Solidarisch auch nach der Krise

Deregulierung der Arbeitszeitorganisation ist hierzulande in vielen Wirtschaftssektoren schon lange Jahre bittere Realität, wobei die aus der zunehmenden Flexibilisierung resultierenden Unannehmlichkeiten allesamt ausschließlich zu Lasten der arbeitenden Menschen gehen.

Ob im Handel, im Reinigungssektor, im Transportwesen oder im Sicherheitssektor – um nur diese Bereiche zu nennen – wissen die Beschäftigten nur allzu gut, was es heißt, immer dann Präsenz zeigen zu müssen, wenn es der Betrieb von ihnen verlangt. Unregelmäßige Arbeitszeiten, in letzter Minute abgeänderte Schichtpläne sowie häufig wechselnde und längere Arbeitszeiten gehören dort genauso zum Arbeitsalltag wie Personalmangel, Mehrarbeit, nicht vergütete Überstunden, gestrichene Urlaubstage, gekürzte Ruhepausen, allgegenwärtiger. Druck und Stress.

Arbeitsbedingungen demnach, die sich in den letzten Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert haben. Ohne Rücksicht auf Verluste wurde zu Lasten der Schaffenden reihenweise gegen Arbeitsrecht und bestehende
Kollektivvertragsbestimmungen verstoßen. Das Streben nach Profitmaximierung war und ist den Unternehmern halt wichtiger als das Wohlergehen »ihrer« Mitarbeiter, ohne welche die Gesellschaft während der jetzigen Krise nicht funktionieren würde.
Da ihre Arbeit nicht von zu Hause aus verrichtet werden kann, sind Kassiererinnen und Verkäuferinnen in Supermärkten, Reinigungskräfte, Sicherheitspersonal oder Berufsfahrer – ähnlich wie das Gesundheits-und Pflegepersonal – seit dem ersten Tag der Corona-Pandemie an vorderster Front im Einsatz, dies trotz aller Risiken und Ansteckungsgefahren. Arbeiten, welche die Regierung »systemrelevant« nennt. Der tägliche aufopferungsvolle Einsatz eines jeden wird anerkennend in höchsten Tönen gelobt.

Arbeiten, die in normalen Zeiten allerdings kaum beachtet werden. Wenn sie heute auch als »Helden« gefeiert werden, die ihre Gesundheit für andere aufs Spiel setzen, mit Blumen und Pralinen beschenkt und als Dankeschön für ihren Einsatz an vorderster Front allabendlich mit Applaus bedacht werden, so darf nicht verschwiegen werden, dass es sich bei den heutigen »Helden« in praktisch allen betroffenen Bereichen um »systemrelevante« Arbeiterinnen und Arbeiter handelt, die größtenteils mit Niedriglöhnen abgespeist werden – übrigens ähnlich wie zig Tausende Lohnabhängige im »chômage partiel«.

Dies darf nach der Krise keinesfalls in Vergessenheit geraten. Deshalb muss die Solidarität, die den vielen Beschäftigten, die in normalen Zeiten kaum Beachtung finden, derzeit gezollt wird, über die Dauer der Corona-Pandemie hinausgehen.
Gemeinsam muss nämlich verhindert werden, dass das Patronat bei Lohnfragen weiter mit beiden Füßen fest aufs Bremspedal tritt und keine Bereitschaft zeigt, seine Mitarbeiter für deren Arbeit besser zu entlohnen. Eine Anhebung des sozialen Mindestlohns um 14 Prozent wäre ein erster Schritt in diese Richtung.

gilbert simonelli

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek