Hauptsache Arbeit?

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
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Hauptsache Arbeit? Das parteiübergreifende Credo der Beschäftigung und Senkung der Arbeitslosenquote um jeden Preis als hehres Ziel hat durch eine Studie aus Britannien einen ordentlichen Schuß vor den Bug bekommen, obwohl natürlich nicht ernsthaft davon auszugehen ist, daß diese neuen Erkenntnisse zu irgendeinem Umdenken führen könnten.

Die Forscher, welche diese Ergebnisse hervorgebracht haben, hatten sich über Jahre die gängigen Blutwerte eines normalen Blutbildes von Menschen angesehen und miteinander verglichen, welche allesamt arbeitslos waren. Auffallend war: Jene, die wieder eine Anstellung fanden, hatten danach bessere Werte als ihre arbeitslosen Mitmenschen, jedoch kam auch dabei heraus, daß die besseren Werte weitgehend von Personen stammten, welche eine verhältnismäßig gute Bezahlung und einen sicheren, unbefristeten Job hatten. Die kombinierten Blutwerte ließen hier auf ein niedrigeres Streßlevel schließen als etwa bei den Arbeitslosen. Letztere haben aufgrund der Unsicherheit ihrer Situation, der Zukunftsangst und dem finanziellen Druck, allerdings auch durch ein vermindertes Selbstwertgefühl und sinkende Lebensfreude aufgrund der persönlichen Situation eine höhere Streßrate.

Wer allerdings einen zeitlich begrenzten und vielleicht obendrein schlecht bezahlten neuen Job abbekam, der lieferte in den Blutanalysen ein noch schlechteres Resultat im Vergleich mit der Gruppe der noch immer arbeitslosen ab. Im Schnitt waren diese werte um 50 Prozent schlechter. Hauptsache überhaupt irgendeinen Job zu haben, scheint also den Menschen nicht aus ihrem Tief herauszuhelfen, welches sie als Arbeitslose durchleben müssen, es stürzt sie eher noch weiter hinab. Diese Resultate sind insofern interessant, als es bisher keine derartige Erhebung zu der Thematik gegeben hat. Alle Studien stellten bisher lediglich einen Unterschied zwischen Blutwerten von berufstätigen und arbeitslosen Probanden dar.

Was das für die Gesundheit der Gesellschaft bedeutet, wird deutlich, wenn die Stoßrichtung der Flexibilisierung der Arbeitswelt betrachtet wird. Das Wort Flexibilisierung wird grundsätzlich von Wirtschaftsbossen und ihren Zuarbeitern aus der herrschenden Politik immer wieder als win-win-Situation für Lohnabhängige und Wirtschaft dargestellt, zeigt in der Realität allerdings immer, daß es eine reine Einbahnstraße zu noch ungerechterer Umverteilung darstellt: Der rund um die Uhr verfügbare, auf seine reine Arbeitskraft reduzierte Mensch, der seine eigenen Lebensansprüche hinten anstellen und in erster Linie funktionieren muß. Teilzeit, niedrige Löhne und schlechte Arbeitsqualität prägen den Lebensalltag dieser Menschen.

Vieles bleibt dabei auf der Strecke: Notwendige Anschaffungen, die eine gesicherte Einkommenssituation voraussetzen, soziale und kulturelle Integration.
Der soziale Rollback hat die Gesellschaft voll erfaßt und die Gegenwehr bleibt derzeit, trotz zahlreicher gewerkschaftlicher Aktionen, noch immer schwach. Seien wir uns bewußt, daß ein gesundes und gutes Leben nicht durch eine Zucker- oder Fettsteuer erreicht wird, sondern durch unbefristete Arbeitsplätze mit fairen Löhnen und soziale Sicherheit. Ansonsten ist der Preis, den die breite Gesellschaft für kurzfristige Profite einiger Weniger bezahlen muß, sehr hoch.

Christoph Kühnemund

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Hauptsache Arbeit?