Den Pflegenotstand wegkündigen

Foto: Yerson Retamal / Pixabay
Foto: Yerson Retamal / Pixabay

Nicht genügend Zeit, sich angemessen um die Patienten zu kümmern. Nicht genügend Material, sich angemessen selber zu schützen. Nicht genügend Personal, sich angemessen zu erholen – der Pflegenotstand hat viele Gesichter. Sie für jeden sichtbar und damit für die Politik kaum mehr ignorierbar gemacht zu haben, ist zuallererst das Verdienst vieler mutiger Beschäftigter. Doch statt Auszeichnungen, Anerkennung oder wenigstens Respekt, haben sie häufig eine »Belohnung« gänzlich anderer Art bekommen: Die Kündigung.

Von Wohlfühlfaktoren und politischen Motiven…

Es sei »nicht hinnehmbar, daß Mitarbeiter aus ideologisch-politisch motivierten Gründen gegenüber Medien wissentlich Falschinformationen verbreiten oder Ausnahmesituationen als Regelfälle darstellen«. Mit diesen Worten hat ein Sprecher des Asklepios-Konzerns die Kündigung der Betriebsrätin Romana Knezevic Anfang des Jahres gegenüber der Presse gerechtfertigt.

Was war passiert? Die Pflegefachkraft in der Klinik St. Georg in Hamburg hatte am 17. Dezember gegenüber dem »Hamburg Journal« unter anderem darüber berichtet, daß unter dem Personalmangel die Behandlung und Sterbebegleitung von Patienten leidet. Insbesondere das Fehlen von Reinigungs- und Pflegekräften führe zu schlimmen Zuständen. Das brachte ihr kurz vor Jahresende die mit obiger Begründung versehene Kündigung des Multi-Milliardenkonzerns.

Eine umfangreiche Solidaritätskampagne, organisiert von der Gewerkschaft ver.di, stärkte der Betriebsrätin in der Folgezeit den Rücken. Schließlich nahm Asklepios die Kündigung, nicht zuletzt aufgrund denkbar schlechter Erfolgsaussichten vor Gericht, wieder zurück, aber die Message war gesetzt: Wir sind gewillt, unsere Profite auf dem Rücken von Patienten und Beschäftigten um jeden Preis zu verteidigen!

Ähnlich wie Romana erging es auch Anja, die als Krankenpflegerin in der ATOS Klinik Fleetinsel in Hamburg arbeitet. Sie war zwar nicht an die Öffentlichkeit gegangen, ist aber als Mitbegründerin des Betriebsrates, Sprecherin des Wirtschaftsausschusses und seit jüngstem stellvertretende Konzernbetriebsratsvorsitzende äußerst engagiert im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen. Etwas zu engagiert für den privaten ATOS-Konzern, der auf seiner Internetseite stolz verkündet, »das Bestreben all unserer Mitarbeiter ist hierbei, Ihnen medizinische Leistungen auf höchstem Niveau zu bieten – verbunden mit Spitzenservice und dem gewissen Wohlfühlfaktor«.

Wer wie Anja die realen Schikanen hinter diesen schmierigen Worten einzudämmen versucht, könnte dem »Wohlfühlfaktor« offenbar undienlich sein – und wird gekündigt. Offizieller Vorwurf: Sie habe Tätigkeiten für den Betriebsrat außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit verrichtet und dabei auch noch betrogen. Die Realität: Aufgrund der Schichtdienste war eine Erledigung ihrer Aufgaben innerhalb der Arbeitszeiten meist überhaupt nicht möglich und sie mußte dies an Sonn- oder Feiertagen tun. Das von ihr dabei veranschlagte Zeitkontingent war gemessen am Umfang ihrer Aufgaben sogar noch niedrig. Das sah auch das Arbeitsgericht so und erklärte die Kündigung bereits kurze später für unwirksam.

Schwarze Schafe?

Nun könnte man einwenden, daß es sich hierbei um private Konzerne handelte und von denen ja nichts anderes zu erwarten war. Das ist sicher richtig, aber wer daraus den Schluß zieht, im öffentlichen Sektor gebe es sowas nicht, liegt leider falsch.

Ende Februar haben sich z.B. Pflegekräfte der Uniklinik Münster in der »Lokalzeit Münsterland« im WDR-Fernsehen über die unhaltbare Personalsituation in dem Krankenhaus geäußert. Unter anderem würden Patienten zu früh aus der Intensivstation verlegt und eine fachgerechte Versorgung sei bei einer Pflegefachkraft für 13 Patienten nicht gesichert.

In einem Offenen Brief einige Monate vorher hatten Beschäftigte die Dienstplanung bereits als »patientengefährdend« bezeichnet. In der Folge des WDR-Beitrags war ein beteiligter Pfleger schließlich über mehr als eine Woche hinweg massiv unter Druck gesetzt und dann außerordentlich und fristlos gekündigt worden, wie es in einem von ver.di veröffentlichten Offenen Brief heißt. Die Uniklinik ließ verlauten, sie äußere sich nicht »zu dem laufenden Verfahren«. Wozu sich der Chef der Einrichtung, Hugo Van Aken, wenig später in den »Westfälischen Nachrichten« äußern wollte, war allerdings »die Personalsituation in dem Haus«: diese sei »entspannt«.

Einzige Antwort: Solidarität

Ohne einen grundlegenden Systemwechsel, d.h. die Abkehr vom »Wirtschaftlichkeits«-Dogma im Gesundheitsbereich und die Etablierung bedarfsgerecht finanzierter Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in öffentlicher Hand, werden die beschriebenen Probleme vielleicht zeitweise abgemildert, aber nicht behoben werden können. Umso wichtiger ist es jenen, die das bestehende System aufrechterhalten wollen, das Ausmaß der Mißstände klein zu halten.

Sie schrecken dabei weder vor den »harten« Instrumenten Kündigung, Hausverbot, Unterlassungserklärung zurück, noch vor dem »weichen« des moralischen Drucks. Kolleginnen und Kollegen, die Mißstände öffentlich machen oder auch nur intern dagegen kämpfen, werden als Nestbeschmutzer hingestellt, die nicht »konstruktiv« an einer Lösung arbeiten, sondern alles schlechter machen würden als es eigentlich sei und so auch noch potentielle Bewerberinnen oder Bewerber abschreckten.

Da werden die Kritiker des Problems mal eben so zu Teilen des Problems erklärt! Im Prinzip führt das für engagierte Beschäftigte zu einer Dreifach-Belastung: Die kräftezehrende Arbeit, unter schlechten Bedingungen die Patienten so gut es geht zu versorgen; sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzen und sich schließlich auch noch gegen die Schikanen wehren, die einem dafür aufgebürdet werden, daß man sich gewehrt hat.

Mag es auf den ersten Blick für viele wenig verlockend wirken, sich angesichts der Anstrengung von Ersterem auch noch dem Zweiten und Dritten auszusetzen, ist das mehr als verständlich. Allerdings kann der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen die Mühen der Arbeit auch erträglicher oder überhaupt erträglich machen.

Es ist zweifellos nicht der leichtere Weg, aber viele Beschäftigte wissen, daß das Gefühl, etwas verändern zu können, nicht nur machtlose Steuerfrau auf einem sinkenden Schiff zu sein, eine nicht zu unterschätzende Kraft geben kann. Nur: Wenn die jüngsten Fälle aus Hamburg, Münster oder Bremen etwas deutlich gemacht haben, dann, daß es dafür Solidarität braucht. Und eine Gewerkschaft.

 

Informationen zum Pflegeaufstand und zur großen Demo am 11.09. in Mainz unter:

https://www.pfausta.de/

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Den Pflegenotstand wegkündigen