Ideenreiche Formen des Widerstands

Der Kampftag der Arbeiterklasse wurde auch dieses Jahr auf die Straße getragen. Interview mit Peter Köster, stellvertretender DGB-Vorsitzender im Stadtverband Essen und engagiert im Bündnis „Heraus zum 1. Mai“

POSITION: Der DGB hat sich für einen Online-Livestream am 1.Mai entschieden. Was hat dich und viele andere GewerkschafterInnen dazu veranlasst, doch auf die Straße zu gehen. Hattet ihr keine Bedenken bzgl. Infektionen?

Peter Köster: Der DGB hatte schon sehr früh entschieden, aufgrund der Corona-Pandemie den 1. Mai ohne Kundgebungen und Demonstrationen zu begehen. Dadurch gab es viele Kolleginnen und Kollegen, die unsicher waren, wie man sich auch anders als „nur“ virtuell beteiligen kann. Das galt auch für KollegInnen, die persönlich ein erhöhtes Infektionsrisiko haben und am 1. Mai für ihre gewerkschaftlichen Forderungen demonstrieren wollten. In vielen Diskussionen vor Ort haben wir festgestellt, dass es eine hohe Bereitschaft gab, den 1. Mai mit ausreichend Infektionsschutz als Draußen-Versammlungen durchzuführen. Und dass bei den ganz sicher kommenden Auseinandersetzungen um die Bezahlung der Krisenfolgen der auch juristische Streit um die Durchsetzung des Versammlungsrechts unter den Corona-Schutzverordnungsbedingungen an sich notwendig sein wird. Die VeranstalterInnen hatten mit größter Sorgfalt den Infektionsschutz gesichert. Dafür hätte es die diesbezüglichen Auflagen der Behörden nicht gebraucht.

Wie hat der DGB auf eure Initiative reagiert? Wurden euch staatlicherseits Steine in den Weg gelegt?

Die Leitungen im DGB haben skeptisch bis sehr distanziert reagiert. In einigen Einzelgewerkschaften gab es Beschlüsse, sich nicht an den Aufrufen zu beteiligen. Andererseits war auffällig, dass die Zustimmung zu der Aktionsform, also Draußen-Veranstaltungen verschiedenster Art durchzuführen, bei vielen örtlichen und betrieblichen Gewerkschafter*innen sehr hoch war oder zumindest aber Nachdenklichkeit ausgelöst hat.

Von Seiten der Ordnungs- und Gesundheitsämter wurde im Vorfeld häufig sehr repressiv mit den Anmeldungen zu den Aktivitäten umgegangen. In vielen Fällen wurden Auflagen ausgesprochen, die nur eine reduzierte Teilnehmeranzahl zuließen. Zum Teil wurden deutlich unverhältnismäßige Auflagen oder Hygieneanforderungen vorgegeben. In mehreren Städten musste die Erlaubnis zur Durchführung verwaltungsgerichtlich durchgesetzt werden. Bei den 1. Mai-Kundgebungen selbst wurde dann seitens derselben Behörden und der Polizei relativ entspannt reagiert.

Welches Fazit zieht ihr aus den Aktionen?

Es war sowohl bundesweit als auch in Essen der richtige Impuls, viele KollegInnen dazu zu ermutigen, für ihre Forderungen am 1. Mai auch auf den Straßen und Plätzen ihrer Städte zu demonstrieren. Insgesamt gehen wir bundesweit von ca. 150 Kundgebungen aus, die stattgefunden haben. Rund die Hälfte davon hat sich über unsere Aktionsplattform vernetzt. Das Bedürfnis, an diesem Tag diszipliniert zu demonstrieren, war auf jeden Fall größer als die tatsächliche Teilnehmeranzahl. Wie der gewerkschaftliche und politische Widerstand gegen ein Abwälzen der Krisenfolgen auf die Arbeiterklasse organisiert werden kann, wird uns in nächsten Monaten den Betrieben und den Gewerkschaften fordern. Mit dem Mut und der Entschlossenheit zu den Aktionen am 1. Mai 2020 haben wir an ideenreichen Formen des Widerstandes gearbeitet.

Quelle:

SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend