaft zu helfen.

Soweit die Welt der Arbeitenden. Eine ganz andere Situation zeigt sich aber in der Schule und in den Kindergärten, beziehungsweise beim Umgang mit den Kindern und Jugendlichen, die normalerweise in diese Einrichtungen gehen, um zu lernen. Ja, auch in einem Kindergarten wird gelernt, wenn vielleicht auch noch nicht so zielgerichtet und straff auf die Bedürfnisse der Wirtschaft hin, wie in der Schule. Soziale Kompetenzen und eigene Fähigkeiten entdecken gehört zu den elementaren Dingen dieser ersten Lernjahre, und deshalb darf die Betreuung der Jüngsten, genau wie die Schulen, nicht mehr allzu lange ausgesetzt werden. Und dabei darf es nicht um Not-Betreuung gehen, die erst greift, wenn die Eltern oder der Alleinerzieher körperlich und psychisch am Ende sind.

Viele Eltern haben im Moment andere Sorgen, als ihren Sprößlingen beim digitalen Hausaufgaben machen über die Schulter zu schauen: Entfesselte Arbeitszeiten »dank« Corona, die eigene tägliche Gefährdung im Betrieb oder die finanziellen Sorgen im chômage partiel lassen nicht mehr viel Platz für die Kinderbetreuung und Bildung in den eigenen vier Wänden, die ohnehin nach sechs Wochen unaufhaltsam näher zu rücken scheinen. Gleichzeitig feiern manche ältere Mitmenschen mit Freunden und entfernten Angehörigen beim Oster-Essen fröhliche Urständ, obwohl sie doch zu den »vulnerablen Personen« gehören, für deren Schutz ja offiziell gerade der ganze Zinnober veranstaltet wird.

Kinder verstehen die ganzen Verbote und die soziale Isolation derzeit nicht und viele Jugendliche verlieren jedes Zeitgefühl. Das bedeutet nicht, daß sie sich auf »ein gutes Buch« oder ihre Hausaufgaben stürzen, wie viele Corona-Ideengeber dieser Tage wohl vermuten würden. Es fehlen abseits vom Lernstoff soziale Kontakte und tägliche Eindrücke zum Verarbeiten. Denn Schule ist nicht nur eine Lernfabrik, sondern ein Ort des sozialen Miteinanders. Wer, wie all die selbsternannten Corona-Experten dieser Tage wahrhaft fordert, die Schulen müßten noch monatelang bis zur Findung eines Impfstoffes geschlossen bleiben, der spielt nicht nur mit der beruflichen Zukunft der jungen Menschen, sondern auch mit ihrer psychischen Gesundheit.

Deshalb ist, natürlich unter Berücksichtigung der gebotenen Schutzmaßnahmen, die Öffnung der Schulen ein wichtiger Schritt, auch wenn er Ängste freisetzt.

Christoph Kühnemund

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek