Macrons Rentenreform ist durch, Paris brennt

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat mithilfe des Artikels 49.3 der Verfassung seine im Volk verhasste Pensionsreform durchgebracht. Mit der Pensionsreform wird das Pensionseintrittsalter in Frankreich um zwei Jahre angehoben, was nach Ansicht der Regierung unerlässlich ist, um das System vor der Pleite zu bewahren. Die Regierung versuchte auch, diese Reform als „linke“ Reform zu verkaufen.

Unter Nutzung dieses Verfassungsartikels konnte er das umstrittene Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung durchsetzen – er riskiert damit allerdings ein oder mehrere Misstrauensvoten. Dies wird auch erwartet: Die Oppositionsparteien werden aller Voraussicht nach zwei Misstrauensanträge gegen Premierministerin Elisabeth Borne und ihr Kabinett einreichen. Sollte einer dieser Anträge in der Versammlung angenommen werden, würde die Ministerpräsidentin entlassen und eine politische Krise ausgelöst werden, die zu vorgezogenen Parlamentswahlen führen könnte.

Dem Artikel 49.3 musste der Ministerrat grünes Licht geben, danach war Premierministerin Elisabeth Borne an der Reihe, in der Nationalversammlung mit ihrer Regierung die Verantwortung für das Gesetz zu übernehmen. Als sie in der Parlamentssitzung ankündigte, die Regierung werde sich auf Artikel 49.3 der Verfassung berufen, der es ihr erlaubt, das Gesetz ohne Abstimmung zu verabschieden, wurde sie in der Tat ausgebuht. Die Entscheidung der französischen Regierung empörte Französinnen und Franzosen, die die Regierung als „Diktatur“ brandmarkten. Laut einer Odoxa-Umfrage sind rund 62 Prozent der Französinnen und Franzosen der Meinung, dass die Proteste auch nach der Verabschiedung des Gesetzes fortgesetzt werden sollten. Andere Umfragen gaben noch höhere prozentuelle Zustimmung für den Protest gegen die Reform an.

Nur wenige Augenblicke nach der Bekanntgabe der Entscheidung fand auf dem Pariser Place de la Concorde gegenüber der Nationalversammlung eine improvisierte Demonstration statt. Dort war Ludwig XVI. vor 230 Jahren (nicht zu Unrecht) guillotiniert worden.

Widerstand und Repression

Am Donnerstag gingen Tausende von Bürgerinnen und Bürgern in Paris, Marseille, Nantes, Rennes, Lyon und anderen französischen Städten auf die Straße, um gegen den Verlust ihrer Rechte durch die Pensionsreform zu protestieren. Aktivistinnen und Aktivisten in Paris, Rennes, Albi und Marseille versuchten nach Bekanntgabe der Entscheidung Büros regierungsnaher Politiker und öffentliche Einrichtungen anzugreifen. Die Gewerkschaften riefen die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu auf, sich zu wehren, und blockierten am Freitag kurzzeitig die Pariser Ringstraße. Während acht Tage landesweiter Proteste seit Januar und viele weitere Arbeitskampfmaßnahmen bisher weitgehend friedlich verlaufen waren, erinnerten die Unruhen in der Nacht viele Zeuginnen und Zeugen an die Proteste der Gelbwesten, die Ende 2018 wegen hoher Kraftstoffpreise ausbrachen und Macron zu einer teilweisen Kehrtwende bei der CO2-Steuer zwangen.

Die darauffolgende gewaltsame Repression durch die französischen Polizeikräfte heizte die Stimmung weiter an. Das Innenministerium bestätigte die Verhaftung von rund 310 Personen, von denen 258 in der Hauptstadt protestiert hatten. In Paris wurden Barrikaden errichtet und Brände mit tonnenweise angehäuftem Müll aufgrund des Streiks der Müllabfuhr entfacht, die seit etwa zehn Tagen gegen die Pensionsreform protestieren.
Der Allgemeine Gewerkschaftsbund (Confédération générale du travail – CGT) und andere Gewerkschaften sind weiterhin entschlossen, die Proteste am Wochenende auszuweiten und eine Kehrtwende zu erzwingen. Sie riefen für den 24. März zu einem neunten nationalen Streik auf. Die Lehrergewerkschaften indes riefen für die kommende Woche zu Streiks auf, die die symbolträchtigen Maturaprüfungen stören könnten.

Nicht das erste Mal

Der die bürgerliche Demokratie aushebelnde Verfassungsartikel, auf den sich Macron berief, um die Reform zu verabschieden, wurde in der Vergangenheit von Regierungen der Linken, der Rechten und der Mitte genutzt. Seit dem Jahr der aktuellen französischen Verfassung (1958) wurde der Artikel rund 40 Mal genutzt. Der ehemalige Premierminister Michel Rocard machte in den 1980er und 1990er Jahren 28 Mal von den damit verbundenen Sonderbefugnissen Gebrauch. Bis dato überstanden alle Regierungen die damit einhergehenden Misstrauensvoten.

Quellen: teleSUR / Reuters / Tagesschau / Reuters

 

Quelle: Zeitung der Arbeit