Hiroshima ist fast vergessen

Am Montag eröffnete UN-Generalsekretär António Guterres in New York die 10. Überprüfungskonferenz des atomaren Nichtweiterverbreitungsvertrages (NVV), der 1968 abgeschlossen und 1970 ratifiziert wurde. Dem Abkommen, für das die BRD die demagogische Bezeichnung „Atomwaffensperrvertrag” durchgesetzt hat, gehören 190 Länder an. Der Vertrag verbietet keine Atomwaffen und sperrt sie auch nicht. Er besagt, dass nur die USA, Russland, China, Frankreich und Britannien Atomwaffen besitzen dürfen. Er verhindert auch nicht die „nukleare Teilhabe“, also die Stationierung von US-Atomwaffen in mehreren europäischen NATO-Staaten, darunter in der BRD.

In Bonn waren die Entwürfe für diesen Vertrag in den 60er Jahren auf heftigen Widerstand gestoßen, weil er den direkten Zugriff des westdeutschen Imperialismus auf Atomwaffen verhindern sollte. Der damalige Finanzminister in der großen Koalition Franz Josef Strauß (CSU) schleuderte dem britischen Premierminister Harold Wilson beim Schnaps im Februar 1967 lautstark entgegen, das Abkommen sei „ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen”. Altkanzler Konrad Adenauer sprach von einem „Morgenthau-Plan im Quadrat”.

An der Gegnerschaft des deutschen Imperialismus zum „Atomwaffensperrvertrag”, den die deutsche Medien-Mafia noch heute so nennt, hat sich nichts geändert. Der Unterschied: Die SPD- und Grünen-Außenminister der vergangenen Jahrzehnte reden keinen Klartext wie einst Strauß und Adenauer. Ihre oberste Maxime lautet: Nie über den Beschluss des Warschauer NATO-Gipfels von 2016 sprechen, der die atomare Bedrohung Russlands mit einem Schlag wieder auf das Niveau des Kalten Krieges hob. Die NATO kehrte zurück zur Drohung mit einem atomaren Erstschlag und will mit „Mini-Nukes“ einen Atomkrieg „führbar” machen. Diese „modernisierten”, faktisch neuen Atombomben werden demnächst auch in der Bundesrepublik in Büchel stationiert. Entgegen den Ankündigungen im Wahlkampf 2021 schrieb die Regierung aus SPD, Grünen und FDP die „nukleare Teilhabe” im Koalitionsvertrag fest. Sie weigert sich wie die Merkel-Regierung, dem 2017 von der UN-Vollversammlung verabschiedeten Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, behauptet aber gleichzeitig, für eine „atomwaffenfreie Welt” und für „nukleare Abrüstung” einzutreten. Im Frühjahr bestellte die „Zeitenwende”-Regierung zugleich F-35-Kampfflugzeuge, die Atombomben tragen sollen.

Das gehört zum Hintergrund der dramatischen Warnung, die UN-Generalsekretär António Guterres am Montag abgab. Er erklärte, die Welt befinde sich in einer „Zeit nuklearer Gefahr, wie es sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat”. Die Menschheit laufe „Gefahr, die Lehren zu vergessen, die in den schrecklichen Feuern von Hiroshima und Nagasaki geschmiedet wurden”. Die Welt sei „nur ein Missverständnis oder eine Fehlkalkulation von der nuklearen Vernichtung entfernt”. Bei Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihrem US-Amtskollegen Antony Blinken stieß er auf taube Ohren. Sie nutzten ihre Auftritte auf der Tagung in New York für Hetze gegen Russland, dem sie „gefährliches nukleares Säbelrasseln” vorwarfen. Baerbock lieferte ein neues Muster von Faktenverdrehung und Ursache-Wirkung-Umkehr, als sie erklärte: „Der brutale Angriffskrieg Russlands macht deutlich, dass Nuklearwaffen leider eine bittere Realität sind.” Sie fuhr fort: „Der Einsatz für nukleare Nichtverbreitung und nukleare Abschreckung sind in diesen Zeiten kein Widerspruch.”

US-Präsident Joseph Biden erklärte in einer Stellungnahme, seine Regierung sei bereit, „zügig” über einen neuen Rahmen für die Rüstungskontrolle zu verhandeln, der den New-Start-Vertrag nach dessen Auslaufen im Jahr 2026 ersetzen soll. New Start ist das einzig noch verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland. Alle anderen hat Washington seit 2002 gekündigt.

Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte wie schon mehrfach in diesem Jahr in einem Grußwort an die NVV-Konferenz: „Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf.” Der NVV sei ein „Schlüsselelement im System der internationalen Sicherheit und Stabilität”. Russland werde seine Verpflichtungen als NVV-Gründungsmitglied nach Geist und Buchstaben erfüllen.

Quelle: Unsere Zeit